Jost Hermand: Politische Denkbilder. Von Caspar David Friedrich bis Neo Rauch, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, 294 S., ISBN 978-3-412-20703-8, EUR 29,90
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Der Autor, Professor emeritus für deutsche Kulturgeschichte an der University of Wisconsin-Madison und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin, präsentiert mit vorliegender Publikation eine Auswahl von Werken der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts mit politischem Hintergrund und fasst diese Sammlung unter dem nicht unproblematischen Titel "Politische Denkbilder" zusammen. Hermand möchte diesen Terminus nur auf solche Werke anwenden, "[...] wenn man ihn lediglich im Hinblick auf solche Kunstwerke verwenden würde, bei deren Themenstellung das jeweils Historisch-Aktuelle, wenn nicht gar 'Gesellschaftlich-Eingreifende' im Brechtschen Sine überwiegt. [...]" (12). Damit ist der weitere Rahmen einer "politischen Ikonographie" angesprochen, deren methodische Implikationen hinsichtlich einer wie immer formulierten Historien- oder Geschichtskunst vom Autor allerdings nicht problematisiert werden.
Schnell wird klar, dass Hermand keine kunstgeschichtliche Problematisierung der von ihm vorgestellten Werke - etwa im Sinne von Warburgs "Schlagbildern" [1] - anstrebt, sondern vielmehr ein Reigen an mehr oder weniger inhaltlich zusammenhängenden Gemälden und Skulpturen im Geflecht autobiografischer Assoziationen sowie einer Einbettung in historisch-politische Kontexte des Nationalismus vorgestellt wird. Dabei erweist sich zusätzlich als störend, dass der Autor bei zahlreichen seiner 17 Analysen auf die Integration neuerer Fachliteratur verzichtet. So hätte etwa Joseph Leo Koerners Friedrich-Buch (1998) Hermand sicher auf einige andere Fährten gebracht. Signifikanterweise sind die meisten Objektmonografien Hermands zu kleinen Künstlerbiografien ausgeweitet, da der Verfasser fast nie mit dem Kunstwerk selbst und mit dessen Struktur argumentiert. In diesem Sinn liest man bei Friedrich mehr über Pietismus und deutsches Nationalbewusstsein bzw. bei Böcklin vor allem über die Gründerzeit. Der spezifische Charakter der Auswahl von "Denkbildern" (in anderem Sinne bereits von Johann Gottlieb Fichte und Walter Benjamin gebraucht!) sowie die nicht unbeträchtlichen rezeptionsästhetischen Aspekte dieses problematischen Begriffs, der mehr deutsches Erbe verrät als vielleicht gewünscht, bleiben hingegen im Dunkeln.
Hermands Interpretation des "weit geöffnete[n] Auge[s] mit einem Strahlenkranz" im Tetschener Altar Caspar David Friedrichs im Sinne von "Wer Augen hat zu sehen, der sehe!" (24) legt zudem eine mangelnde Kenntnis der Typengeschichte der christlichen Ikonografie offen. Ebenso unklar bleibt, was Hermand bei Friedrich mit einem "christgermanischen 'Nationalismus'" (33) meint. Dieser Begriff "christgermanisch" sollte später bei der Analyse der Werke des Malers Fidus wiederkehren (207). Die Interpretation von Ludwig Ferdinand Schnorr von Caroldsfelds "Cäcilia Tschudi" ist mit interessanten persönlichen Erinnerungen des Autors gefüllt, endet aber in einem - auch an anderen Stellen des Buches anzutreffenden - pathetisch formulierten Versuch der Trennung des deutschen Nationalismus im frühen 19. Jahrhundert von dessen späteren verhängnisvollen Instrumentalisierungen. So ist man mit einer summarischen (!) Interpretation von Menzels "Fridericiana"-Gemälden konfrontiert, die sich hauptsächlich auf Fragen des Verhältnisses des Malers zu Friedrich Wilhelm IV. oder Bismarck konzentriert, aber mangels der Einbeziehung