Rezension über:

Terence James Reed: Mehr Licht in Deutschland. Eine kleine Geschichte der Aufklärung (= Beck'sche Reihe; 1935), München: C.H.Beck 2009, 235 S., ISBN 978-3-406-59304-8, EUR 14,95
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Rezension von:
Sascha Weber
Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Sascha Weber: Rezension von: Terence James Reed: Mehr Licht in Deutschland. Eine kleine Geschichte der Aufklärung, München: C.H.Beck 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/16278.html


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Terence James Reed: Mehr Licht in Deutschland

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Terence James Reed bietet einen historischen Essay, der die deutsche Aufklärung in ihren europäischen Zusammenhang einordnen will. Reed wendet sich an ein breites Publikum und will die Bedeutung und Aktualität der deutschen Aufklärung aufzeigen. Dabei spielt er die Aufklärung gegen das Christentum aus und stellt sich gegen die Position, das heutige Europa und dessen Wertvorstellungen würden auf dem Christentum beruhen. Im Gegenteil, diese Werte seien dem Christentum und der Religion durch die Aufklärung abgerungen worden. Dies versucht er an einer Aufzählung der gängigen Beispiele festzumachen: von den Kreuzzügen über die Inquisition und den Gräueln des Dreißigjährigen Krieges bis zum aktuellen islamisch-fundamentalistischen Terrorismus (10-12).

Das Buch bietet seinem Charakter folgend der Forschung grundsätzlich wenig Neues. Es ist ein aus den literarisch-philosophischen Quellen und weniger aus der Forschungsliteratur entwickelter, wertender Gang durch bekannte Szenen der deutschen Ideen- und Gesellschaftsgeschichte: "Es geht um uns. Der Gegenstand Aufklärung erlaubt keine wissenschaftlich wertfreie Behandlung" (7). Das Interessante dabei ist Reeds Argumentation und sein Umgang mit den Quellen. Reed blickt von außen auf die deutsche Spielart der Aufklärung und gerade dieser "Blick von außen" ist das wirklich besondere seines Essays.

Der Titel seines Buches "Light in Germany" soll provozieren, bei einer englischen Leserschaft, für die "deutsch"" und "Aufklärung" zwei gegensätzliche Begriffe sind. Reed provoziert damit aber auch gleichermaßen seine deutschen Leser, die schmerzlich erfahren müssen, dass die für das Selbstbewusstsein des deutschen Bildungsbürgertums so entscheidende, deutsche Aufklärung im europäischen Ausland nicht nur unterschätzt, sondern überhaupt nicht wahrgenommen wurde und wird. Ebenso wie die großen Zentren der deutschen Aufklärung im Ausland fast unbekannt sind, das Berlin Friedrichs II. bestenfalls als "Außenstelle der französischen Aufklärung" (14) gesehen wird.

Die Ursache hierfür sieht Reed vor allem darin, dass die deutsche Aufklärung überschattet wird von der französischen Aufklärung und der deutschen Klassik. Während die französische Aufklärung mit Polemik, Satire und praktischem Engagement den "Frontalangriff" bevorzuge, habe die deutsche die alten Mauern langsam untergraben und Konfrontationen vermieden (16f).

Die deutsche Klassik hingegen sieht er nicht als in sich geschlossene Phase der deutschen Geistesgeschichte, sondern als Frucht des Aufklärungsbaumes, als Spätaufklärung. Zähle man die großen Dichter und Denker Schiller, Goethe, Kant und Herder gemeinsam mit Lessing zu den deutschen Aufklärern, so könnten es diese leicht mit der französischen Aufklärung aufnehmen. So sind es schließlich auch diese Geistesgrößen, auf die sich Reed im Verlaufe seines Essays immer wieder bezieht, deren Werke er in Bezug zur zeitgenössischen Politik und Kultur setzt, die er in Zitaten selbst zu Wort kommen lässt und aus deren Worten er seine Argumentation ableitet.

