Harald Klinke: Amerikanische Historienmalerei. Neue Bilder für die Neue Welt, Göttingen: Graphentis-Verlag 2011, 353 S., 47 s/w-Abb., ISBN 978-3-942819-00-8, EUR 29,90
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Die Historienmalerei stand zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Zentrum sowohl künstlerischer Ambitionen als auch öffentlicher Debatten um den richtigen Weg einer Malerei im Aufbruch. Unter den sich verändernden Rahmenbedingungen des bürgerlichen Zeitalters erlebte das Historienbild insbesondere in den Salons der europäischen Kunst-Metropolen seine Blütezeit. Die umfangreiche Forschungsliteratur zu diesem Thema konzentriert sich dementsprechend vor allem auf Frankreich, England, Italien und den deutschsprachigen Raum. Weniger zahlreich sind hingegen Untersuchungen, die der damaligen Peripherie des Kunstgeschehens gewidmet sind. Umso lohnenswerter scheint hier ein Blick über den Atlantik, wo fernab der europäischen akademischen Tradition die Aufgabe der Historienmalerei erst definiert werden musste. Präsentierte zuletzt noch die Ausstellung "Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei" einem breiten Publikum überzeugend die These, dass die Landschaftsmalerei in Amerika die Rolle übernahm, die in Europa der Historienmalerei für die Ausbildung des Nationalbewusstseins ausfüllte [1], so steht im vorliegenden Buch von Harald Klinke dezidiert die Historienmalerei als Bildgattung im Zentrum.
Die frühe Geschichte der amerikanischen Malerei an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert im Dilemma zwischen Aneignung europäischer Vorbilder und kultureller Eigenständigkeit bildet den Ausgangspunkt der Überlegungen Klinkes. In seiner nun im Druck vorliegenden Dissertationsschrift ist der Bilderhaushalt einer Gesellschaft nach dem politischen Umbruch Gegenstand der Untersuchung. Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 und damit einhergehendem Ikonoklasmus folgte nicht nur das übliche Bildervakuum, sondern auch die Frage nach einer neuen nationalen Ikonografie demokratischer Prägung.
Die Studie ist klar strukturiert und gliedert sich in vier Abschnitte, wobei im ersten die koloniale mimetische Bildtradition unter dem Schlagwort des "matter-of-fact" der europäischen idealistisch geprägten Malerei des Grand Style gegenübergestellt wird. Das zweite Kapitel behandelt vor diesem Hintergrund den Versuch, die europäische akademische Tradition der Historienmalerei in den Vereinigten Staaten zu etablieren. Den größten Umfang nehmen im dritten Abschnitt die Überlegungen zur öffentlichen Funktion der Malerei und zur Rolle des Künstlers in der sich neu formierenden pluralistischen Gesellschaft ein. Das abschließende Kapitel resümiert einerseits die vorangegangenen Ausführungen, eröffnet mit den Hinweisen auf angrenzende Bildgattungen und das neu aufkommende künstlerische Medium der Fotografie sowie mit Malern wie Winslow Homer eine inhaltlich und zeitlich über das Dargestellte hinausweisende Perspektive.
Klinke verfolgt die Entwicklung der amerikanischen Historienmalerei in biografischen Skizzen der Protagonisten von Benjamin West und John Singleton Copley über John Trumbull bis hin zu John Vanderlyn. Die Liste der behandelten Maler umfasst daneben auch viele unbekanntere Namen wie den vielen eher als Erfinder geläufige Samuel Morse, der in seiner Bedeutung für die amerikanische Kunstgeschichte ins rechte Licht gerückt wird. Bei dieser Dichte an künstlerischen Positionen erstaunt bisweilen deren Gewichtung, etwa wenn Emanuel Gottlieb Leutzes, der mit seinem "Washington Crossing the Delaware" eine Ikone der amerikanischen Historienmalerei schuf, fast nur im Anmerkungsapparat Erwähnung findet. [2] Dessen ungeachtet lässt sich anhand der Künstlerbiografien aufzeigen, wie sehr die amerikanische Entwicklung in der Kunst auf dem Austausch mit Europa basierte, das einerseits als Inspirationsquelle diente, von dessen dominanter Kultur man sich andererseits abzusetzen trachtete.
