Andreas Rutz (Hg.): Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250-1750) (= Beiträge zur Historischen Bildungsforschung; Bd. 39), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010, 378 S., ISBN 978-3-412-20335-1, EUR 47,90
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Nicht zuletzt durch den Abschluss des sechsbändigen Handbuches der deutschen Bildungsgeschichte im Jahr 2005 wurde deutlich, dass die Geschichte des vormodernen Schul- und Bildungswesens im Alten Reich nur aus einer regional- oder territorialgeschichtlichen Perspektive umfassend verstanden und eingeordnet werden kann. Hier zeigt sich jedoch ein ausgeprägter Mangel an entsprechenden neuen Überblicksdarstellungen, so dass der vorliegende, aus einer 2007 in Bonn veranstalteten Tagung hervorgegangene Band zum spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schulwesen im Rheinland eine überaus wichtige und forschungsanregende Position einnimmt. Dabei ist durchaus so etwas wie ein Handbuch entstanden, auch wenn der Herausgeber Andreas Rutz, der selbst mit einer fundamentalen Arbeit zum rheinischen Schulwesen hervorgetreten ist [1], dieses in seinem Vorwort ausdrücklich relativiert. Unterstützt wird dieser Eindruck nicht zuletzt durch eine ausführliche und überaus wertvolle Bibliographie zur rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte bis 1815, die auf nahezu fünfzig Seiten mehrere hundert, in dreizehn Großgliederungspunkte bzw. Sachgebiete eingeteilte Titel versammelt.
In einer konzisen Einführung widmet sich Andreas Rutz zunächst den "Schul- und Bildungslandschaften als Forschungsaufgabe" und stellt den aktuellen Forschungsstand zu diesen häufig, aber zumeist sehr unscharf verwendeten Begriffen dar. Während hier also der erkenntnisleitende Begriff der 'Region' oder 'Landschaft' thematisiert wird, findet sich am Ende des Bandes unter dem Abschnittstitel "Übergreifende Perspektiven" ein zusammenfassender Aufsatz von Stefan Ehrenpreis zur Schule und Bildung im vormodernen Rheinland, der vor allem Fragen der Periodisierung und der regionalen Vernetzung ins Blickfeld rückt. Ehrenpreis, dessen Überlegungen aufgrund des überblicksartigen Charakters durchaus auch am Anfang des Sammelbandes hätten stehen können und die daher gemeinsam mit der Einleitung einen sehr gelungenen Rahmen für den Band bilden, kommt zu dem Ergebnis, dass es für das Rheinland schwierig sei, von einer räumlich, epochal und systemisch einheitlichen Entwicklung zu sprechen. Besonders charakteristisch für die rheinischen Bildungssysteme (Plural!) sei zum einen das besonders stark entwickelte Mädchenschulwesen und zum anderen die besondere Aufmerksamkeit für das niedere ländliche Schulwesen, was vermutlich ein Ergebnis der konfessionellen Konkurrenzsituation gewesen sei.
In einem ersten Hauptteil "Schule und Universität" widmen sich drei Beiträge zunächst der institutionellen Seite des Gegenstandes und damit der Kern-Schulgeschichte: Kurt Wesoly befasst sich mit der elementaren Schulbildung im Rheinland - hier synonym für das nördliche Rheinland und damit vor allem für die Herzogtümer Berg, Jülich und Kleve sowie das Kurfürstentum Köln - bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Kölner Universitätsarchivar Andreas Freitäger erweitert demgegenüber den räumlichen und zeitlichen Zuschnitt und stellt die vier Universitäten Köln, Trier, Duisburg und Bonn vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vor, bewegt sich also territorial im Rahmen der im frühen 19. Jahrhundert gebildeten Rheinprovinz. Aufbauend auf seinen umfangreichen Forschungen zur Geschichte der Policeyordnungen in der Frühen Neuzeit behandelt Karl Härter die darin vorkommenden Schulgesetzgebungen für rheinische Territorien und Städte, nimmt also den frühmodernen Territorialstaat und seine bildungspolitischen Absichten in den Blick.
