Gabriel Paquette (ed.): Enlightened Reform in Southern Europe and its Atlantic Colonies, c.1750-1830 (= Empires and the Making of the Modern World, 1650-2000), Aldershot: Ashgate 2009, XVIII + 404 S., ISBN 978-0-7546-6425-3, GBP 55,00
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Es ist schon selten, dass ein Buch noch vor dem Erscheinen ausgezeichnet wird, doch der Aufsatz des Herausgebers Gabriel Paquette wurde bereits als "draft version" mit den JISLAC PostDoctoral Essay prize ausgezeichnet. So darf man durchaus auf die Lektüre gespannt sein.
Ausgangspunkt der versammelten Aufsätze ist, so betont Paquette in seiner Einleitung, die in der Forschung weit verbreitete Sicht von einer Rückständigkeit der Iberischen Halbinsel und der überseeischen Gebiete zu hinterfragen. Aufgeklärte Reformen werden eben, so macht Paquette deutlich, vielfach lediglich als Reaktion auf in Zentraleuropa entwickelten Ideen verstanden; der iberischen Welt wird aber eine eigene Originalität abgesprochen (vgl. Introduction, 2-3). Diese Einschätzung zu revidieren oder zumindest in Frage zu stellen, ist das Ziel von Paquette, der dafür mit 21 Aufsätzen auf 404 Seiten einen recht weiten Überblick über die Sattelzeit, die für den Band von 1750-1830 gespannt wird, bietet. Hervorgegangen ist der Band aus einer Tagung, die im Dezember 2007 im Trinity College in Cambridge stattfand.
Spanien, Italien, Frankreich und Portugal inklusive ihrer Besitzungen in Übersee gilt aufgrund der Verbindungen durch Dynastie, Sprachverwandtschaft und geographische Situation am Mittelmeer die Aufmerksamkeit. Diesem geographischen Bereich wendet sich der Band in fünf Abschnitten zu. Im ersten Teil erfolgt eine allgemeine Ländereinführungen zum "Spanish Empire", Italien, Frankreich und Portugal/Brasilien. Dem folgen Einzelstudien zur Rezeption von Texten und Ideen in Teil II, der Umsetzung von Reformen in Teil III, den fiskalischen Reformen in Teil IV und eine Diskussion über die Grenzen der Reformen des Aufgeklärten Absolutimus.
Der Herausgeber, Gabriel Paquette, der als Junior Research Fellow am Trinity College in Cambridge arbeitet, konnte eine große Zahl von Beiträgerinnen und Beiträgern aus Europa und Nordamerika und einen Beiträger aus Brasilien zusammenführen. Dabei sind sowohl junge Forscherinnen und Forscher, wie bereits schon länger lehrende Wissenschaftler versammelt, so dass auch der Forschungsansatz einige Breite verspricht. [1]
Es wird im Vorwort zurecht darauf verwiesen, dass die iberischen Länder keine ausreichende Aufmerksamkeit erhalten haben und gerade hier der Blick nicht a priori auf die Frage der Rezeption aufklärerischer Ideen, sondern eher auf das Wirken des aufgeklärten Absolutismus mit seinen Regierungsmaßnahmen, Reformen und Gesetzen gelegt werden sollte. Wie alle Tagungsbände sind die Aufsätze von unterschiedlicher Qualität, allerdings im Band auch von stark unterschiedlicher Länge. Es ist legitim, Einführungsaufsätze als kurze Skizze zu verstehen, doch wäre es für den Leser hilfreich gewesen, diese Konzeption am Anfang des Bandes gleich deutlich zu machen.
Die behandelten Beiträge im Hauptteil können - wie jeder Tagungsband - lediglich Einblicke in ein sehr breites Thema geben. Die Gewichtung des Bandes ist durchaus ausgewogen, wenngleich das spanische Weltreich deutlich mehr Aufmerksamkeit findet. Frankreich wenden sich drei, Italien vier, Portugal drei, Spanien jedoch sieben Aufsätze zu. Ziel des Bandes ist es, ausgehend von der Betrachtung von Aufklärung als kommunikativer Praxis, die Veränderungen von Reformabsichten durch die große Erstreckung von Imperien genauso zu betrachten, wie den Umgang mit Aufklärung in Südeuropa und Amerika. Den ganzen Band soll die Frage durchziehen, was die süd- und außereuropäische Aufklärung grundsätzlich von ihrer zentraleuropäischen Schwester scheidet.
