Rezension über:

Philipp Rock: Macht, Märkte und Moral. Zur Rolle der Menschenrechte in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 1070), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, 292 S., ISBN 978-3-631-59705-7, EUR 49,80
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Rezension von:
Florian Hannig
Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Florian Hannig: Rezension von: Philipp Rock: Macht, Märkte und Moral. Zur Rolle der Menschenrechte in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/09/19418.html


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Philipp Rock: Macht, Märkte und Moral

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Kürzlich sorgten Berichte über Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien für einen politischen Eklat. Sowohl die Opposition als auch Teile der Regierungsfraktionen verwiesen empört auf die fragile Menschenrechtslage in dem Abnehmerland. Wie kam es eigentlich dazu, dass Menschenrechte zu einem legitimen Argument der politischen Diskussion wurden und wie wirkte sich das auf die deutsche Außenpolitik aus? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die 2010 erschienene Dissertation von Philipp Rock.

Der Arbeit liegt die auch von anderen Forschern vertretene [1] Annahme zugrunde, dass bereits in den 1960er und 70er Jahren Ursprünge für den Durchbruch der Menschenrechte "als nahezu allgemein akzeptierte Norm in den internationalen Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes" (15) zu finden seien. Rock interessiert, welche Rolle die Bundesrepublik in diesem Prozess spielte (Nachzügler oder Avantgarde) und inwiefern sich die Menschenrechte auf die deutsche Außenpolitik in den 1960er und 70er Jahren auswirkten. Als Menschenrechte versteht Rock dabei die "Rechte, die von der gesamten Staatengemeinschaft formal" (27) durch die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) sowie den beiden VN-Menschenrechtspakten (1966/76) anerkannt wurden.

Rock operationalisiert seine Fragestellung mit Hilfe von fünf Fallstudien und kontextualisiert die Menschenrechte, indem er sie wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen entgegenstellt. Anhand der westdeutschen Außenpolitik gegenüber dem griechischen Obristenregime, dem südafrikanischen Apartheidstaat und dem Iran soll die Rolle der Menschenrechte in den Außenbeziehungen zu einzelnen Ländern analysiert werden. Dabei sind die Länder "so gewählt, dass keine kommunistischen Staaten behandelt werden, da zu erwarten ist, dass bei den Beziehungen zu den kommunistischen Staaten nur schwer zwischen propagandistischen und genuin menschenrechtspolitisch motivierten Maßnahmen unterschieden werden kann" (16). Darüber hinaus seien die Länder unterschiedlich stark im "Westen" verankert gewesen, hätten sich verschiedene wirtschaftliche Interessen mit ihnen verbunden und habe sich die Sensibilität der bundesdeutschen Öffentlichkeit jeweils unterschieden. Auf die drei Länderstudien folgen zwei Untersuchungsabschnitte zur multilateralen Menschenrechtspolitik in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und in den Vereinten Nationen (VN).

Rock kommt zum Ergebnis, dass sich die Menschenrechte bei der Formulierung deutscher Außenpolitik im Untersuchungszeitraum zu einem relevanten Faktor entwickelt hätten. Allerdings seien sie in Bezug auf jedes Land unterschiedlich wichtig gewesen bzw. habe sich länderspezifisch ihre Bedeutung gewandelt. Im Untersuchungszeitraum habe sich somit kein einheitliches Konzept von Menschenrechtspolitik entwickelt.

Kaum Einfluss hätten sie in den Beziehungen zum Iran gehabt, dagegen seien sie in der Außenpolitik gegenüber Griechenland und Südafrika von Bedeutung gewesen. Die Wirkungen zeichnet Rock auf verschiedenen Ebenen nach - angefangen von rhetorischer Distanzierung über Zurückhaltung in der Besuchsdiplomatie, dem Eintreten für einzelne politische Häftlinge sowie dem Aussetzen von Militärhilfe bis hin zu Waffenembargos. Die unterschiedliche Bedeutung der Menschenrechte in den Länderfallstudien erklärt er einerseits durch verschiedene wirtschaftliche bzw. geostrategische Interessen der Bundesregierung, die jeweils anders gelagerte Nähe der Länder zum eigenen Kulturkreis sowie dem unterschiedlichen Druck der deutschen Öffentlichkeit, womit er vor allem seine Vorannahmen bestätigt. Andererseits betont Rock darüber hinaus sowohl biografische Erfahrungen einzelner Politiker als auch den Handlungsspielraum der betroffenen Regierungen. Außerdem weist er auf die zunehmende internationale Einbindung der bundesdeutschen Außenpolitik hin. Noch deutlicher zeigt sich diese Dimension in den Analyse zur KSZE und zu den VN. In internationalen Foren sei die Bundesrepublik immer wieder gezwungen gewesen, Menschenrechten eine größere Rolle einzuräumen, um sich nicht international zu isolieren.