Unter der Überschrift "Bildung und Konfession" behandelt Johannes Kistenich im zweiten, allerdings nur im Inhaltsverzeichnis eigens ausgeworfenen Hauptteil die Rolle der so prägenden geistlichen Orden für das öffentliche Schulwesen im Rheinland. Im Gegensatz zu anderen katholischen Territorien in Europa hätten hier keineswegs die Jesuiten die sonst zu beobachtende Monopolstellung im höheren Schulwesen inne, denn im Rheinland und allgemein im Nordwesten des Alten Reiches lasse sich eine ausgeprägte Aktivität der Bettelorden erkennen, so dass aufgrund dieser Tatsache in der Tat eine 'Schullandschaft' abgegrenzt werden könne. Der Bereich des Mädchenschulwesens wird in diesem Beitrag durchaus breit behandelt, allerdings wäre ein eigener Aufsatz beispielsweise aus der Feder des Herausgebers in diesem Zusammenhang durchaus wünschenswert gewesen. Mit dem protestantischen Schulwesen, also den lutherischen und reformierten Bildungseinrichtungen im frühneuzeitlichen Rheinland und damit der Rolle Brandenburg-Preußens in diesem Raum seit dem frühen 17. Jahrhundert, beschäftigt sich Gerhard Menk. Bedingt durch die intensiv vorgenommene Heranziehung von Quellen aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz wird hier stellenweise die Rolle der brandenburgischen (Zentral-)Behörden vielleicht etwas überbetont und regionale sowie lokale Initiativen bzw. Eigenständigkeiten zu wenig gewürdigt. Abgeschlossen wird der Abschnitt durch einen informativen Überblick von Birgit E. Klein über das jüdische Schul- und Bildungswesen im mittelalterlichen Rheinland.
Da der vorliegende Sammelband einen erweiterten Bildungsbegriff zugrundelegt und erfreulicherweise nicht auf der Ebene des institutionalisierten Schulwesens stehenbleibt, findet sich unter dem Obertitel "Sprache und Medien" zudem ein dritter Großabschnitt, der die Bildungskultur im weiten Sinne thematisiert. So beschäftigt sich Manfred Groten mit der pragmatischen Schriftlichkeit im Rheinland, analysiert also Schriftgut aus den Bereichen der alltäglichen Rechtspflege und Verwaltung, wodurch die Kanzleien als Lernorte in den Fokus rücken. Die Rolle des Kölner Verlagswesens als Vermittler für die Bildung im Rheinland analysiert Wolfgang Schmitz. Vor allem seine Ausführungen zu den Lehrbüchern als Quelle für Unterrichtsinhalte und zur Verbreitung von gedruckten Lehrbüchern in der Schüler- und Studentenschaft vermitteln wichtige neue Aspekte. Wolfgang Schmid schließlich behandelt unter dem Begriff 'Rheinische Schatzkammern' die Bildpublizistik, die Goldschmiedekunst und die Wallfahrten in Trier, Aachen und Köln.
Wenn auch nicht alle Beiträge des Sammelbandes von dem angebotenen methodischen Instrumentarium Gebrauch machen und zudem naturgemäß einzelne Aspekte des komplexen Gegenstandes nicht ausreichend berücksichtigt werden konnten, so liegt doch eine bemerkenswerte Publikation vor, die zum einen der Diskussion um den Begriff 'Bildungslandschaft' neue Impulse vermitteln kann und zum anderen einen gelungenen und umfassenden Überblick zur rheinischen Bildungs- und Schulgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit bietet, der anderen Regionen oder 'Landschaften' zum Vorbild dienen kann.
Anmerkung:
[1] Andreas Rutz: Bildung - Konfession - Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.-18. Jahrhundert), Mainz 2006.
Jens Bruning