Malgorzata Fidelis: Women, Communism, and Industrialization in Postwar Poland, Cambridge: Cambridge University Press 2010, XIV + 280 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-0-521-19687-1, GBP 55,00
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Einschneidende Umbrüche wie Revolutionen und Kriege bringen es mit sich, dass in ihrem Gefolge soziale Ordnungen wie auch Geschlechterordnungen gesellschaftlich neu verhandelt wurden, fand (und findet) die eine doch ihr Abbild in der anderen. Wie die Rekonfiguration von Geschlechterhierarchien in der Implementierungsphase des Staatssozialismus im Nachkriegspolen erfolgte, zeigt Malgorzata Fidelis, Historikerin an der Universität von Chicago, in ihrem hier zu besprechenden Buch. Um diesen Zusammenhängen nachzugehen, wählt sie Beispiele aus dem schlesischen Kohlebergbau wie der Textilindustrie im ehemals russischen Teilungsgebiet, so dass ihr Sample die eher von männlichen Arbeitskräften geprägte Schwerindustrie ebenso umfasst wie die stärker "weibliche" Textilindustrie, gewachsene Industrieregionen ebenso wie neue, in denen ländliche Traditionen fortwirkten.
Bevor sich Fidelis diesen Fragen jedoch genauer zuwendet, zeigt sie, wie die Geschlechterdichotomie aus männlicher Produktions- und weiblicher Reproduktionssphäre im Nachkriegspolen diskursiv verhandelt wurde: Sozialisten wie Kommunisten propagierten die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und betonten gleichzeitig ihre Rolle als Mütter sowie ihre besonderen Aufgaben in der häuslichen Sphäre. Sie waren sich darin mit vielen Intellektuellen einig, die in den traumatischen Erfahrungen des Krieges destruktive patriarchale Kräfte am Werk sahen und nun die Zeit als reif für ein "neues Matriarchat" erachteten. Selbst Anhänger der katholischen Kirche und Stalinisten fanden in diesen Debatten streckenweise zueinander, wenn sie die Mutterrolle von Frauen herausstellten und daher Abtreibungen ablehnten, wobei katholische Aktivisten sich die Rhetorik des politischen Gegners zur Erreichung eigener Ziele zunutze machten. Geschlechterunterschiede waren somit fester Bestandteil der Debatten über die gesellschaftspolitische Zukunft des Landes.
Auf dieser Grundlage wendet sich die Verfasserin den Arbeitskämpfen in ausgewählten Industriebetrieben zu. Grundsätzlich ist hierbei festzuhalten, dass die reale Situation der Beschäftigten in der unmittelbaren Nachkriegszeit sich zum Teil noch schlechter darstellte als unter deutscher Besatzung. Protestierten Frauen dagegen, so wurde dies von Parteifunktionären meist darauf zurückgeführt, dass sie wenig klassenbewusst und politisch ungebildet seien. Verletzungen von Gesellschafts- und/oder Arbeitsnormen erforderten in dieser Lesart daher eher Erziehung als Bestrafung, was den betreffenden Frauen durchaus Handlungsspielräume eröffnen konnte. Fidelis zeigt jedoch auch, dass den protestierenden Arbeiterinnen andere "Kommunikationskanäle" kaum offen standen, wurden Frauenorganisationen innerhalb der Parteistrukturen doch sukzessive aufgelöst und in den Partei- und Gewerkschaftsgliederungen die Themen der Frauen nur nachrangig behandelt. Auch löste das Regime seine Versprechen gegenüber den Arbeiterinnen kaum in Form von weiterer Ausbildung und besseren Stellen ein, so dass materielle Verbesserungen ebenso wie sozialer Aufstieg ihnen, anders als den Männern, in der Regel verwehrt blieben. Gerade im Hinblick auf die zum Teil massiven Arbeitsniederlegungen in den Textilbetrieben machte das Regime dafür vor allem ältere Frauen verantwortlich, die ihre politische Sozialisation bereits in der Zwischenkriegszeit erhalten hatten und die durch die Parteiinstitutionen nun besonders als politisch rückständig verunglimpft wurden. Bedrohlich erschienen den Parteiführern diese Betriebe auch deswegen, weil sie hier kaum Informanten fanden, so dass sie nicht bereits im Vorfeld auf bevorstehende Streiks aufmerksam wurden. Die Verfasserin beschreibt ausführlich, dass die aus Parteisicht effektivste Antwort auf diese Problemlage darin bestand, neue Betriebe aufzubauen, in denen ein "neues" weibliches Proletariat arbeitete: Junge Frauen, die aus den ländlichen Regionen Polens stammten und in den Fabriken nicht nur den Sozialismus aufbauen halfen, sondern die stolz auf ihren sozialen Aufstieg und dem Staat gegenüber loyal waren.