Dass die Menschenrechte überhaupt eine Rolle für die Formulierung westdeutscher Außenpolitik bekommen haben, erklärt Rock mithilfe von vier Faktoren. So habe erstens die Erosion der Hallstein-Doktrin Ende der 1960er eine Diversifizierung der außenpolitischen Interessen ermöglicht. Da die Bundesregierungen zunehmend an einer Führungsrolle innerhalb der Westmächte und an einer globalen Stärkung des "Westens" interessiert gewesen seien, hätten die Menschenrechte eine Ressource für Anerkennung innerhalb des westlichen Bündnisses dargestellt und schienen diesem eine globale Legitimation zu geben. Zweitens hätten Generations- und Regierungswechsel die Prioritäten der Regierung und des Parlaments verschoben. Immer wieder wird von Rock auf die bremsende Kraft der Unionsparteien hingewiesen, die Menschenrechte lediglich deutschlandpolitisch zu nutzen versucht hätten. Drittens führt Rock unter dem Stichwort der "Liberalisierung" an, dass der in der bundesdeutschen Gesellschaft vollzogene "Wertewandel" auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) begünstigt habe. Diese bekamen ab Ende der 1960er Jahre nicht nur mehr Mitglieder, sondern fanden auch mehr Gehör bei der Bundesregierung. Als Träger und Bedingungen für die Menschenrechtspolitik arbeitet Rock neben einzelnen engagierten Politikern und NGOs das neuentfachte Interesse der Medien und der Öffentlichkeit für Menschenrechtsfragen seit Ende der 1960er Jahre heraus. Viertens seien die internationale Einbindung und vor allem die europäische Koordination der deutschen Außenpolitik am wichtigsten gewesen für die Etablierung der Menschenrechte als politisches Argument.

Rock liefert wichtige Erkenntnisse zur Entwicklung der westdeutschen Menschenrechtspolitik. Vor allem das Getrieben-Sein der Bundesregierung auf nationaler wie internationaler Ebene wird gut herausgearbeitet und damit einer Perspektive der "Zerfaserung von Staatlichkeit" [2] Rechnung getragen. Der Autor kann zeigen, wie eng Bonn teilweise mit Menschenrechts-NGOs wie Amnesty International zusammen gearbeitet hat und wie sehr die nordeuropäischen Länder die Bundesrepublik zu einer stärker an Menschenrechten orientierten Politik drängten. In dieser internationalen Verortung der bundesdeutschen Menschenrechtspolitik besteht ein weiteres Verdienst der Dissertation.

Allerdings verschließt sich Rock durch die a priori-Definition von "Menschenrechten" der expliziten Analyseperspektive, wie jene von den historischen Akteuren strategisch angeeignet und mit Bedeutung versehen wurden. Teilweise wird dies anhand der Union gezeigt, allerdings wird die deutschlandpolitische Umdeutung der Menschenrechte von Rock lediglich als Abweichung von einer "genuinen Menschenrechtspolitik" verstanden. Was das sein soll und wie sie von einer "propagandistischen" Verwendung zu unterscheiden ist, erklärt Rock nicht.

Durch die Vermischung von Analyse- und Quellenbegriff wird zudem nicht analysiert, ob und inwiefern sich die politische Diskussion um staatliche Verbrechen in den Fallbeispielen durch das Argument "Menschenrechte" veränderte oder nicht. Insgesamt hätte dem Buch ein konstruktivistisches Verständnis von Menschenrechten gutgetan, das die Frage ermöglicht hätte, wie Menschenrechte als Argument die (außen)politische Praxis in den 1960ern veränderten. Ein Verorten in der Dichotomie zwischen Real- und Idealpolitik dagegen scheint wenig ertragreich.

Allerdings macht die Arbeit auf weitere Desiderate aufmerksam: Warum stieg seit Ende der 1960er Jahre das Interesse an Menschenrechtsverletzungen in den Medien und der Zivilgesellschaft (nicht nur in Deutschland)? Um dies zu erklären, bedarf es über Verweise auf generelle Trends wie "Liberalisierung" und "Wertewandel" hinaus empirischer Untersuchungen. Außerdem bleibt zu fragen, welche Auswirkungen die Aneignung von Menschenrechten als politischem Argument auf die tatsächlich von Menschenrechtsverletzungen Betroffenen hatten.

Trotz dieser Einwände und offenen Fragen, liefert Rocks Studie wichtige empirische Befunde in einem schnell expandierenden Forschungsfeld.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Jan Eckel: Utopie der Moral, Kalkül der Macht. Menschenrechte in der globalen Politik seit 1945, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), 437-484; Samuel Moyn: The Last Utopia. Human Rights in History, Cambridge 2010.

[2] Vgl. Achim Hurrelmann / Stephan Leibfried / Kerstin Martens / Peter Mayer (Hgg.): Zerfasert der Nationalstaat? Die Internationalisierung politischer Verantwortung, Frankfurt u.a. 2008.

Florian Hannig