von Hubertus Kohles wegweisendem Fridericiana-Buch [2] und dessen minutiöser Analyse von Ikonografie und Erzählstruktur der Gemälde Menzels vorwiegend im Biografischen hängen bleibt, was angesichts von Hermands wichtigem Buch zum "Flötenkonzert" [3] erstaunt. An Emanuel Leutzes berühmtem Gemälde "Washington crossing the Delaware" wird mit einer Aufsplitterung in die amerikanische Funktion als "nationales Ruhmesbild" und die deutsche Instrumentalisierung als "politisches Denkbild" (82) die mangelnde Treffsicherheit des gewählten Leitbegriffs "Denkbild" von Neuem klar. Leider wird auch Böcklins "Abenteurer" (1882) zu sehr in den Kontext nationaler und voluntaristisch verfasster Bestrebungen der Entstehungszeit gestellt, ohne die offensichtlichen Rezeptionen der Renaissancemalerei - mit Ausnahme des Begriffs des "Renaissance-Condottieri [sic!]" (114) - in der Interpretation entsprechend zu berücksichtigen. Ähnliches wäre bei Karl Schmidt-Rottluffs Holzschnitt "ist euch nicht Kristus erschienen" (1919) zu bemerken, den Hermand einerseits in den Zusammenhang der deutschen Novemberrevolution stellt (129), andererseits aber zugleich auf die Bedeutung allgemein-menschlicher Vorstellungen hinweist (130). Ohne Zweifel wäre hier die Frage angebracht gewesen, warum Schmidt-Rottluffs Beischrift Hebräerbrief 9, 26 und damit eine zentrale Stelle der christlichen Opfertheologie interpoliert. Erst auf dieser Basis könnte die von Hermand kenntnisreich skizzierte "ins Halbreligiöse gesteigerte Aufbruchsstimmung" (126) der Entstehungszeit mit zusätzlichen Erkenntnissen gefüllt werden. Auch bei John Heartfields Hitler-Satiren (161-176) stellt sich nicht nur die vom Autor problematisierte Frage nach der Funktion des Nazifaschismus als "Schutzmaßnahme des Monopolkapitalismus" (175), sondern auch jene nach der ikonografischen Einbindung von Heartfields Werken in die europäische Karikatur-Tradition. Welche übergreifende Bedeutung kann eigentlich der zentrale Begriff "Denkbilder" gewinnen, wenn wie im Fall des Werkes "Das Haupt des Führers" (1941) des theosophisch und später nationalsozialistisch ausgerichteten Malers Fidus das Bild nur Teil einer allgemeinen Charakteristik des Malers ist ("höchst bedenkliche politische Denkbilder, in denen die idealistische Verblasenheit und dann die politische Verführbarkeit eines Künstlers zum Ausdruck kommt, [...]") (220)?
Hermands Beispiele dienen als anschauliche Hintergrundfolie für einen Querschnitt durch den Nationalismus und seine Rezeption als zentrales Thema der jüngeren deutschen Geschichte. Die Verflechtung des Historischen mit dem Mythischen bzw. die Ausdifferenzierung nationaldemokratischer und faschistischer Strömungen bis in die jüngere Geschichte der Bundesrepublik fungieren dabei - im Sinne der Funktion der "Geschichte als Waffe" [4] - als tragende und von Hermand engagiert und kenntnisreich vorgetragene Gesichtspunkte. Eine präzise Analyse der Rolle der bildenden Kunst im Kontext dieser umfassenden Themenkreise ist allerdings mit dem methodischen Instrumentarium der (Kultur-)geschichte allein wohl kaum zu bewältigen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Michael Diers: Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart, Frankfurt/M. 1997.
[2] Hubertus Kohle: Adolph Menzels Friedrich-Bilder. Theorie und Praxis der Geschichtsmalerei im Berlin der 1850er-Jahre, München / Berlin 2001.
[3] Vgl. Jost Hermand: Das Flötenkonzert in Sanssouci. Ein realistisch geträumtes Preußenbild, Frankfurt/M. 1988.
[4] Edgar Wolfrum: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen 2002.
Werner Telesko