Frauen arbeiteten jedoch nicht nur in Textilunternehmen, sondern zumindest in der ersten Hälfte der 1950er Jahre konnten sie auch im Bergbau unter Tage ihr Geld verdienen. Diese lukrativen Beschäftigungen standen Arbeiterinnen ab 1956 jedoch nicht mehr zur Verfügung: Im Rahmen der eingangs beschriebenen Debatten um die Sozial- und Geschlechterordnung hatten sich jene Kräfte durchgesetzt, die diese Beschäftigungsverhältnisse als "unweiblich" und mit der "Natur" der Frauen nicht zu vereinbaren denunzierten, seien sie doch der Gebärfähigkeit abträglich. Dadurch jedoch sei das Wohl der polnischen Nation gefährdet. Diese Entwicklung ist im größeren politischen Kontext der Entstalinisierung zu betrachten. Zugespitzt: Die emanzipierte Traktoristin galt in der poststalinistischen Phase als "unpolnisch" und "russisch". Solche Stimmen hatte es zwar auch zuvor schon gegeben, doch konnten sie erst jetzt politisch wirkmächtig werden: Im Bergbau verloren Arbeiterinnen auch gegen erbitterten Widerstand ihre gut bezahlten Stellen. Fidelis legt dabei dar, wie stark diese Politik an Vorkriegstraditionen anknüpfte und kommt deswegen folgerichtig zu dem Schluss, dass es sich hierbei um ein Mittel "to reassert national identities" (205) gehandelt habe.
In der Summe zeigt Malgorzata Fidelis die vielfältigen Brüche in der stalinistischen und poststalinistischen Genderpolitik und verweist besonders auf die (vermeintlich) größeren Gestaltungsspielräume in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhängen wie auch darauf, dass der Versuch der Wahrnehmung von Chancen in diesen Kontexten häufig markanten sozialen und politischen Druck hervorrief, wie sich an den Verdrängungsprozessen ab 1956 zeigt. So liest sich das Buch insgesamt anregend und im Hinblick darauf, wie Sozialordnungen qua Geschlechterordnung neu verhandelt wurden, mit Gewinn. Eine gewisse Skepsis jedoch scheint im Hinblick darauf angebracht, dass Polen in diesen Fragen im Kontext des Staatssozialismus eine Sonderposition eingenommen habe. Dies scheint der Rezensentin noch der genaueren Überprüfung im Rahmen eines analytisch angelegten Vergleichs zu bedürfen. Es sei hier nur die Tschechoslowakei erwähnt, in der es zwischen 1948 und 1953 zu mehr als 200 durchaus größeren Streiks kam. Allein 146 entfallen davon auf das Jahr 1953. Sie alle sind in der Forschung bisher wenig berücksichtigt worden, nicht zuletzt, weil sie durch die Ereignisse in der DDR im gleichen Jahr, sowie dann 1956 in Ungarn überschattet wurden und weil sie sich als nicht systemgefährdend erwiesen, sich somit nicht in das Narrativ des Kalten Krieges haben einschreiben lassen. Erst der systematische Vergleich würde uns Antwort auf die Frage nach der Bedeutung von Faktoren wie "katholische Kirche" (Polen) oder "Traditionen einer dynamischen kommunistischen Bewegung" (tschechischer Landesteil der Tschechoslowakei) geben, wobei dringend für eine Einbeziehung der Slowakei plädiert wird, die sich in manchen Aspekten Polen ähnlicher zeigen dürfte, in anderen wiederum den böhmischen Ländern. Malgorzata Fidelis hat uns also auch mit Fragen für die weitere Forschung versorgt.
Tatjana Tönsmeyer