Reed beginnt sein Essay mit einer ausführlichen Erläuterung von Kants Aufklärungsdefinitionen und seiner Programmatik einer behutsamen und graduellen Aufklärung, die dem Prozess einen "Anschein der Harmlosigkeit" (30) geben sollte und im Preußen Friedrichs II. langsame Fortschritte erzielte. Dem stellt er das Scheitern der erzwungenen Aufklärung von oben eines Joseph II. gegenüber.

Am Weimarer Beispiel zeigt er, dass die Erziehung und Beratung der Mächtigen durch Aufklärer selten Wirkungen zeigte. Die deutsche Aufklärung wandte sich aus diesen Gründen vor allem dem öffentlichen Raum, der Bühne zu. Über die Geschichtsschreibung der Aufklärung und die Vorteile des deutschen "Weltbürgertums" aus Mangel eines eigenen Nationalstaates führt Reed seine Leser zu der Frage der Toleranz und der berühmten Ringparabel aus Lessings "Nathan der Weise".

Während die Weltumsegelungen Forsters und Humboldts den jungen Darwin inspirierten, leitete die deutsche Gegenaufklärung infolge der Französischen Revolution das vorläufige Ende der Aufklärung in Deutschland ein; bevor sie sich, nach einem ersten Scheitern in der Weimarer Republik, in der Nachkriegs-Bundesrepublik wieder frei entfalten konnte.

Als Errungenschaften der Aufklärung sieht Reed die Befreiung aus den Zwängen der Religion und den Frieden innerhalb eines geeinten Europas. Die Vernunft hätte die Abkürzung zu diesem Frieden sein können: "Seit und trotz Kant hat Europa den längeren, tragischen Weg genommen, der erst sehr spät zu einer friedlichen Union geführt hat" (209).

Eine These seines Essays ist, dass sich Ideen nicht von selbst verwirklichen. Dennoch: obwohl sich die Ideen der Aufklärung in Deutschland nicht sofort durchsetzen ließen, konnten sie nicht mehr ausgerottet werden. Trotz allem habe die Aufklärung letztlich gesiegt, auch wenn sie abermals bedroht sei. Dies stellt er beispielsweise anhand von Bühnenaufführungen fest, die wegen der Proteste religiöser Minderheiten in den letzten Jahren abgesetzt wurden: "Sie [die Aufklärung] hat nach langen Kämpfen [...] das Primat des religiösen Glaubens vor der gesellschaftlichen Ethik umgekehrt. Was ein Papst als Relativismus verunglimpft, ist eine Stärke, auf die man stolz sein kann und soll. Es ist eine Errungenschaft der europäischen Zivilisation, dogmatische Ansprüche relativiert, den Wahn vom absoluten Wahrheitsbesitz entlarvt und so das Fundament für Toleranz und freie Lebensführung gelegt zu haben" (213f).

Reeds Essay ist prägnant und seine Argumentation ist schlüssig. Man merkt dem Buch Reeds germanistische Expertise an, er schöpft reichlich aus Zitaten und Anspielungen der deutschen Literatur. Grundsätzlich wirkt es aber auf den deutschen Leser gelegentlich irritierend, dass versucht wird, ihn von Werk und Relevanz Schillers und Goethes zu überzeugen.

Bei allen Stärken und Schwächen ist Reeds kleine Geschichte der Aufklärung vor allem eines: lesenswert. Reeds Essay kann zwar nicht die versprochene Einordnung der deutschen Aufklärung in den Zusammenhang der europäischen Aufklärungen leisten, sehr wohl aber wichtige Denkanstöße liefern. Sein Eintreten für die Aufklärung in der Gegenwart ist wichtig, wenn es auch fraglich scheint, ob er mit seiner Stoßrichtung auf die Religion als den traditionellen Gegenspieler der Aufklärung tatsächlich auf den richtigen Gegner zielt. Ist doch, bei allen Verweisen auf den neuen religiösen Fundamentalismus, der Postmodernismus die größere Bedrohung für die Errungenschaften und Ideen der Aufklärung in der heutigen säkularen Gesellschaft.

Sascha Weber