Thomas M. Scholz: Reichsschulden, Privilegien, Handelsverträge und deren Implikationen auf einen Staatsbildungsprozess. Eine Analyse der Interaktion zwischen Schweden und Lübeck zum Ende der Nordischen/Kalmarer Union in der Perspektive der politischen Kommunikation (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit; Bd. 64), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2011, 336 S., ISBN 978-3-8300-4975-3, EUR 85,00
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Norbert Angermann / Karsten Brüggemann / Inna Poltsam-Jürjo (Hgg.): Die Baltischen Länder und Europa in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015
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Die vorliegende Monographie beruht auf einer Dissertation, die 2009 an der Universität in Greifswald verteidigt worden ist. Sie zeichnet die Beziehungen zwischen der Freien Reichs- und Hansestadt Lübeck und dem Königreich Schweden in den 20er und frühen 30er Jahren des 16. Jahrhunderts nach. Der behandelte Zeitraum ist kurz. Er wird durch das Ende der Kalmarer Union (1521/23) und das Geschehen unmittelbar vor Ausbruch der Grafenfehde (1533/34-36) definiert. In Skandinavien manifestierten sich in dieser kurzen Spanne zwei eigenständige Konglomeratstaaten mit jeweils einer neuen, durch Usurpation auf den Thron gelangten Dynastie. Auch für Lübeck stellt sich der gewählte Zeitraum als eine Zeit der Umbrüche dar, die 1532 in einen neuen Magistrat unter der Leitung des Bürgermeisters Jürgen Wullenwever mündete, der, um Lübecks handelspolitische Vormachtstellung in der Ostsee zu verteidigen, eine aggressive Außenpolitik führte.
Das Ziel der Studie ist es, anhand einer Analyse der Interaktion Lübecks mit Schweden nachzuvollziehen, "in wiefern die schwedische Unabhängigkeit die traditionellen Handelsverbindungen Lübecks mit Schweden beeinflusste" (9). Weiterhin möchte der Autor die Frage beantworten, in wieweit sich Schweden mit dem Privileg von Strängnäs (1526) eine "prästaatliche Unabhängigkeit gegenüber Dänemark" von Lübeck und den anderen wendischen Städten erkaufte.
Die politischen Verhältnisse bildeten die Rahmenbedingungen für den Handel. Lübeck als Handelsstadt war bestrebt, diese Rahmenbedingungen zu gestalten. Die Stadt an der Trave unterhielt einen bedeutenden Handel mit Schweden. Der Magistrat unterstützte gegen entsprechende Privilegien den Aufruhr Gustav Eriksson Vasas, der in die Unabhängigkeit Schwedens von Dänemark mündete. Das führte dazu, dass der schwedische Außenhandel zu großen Teilen von Lübeck dominiert wurde. Höhepunkt dieser Entwicklung war das 1526 erteilte Privileg von Strängnäs. Auf der anderen Seite war Schweden bestrebt, sich nicht in eine dauerhafte Abhängigkeit von Lübeck zu begeben. Zwar wurden die von Lübeck gewährten Kredite weitgehend abgezahlt. Schweden knüpfte aber frühzeitig Kontakte zu den Niederländern und anderen Handelsmächten an, was letztendlich zum Bruch mit Lübeck und zu militärischen Auseinandersetzungen im Rahmen der Grafenfehde führte.
Scholz definiert Macht als Möglichkeit zur Durchsetzung von Interessen (11). Die Entwicklung bis hin zum Konflikt zwischen den beiden Akteuren Lübeck und Schweden versteht er deshalb als eine Auseinandersetzung um Ressourcen und um die Dominanz des Handels in Schweden. Dabei standen sich eine eher mittelalterlich geprägte städtische Wirtschaftsform und eine entstehende, staatlich organisierte Wirtschaftsform gegenüber. Schweden befand sich mit dem Aufbau eines eigenen Handelssystems und der Förderung seiner urbanen Zentren auf dem Weg zum frühmodernen Machtstaat. Dieses Spannungsfeld zwischen machtpolitischer und wirtschaftspolitischer Perspektive steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit.
Neben der Einleitung und dem zusammenfassenden Schlussteil ist die Arbeit in sechs Hauptkapitel unterteilt. Im ersten Kapitel analysiert Scholz die Strukturen des lübisch-schwedischen Handels und die Bedeutung des lübischen Ostseehandels im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert. Dabei wird auch das Verhältnis Lübecks zu Dänemark thematisiert. Lübeck war aufgrund seiner wirtschaftsgeographischen Lage und wegen der Bedeutung des Öresunds auf ein gutes Verhältnis zu Dänemark angewiesen. Andererseits waren auch die schwedischen Märkte ein lebenswichtiges Element des lübischen Zwischenhandels, das es zu erhalten galt. Das Auseinanderbrechen der Kalmarer Union mit der Folge der Unabhängigkeit Schwedens von Dänemark stellte die Hansestadt vor erhebliche Herausforderungen. Dieser Punkt wird im zweiten Hauptkapitel thematisiert.
