Rezension über:

Julian Hanich: Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers. The Aesthetic Paradox of Pleasurable Fear (= Routledge Advances in Film Studies; 5), London / New York: Routledge 2010, XI + 301 S., ISBN 978-0-415-87139-6, GBP 85,00
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Rezension von:
Rayd Khouloki
Universität Flensburg
Redaktionelle Betreuung:
Henning Engelke
Empfohlene Zitierweise:
Rayd Khouloki: Rezension von: Julian Hanich: Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers. The Aesthetic Paradox of Pleasurable Fear, London / New York: Routledge 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/20367.html


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Julian Hanich: Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers

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Der Horrorfilm als eines der ältesten und populärsten Filmgenres erfährt in den letzten zehn Jahren verstärkt Aufmerksamkeit. In der Öffentlichkeit häufig noch verfemt und als intellektuell minderwertig abgestempelt, aber dennoch breit rezipiert, versuchen neuere Studien, vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum, dem Genre jenseits moralischer Urteile zu begegnen und ihn als breit rezipiertes Phänomen der Medienkultur zu analysieren. Einen sehr lesenswerten Beitrag dazu leistet der deutsche Filmwissenschaftler Julian Hanich mit seiner auf 319 Seiten ausgeführten Studie, in die er auch das verwandte Genre des Thrillers einbezieht.

Hanich erklärt den Reiz von Horrorfilmen aus der Körpererfahrung des Zuschauers heraus. Er setzt sich damit von kulturhistorischen Ansätzen ab, die sich mit Filmen einer Epoche oder einer Region beschäftigen, ebenso wie von Untersuchungen, die aufbauend auf Emotions- und Kognitionstheorien die Wahrnehmung von Horrorfilmen analysieren. Präziser müsste man bei Hanich von Leiberfahrung sprechen, denn der Autor wählt einen phänomenologischen Ansatz. Er unterscheidet damit zwischen dem Körper als Gegenstand und dem Leib als Instrument und Basis subjektiver Erfahrung. Die phänomenologische Betrachtungsweise hat hier zum Ziel, die spezifische Filmerfahrung "cinematic fear" (38) zu beschreiben, die Hanich in die fünf Unterkategorien "direct horror", "suggested horror", "shock", "dread" and "terror" ausdifferenziert. Die Rezeptionsbedingungen, die dabei berücksichtigt werden, bleiben auf die Filmrezeption in Multiplexkinos eingegrenzt.

Der erste der insgesamt drei Teile steckt das Feld der Untersuchung ab. Unterschiede zwischen Furcht ("fear") und Angst ("anxiety") werden ebenso erläutert wie die Grenzen von kognitivistischen Studien und Ansätzen, die sich auf die Kinotheorie Gilles Deleuzes berufen. Weiterhin werden die Funktionen von Genrebezeichnungen diskutiert.

Der Autor wendet sich dezidiert gegen eine moralisierende Betrachtung von Filmgenres, die vorrangig auf körperliche Reaktionen beim Zuschauer abzielen, wie der Horrorfilm oder die Pornografie. Er beabsichtigt über eine Beschreibung der subjektiv erlebten Furcht des Zuschauers während der Rezeption, deren sinnstiftendes Moment in der Gesellschaft zu erfassen, in der die Filme produziert und konsumiert werden. Der phänomenologische Ansatz folgt mit logischer Konsequenz aus dieser Zielsetzung, da er die Erfahrung des Zuschauers auf verschiedenen Ebenen beschreibbar macht. So marginalisiert er Emotionen nicht, wie etwa kognitive Ansätze, und er vernachlässigt auch nicht, wie naturwissenschaftliche Methoden, die auf der Messbarkeit körperlicher Reaktionen basieren, die subjektiv erlebte Erfahrung.

Das methodische Vorgehen in der Ausführung der Typologie im zweiten Teil erfolgt auf der Basis von Analysen filmischer Strategien, die den jeweiligen Typus von "cinematic fear" erzeugen. Um eine bessere Anschaulichkeit zu erreichen, eröffnen kurze Beschreibungen von jeweils drei Filmszenen die Kapitel. Die Analysen zielen vor allem auf Strategien der Inszenierung in den jeweiligen Szenen und nicht etwa auf narrative Muster, die den ganzen Film betreffen. Sie geben Aufschluss über die Erfahrungen, die durch die filmischen Strategien konstituiert werden, und ermöglichen die Formulierung der jeweiligen Typen. Den Anspruch, eine bis zu einem gewissen Grad allgemeingültige Erfahrung abzuleiten, die eine Szene auslöst, ermöglicht die Prämisse, dass alle Zuschauer eine körperliche Beschaffenheit gemein haben: "we all share the ontological conditions of human embodiment." (40) Auf diesen Gemeinsamkeiten bauen die Analysen auf, um die unterschiedlichen ästhetischen Erfahrungen filmisch erzeugter Furcht zu klassifizieren.