Nach vier kurzen Überblicken über den Forschungsstand zu Italien, den spanischen, französischen und portugiesischen Monarchien, schließen sich die Einzeluntersuchungen gegliedert in drei Schwerpunktthemen an. John Shovlin kann die - trotz Einschränkungen durch die Zensur - große Literaturproduktion in Frankreich zu wirtschaftlichen Themen hervorheben. Der Aufsatz von Victor Peralta Ruίz vermag an einer Reihe von Beispielen deutlich zu zeigen, wie sich Madrid teilweise darum mühte, die Werke von Ex-Jesuiten zur Verteidigung der bisherigen Politik in Amerika gegen Raynal, Robertson und de Pauw zu nutzen, dabei aber aufgrund der eigenen Politik gegen die Jesuiten natürlich schnell an Grenzen der Zusammenarbeit gelangen musste. Auch der Aufsatz von Jordana Dym beschäftigt sich mit Medien, diesmal allerdings mit einer der drei Ende des 18. Jahrhunderts kurz erscheinenden Zeitungen Lateinamerikas und deren Träger, eine Richtung, die auch der Beitrag von Luiz Carlos Villalta über die Leserkreise in der lusitanischen Welt einschlägt. Der dritte Teil, der hauptsächlich den Staat als Träger der Reform in den Fokus nimmt, spannt einen weiten Bogen. Es werden die gescheiterten Reformversuche in den französischen Antillen (Pernille Roge), ein Blick auf den spanischen Hof (Charles Noel) und das koloniale Peru (Kenneth J. Andrien) in Bezug auf die versuchte Umsetzung der Neuordnung der Gemeinden durch das Herauslösen aus der Ordensverantwortung untersucht. Lediglich der Aufsatz von Christopher Storrs über das norditalienische Savoyen fällt als Fremdkörper aus diesem Überblick etwas heraus. Weiterführende Linien, da sie die Grenzen der Reformmöglichkeiten ausleuchten, präsentieren die Aufsätze von Florian Schui über die französische Debatte zu Steuer- und Finanzreformen, von Manuel Lucena Giraldo zu den Grenzen der Reformen in Spanisch Amerika, besonders von Nuno Goncalo Monteiro, der am Beispiel von Pombal, der eben kein "Premierminister" war, die Schwierigkeiten von Reformministern aufzeigt und schließlich Matthew Brown, der einen Ausblick in die Rivalitäten der frühen Unabhängigkeitsbewegung unter Simón Bolίvar wirft. Die verschiedenen biographischen Studien in allen drei Kapiteln beschäftigen sich exemplarisch mit ganz unterschiedlichen Personen, so Francesco Mario Pagano (Melissa Calaresu), Paolo Mattia Doria (Sophus A. Reinert), Ferdinando Galliano (Koen Stapelbroek), Francisco Xavier de Gamboa (Christopher Peter Albi) und José da Silva Lisboa (Gabriel Paquette). Sie zeigen anschaulich die Diskussion um die richtige Richtung von Reformen anhand der Positionen von Einzelpersonen und lassen deren Standpunkt in größeren Diskussionszusammenhängen deutlich werden.
Wie bei jedem Tagungsband ist es schwer, die verschiedenen Beiträge als Antworten auf die Eingangsfragen zu verstehen. Sie sind mehr ein Strauß von Überlegungen aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Die Stärke des Buches liegt in den vielen gut recherchierten Einzelstudien, die einem weiteren Publikum den aktuellen Stand der Debatten mit Literatur auf Französisch, Portugiesisch, Spanisch, Italienisch, Englisch und vereinzelt auch Deutsch präsentieren. Drei Aufsätze greifen zudem auf eigene umfangreichere Archivrecherchen zurück.
Der Band bietet damit einen sehr guten Überblick über die Breite des Themas. Es ist kein Handbuch zur Aufklärung in Südeuropa und seinen Kolonien, aber wer würde dies auch von einem Tagungsband erwarten wollen. Der abschließende und durchaus zurecht ausgezeichnete Aufsatz von Paquette zeigt klar strukturiert und durchdacht, wieviel noch zur Aufklärung in Südeuropa geforscht werden kann und dass von hier aus viele eigenständige Initiativen ausgingen und man diese Zeit nicht einfach als "Counter Enlightenment" verstehen kann.
Anmerkung:
[1] Vgl. die Stellungnahmen von Paquette zu seinem Buch in der Havardgazette: http://news.harvard.edu/gazette/story/2010/06/innovations-from-southern-europe/ Zugriff (8.3.2011).
Ludolf Pelizaeus