Im dritten Hauptkapitel geht es um das Privileg von Strängnäs. Detailliert werden die Verhandlungen zwischen Lübeck und Gustav I. Vasa dargestellt, ebenso die Bedeutung und Folgewirkungen des Vertrages, der Lübeck umfassende Vergünstigungen in Schweden einräumte. In Kapitel 4 wird die Abzahlung der von Lübeck an Schweden gewährten Kredite bis 1526/27 thematisiert.
Das fünfte Hauptkapitel ist mit "Auf dem Weg zum Bruch zwischen Schweden und Lübeck" überschrieben. Behandelt werden die diplomatische Vorbereitung und der Aufbau eines nicht-hansischen, das heißt, eines nicht lübisch dominierten Handelssystems in Schweden. Zur Sprache kommen sowohl der ländliche wie auch der städtische Handel, der Ausbau und die Privilegierung der Stapelstädte sowie Schwedens Handel mit Ost- und Westeuropa.
Der letzte Abschnitt thematisiert laut Kapitelüberschrift die beginnende Einbindung Schwedens in das System der europäischen Staaten. Allerdings beschränkt sich der Autor auf die Punkte Brautwerbung, den Konflikt mit dem abgesetzten Unionskönig Christian II. und das Verhältnis zu den Niederlanden. Die übrigen Unterkapitel behandeln die innenpolitischen Verhältnisse in Lübeck bis zum Beginn der Wullenweverperiode und erneut die Frage der Begleichung der Schulden des schwedischen Reichs an Lübeck.
Es handelt sich um eine quellengesättigte Arbeit, die wichtige Einblicke in die Beziehungen zwischen der Hanse und Skandinavien erlaubt. Am Beispiel Lübecks und vor allem Schwedens verdeutlicht sie einmal mehr den sich im 16. Jahrhundert im Ostseeraum vollziehenden politischen und wirtschaftlichen Strukturwandel. Allerdings gibt es auch eine Reihe von kritischen Anmerkungen. Thomas Scholz setzt sich mit der Bezeichnung "Kalmarer Union" auseinander. Er greift die Kritik Harald Gustafssons [1] auf, dass es sich um keinen zeitgenössischen Begriff handele. Deshalb verwendet er die aus der Zeit Königin Margaretes I. bekannte Benennung Union "dessa tre riken" (dieser drei Reiche) bzw. auch "Nordische Union". Die Bezeichnung "Nordische Union" sollte durchweg vermieden werden, da sie missverständlich ist. Immerhin hat es eine Reihe nordischer Unionen vom Mittelalter an bis 1905 gegeben. Und es ist durchaus zu hinterfragen, ob ein in der Historiographie fest etablierter Begriff wie "Kalmarer Union" zugunsten eines komplizierten zeitgenössischen Begriffs aufgegeben werden sollte.
Überhaupt die Sprache - die Publikation stellt Leser, die des Schwedischen nicht mächtig sind, vor erhebliche Herausforderungen. Ganze Kapitel bestehen überwiegend aus schwedischsprachigen und niederdeutschen Quellenzitaten, zum Beispiel Kapitel 3.2 (85-94) und Kapitel 6.2 (230-249). Lesern, die der schwedischen Sprache unkundig sind, wird es kaum möglich sein, wesentliche Teile dieser Kapitel zu verstehen.
Dazu fehlt häufig eine kritische Auseinandersetzung mit den Quellenbelegen. Oft werden Aussagen aus den Quellen ungeprüft oder unkommentiert übernommen. Gerade in Streitfällen wie zum Beispiel bei Schuldfragen sind die Inhalte vieler Dokumente oft einseitig aus der Sicht einer Partei verfasst. Hier muss sorgfältig abgewogen werden, ob man den Inhalten trauen kann oder nicht. Sinnvoller wäre es, Argumentationsketten aufzubauen und dann ausgewählte Quellenzitate als Beleg für eigene Schlussfolgerungen anzuführen. Und wichtige Dokumente wie das Privileg von Strängnäs bräuchten dann nicht im Kapitel untergebracht zu werden, sondern könnten in einem Anhang abgedruckt werden. Zahlreiche grammatikalische und orthographische Fehler sowie extrem verschachtelte Sätze seien nur am Rande vermerkt und weisen auf ein fehlendes Lektorat hin.
Anmerkung:
[1] Harald Gustafsson: Gamla riken, nya stater. Statsbildning, politisk kultur och identiteter under Kalmarunionens upplösningsskede 1512-1541, Stockholm 2000, 52.
Joachim Krüger