Einen Teil dieser ästhetischen Erfahrung bildet der Ort der Rezeption. Berücksichtigung finden hier sowohl die Architektur der Multiplexkinos mit ihren erweiterten Sitzen, die eine Individualisierung in der Gemeinschaft der Kinozuschauer fördert, wie die möglichen Kommunikationsformen der Zuschauer während der Filmvorführung untereinander, etwa durch Äußerungen von Angst.

Unschärfen und Überschneidungen der einzelnen Typen sind Typologien inhärent. Sie entwickeln sich aber zu einem Vorteil, wenn die Typologie überschaubar bleibt und die einzelnen Typen gut begründet werden, sodass sie auch als analytisches Instrumentarium anwendbar bleiben. Nur so lassen sie Raum, um bei den Analysen individuierter Ausdrucksgestalten hilfreich sein zu können. Hanichs "Cinematic Emotion" erfüllt diese Kriterien und erweitert die Erforschung des Horrorfilms und Thrillers, indem es die Phänomenologie als Forschungsansatz fruchtbar macht.

Die Grundthese der Studie, die im dritten Teil mit einer ausführlichen Analyse der modernen Gesellschaft verbunden wird, besagt, dass die durch Horrorfilme und Thriller erzeugte Furcht vom Zuschauer genossen wird. Es handele sich dabei nur scheinbar um ein Paradox. Hanich versucht zu belegen, dass mit den Entwicklungen der westlichen Industrienationen eine Entkörperlichung im Alltag einhergehe, zu der die im Kino (Multiplex) erlebte Furcht mit ihrer Körpererfahrung in einer Zuschauergemeinschaft ein Gegengewicht bilde. "Against the backdrop of a culture of disembodiment, the cinema of fear awakens our slumbering bodies by literally moving them into an awareness of aliveness." (234) Die filmisch erzeugte Furcht stellt Hanich zufolge eine besonders umfassende Erfahrung dar, und kann deshalb einen geeigneten Ausgleich zur alltäglichen Tendenz der Entkörperlichung bilden. Sie zeichnet sich durch drei Kriterien aus, die sich in der Ausarbeitung der Typologie herauskristallisiert haben. Ein erstes charakteristisches Element bildet das Spannungsverhältnis zwischen der Tendenz zusammenzuzucken, also Kräften, die sich nach innen richten ("constriction"), und Kräften, die nach außen gehen ("expansion"), etwa durch das Bedürfnis der Situation zu entfliehen: "a pulsating tension, between dominant constriction and attempted expansion." (233) Das zweite Kriterium nennt Hanich "kinaesthisia", also die Erzeugung kinästhetischer Empfindungen durch Horrorfilme und Thriller. Als Beispiele führt er die Typen "terror" und "dread" an. Szenen, bei denen der Zuschauer "terror" empfindet, etwa wenn das Opfer unmittelbar verfolgt wird, versetzen den Zuschauer in einen Zustand der imaginären Beschleunigung, erzeugen Aufgeregtheit und Stress ("acceleration" und "agitation" (233)). Der Zuschauer partizipiert also an der filmischen Beschleunigung durch Bewegung der Figuren, Schnitt, Kameraführung, Musik etc. auf der Leinwand. Hingegen entwickeln Szenen, die "dread" hervorrufen genau das Gegenteil. Hier herrscht eine stille Anspannung, da die Bedrohung noch nicht unmittelbar wahrnehmbar ist. Sie lauert irgendwo im Verborgenen der filmischen Welt und das potentielle Opfer und häufig auch der Zuschauer wissen nicht, was sie erwartet. Die Körpererfahrung äußert sich hier in einem angespannten Verharren im Kinosessel. Das dritte Kriterium, "depth", meint emotionale Tiefe, die von Intensität ("intensity") explizit abgegrenzt wird (234). Sie zeichnet sich durch "a wholesale emotional captivation" und ihre nachhaltige Wirkung über die Zeit der unmittelbaren Rezeption hinaus aus (233f.).

Die Sicherheit des Multiplexkinos als Teil einer großen Gruppe von Zuschauern, mit denen man die Furcht teilt, die die filmische Darstellung erzeugt, ermöglicht den Genuss der Furcht. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass die filmische Welt von der Welt des Zuschauers gänzlich abgetrennt bleibt. Diese Erfahrung versteht Hanich nicht allein als eine passive Erfahrung, die durch das Einwirken des Films entsteht, sondern vielmehr als ein aktives Erfahren der eigenen Körperlichkeit.

Ob man dieser These letztlich folgt, ist nicht entscheidend. Die Argumentation ist fundiert, über das gesamte Buch sehr gut leserlich entwickelt und wirft viele interessante Fragen auf. Damit dürfte diese Studie schnell zu einem Standardwerk für die Erforschung von Horrorfilmen und Thrillern avancieren.

Rayd Khouloki