Die Kenntnis der europäischen Kunst basierte in Nordamerika überwiegend auf Reproduktionsgrafiken, weshalb für ambitionierte Künstler Studienreisen obligatorisch waren. An der Londoner Akademie übte besonders Joshua Reynolds nachhaltigen Einfluss auf die Studenten aus und machte sie mit der akademischen Tradition und Kunsttheorie vertraut. Die Wechselwirkungen zwischen Nordamerika und Europa werden allerdings nicht als eindimensional dargestellt, denn mit West und Copley waren zwei Historienmaler amerikanischer Herkunft in England äußerst erfolgreich. Mehr noch West, der als Amerikaner ohne kunsttheoretischen Hintergrund die bestehenden Regeln in Frage stellen konnte, erneuerte mit seiner Behandlung eines zeitgenössischen Ereignisses im Gemälde "The Death of General Wolfe" die Historienmalerei. Und Copleys "Watson and the Shark" stellte eine Begebenheit aus dem Leben eines Privatmannes mit den Mitteln des traditionellen Historienbildes dar. [3] Diese Ausweitung der Gattungsgrenzen zog nicht zuletzt ein bis heute akutes definitorisches Problem nach sich. Auf dieses reagiert die Studie mit dem Versuch einer Begriffsdefinition, bei dem Klinke über die Parameter Inhalt und Modus zur Unterscheidung von "Historienbild" und "Historienillustration" je nach Stilhöhe in der Darstellung historischer Ereignisse beziehungsweise von "Ereignisbild" und "Ereignisillustration" bezogen auf zeitgenössischer Ereignisse (57) gelangt. Die Schwierigkeit einer gültigen Definition erweist sich allerdings spätestens dann, wenn der Autor selbst von seinen Begriffsvorgaben abweichend über "moderne Historiengemälde" (87) schreibt. Anschaulichkeit erhält der Unterschied verschiedener Darstellungsmodi mit ihrer jeweils spezifischen Wirkabsicht eher am Bildbeispiel. So lässt die Gegenüberstellung zweier Darstellungen vom Tod des Majors Peirson den reportagehaften Charakter der Illustration (Abb. 16) gegenüber der künstlerischen Verdichtung im Historienbild (Abb. 14) augenscheinlich werden.
Mit der im Bild verhandelten Differenz zwischen historischer und künstlerisch formulierter Wahrheit beziehungsweise der Faktentreue und dem Abweichen von dieser als künstlerische Lizenz, ist eine der Grundsatzdebatten um eine idealistische oder realistische Ausrichtung der Malerei angesprochen. Diese wie auch andere Fragen von Form und Funktion der Historienmalerei werden am Beispiel des großen Staatsauftrags für monumentale Historienbilder zur Ausschmückung der Rotunde im Kapitol minuziös von der ersten Idee bis zur Vollendung 1855 verfolgt. Die langwierige Geschichte der Auftragsvergabe verweist wiederum auf den geschichtlichen Hintergrund der amerikanischen Revolutions-Gesellschaft in der Krise, die sowohl die Auftraggeberseite als auch die Kunstproduzenten stark beeinflusste. Mit der Problematik verbindet sich nicht zuletzt auch die Frage nach dem zu adressierenden Publikum der Kunst. [4] Klinke kommt zu dem Ergebnis, dass Künstler wie Trumbull und Morse mit ihrem Versuch scheiterten, die akademische Historienmalerei nach europäischem Vorbild in den USA zu etablieren, da sie auf eine gänzlich andere Auftragsgeberschicht als in Europa stießen. Hier seien weder die öffentlichen Aufträge zu erwarten gewesen, noch sei der der Historienmalerei zugrundeliegende Bildungsstandard erfüllt. Es scheint allerdings fraglich, ob die zu diesem Schluss führende Prämisse, dass die europäische Kunst noch wesentlich von der Aristokratie geprägt sei, so zutreffend ist. War es nicht gerade das aufstrebende Bürgertum als neues Publikum wie als Auftraggeber, dem sich wesentliche Erneuerungsbewegungen der Gattung verdanken? Die Diskurse um den zur Rezeption von Bildsujets notwendigen Bildungskanon wurden letztlich unabhängig vom politischen System einer Gesellschaft geführt. Für die amerikanische Malerei kann ebenso wie etwa für zeitgleiche Bestrebungen der vaterländischen öffentlichen Wandbildprogramme unter Peter Cornelius in München oder Düsseldorf ausgesagt werden, dass eine Abkehr von klassischen Bildsujets und eine Hinwendung zu größerem malerischem Realismus mit der Absicht einer populäreren Wirkung angelegt sind. Diese machten sich aber ebenso das Bürgertum wie die Aristokratie für ihre jeweilige Propaganda zunutze.
Auf den letzten Seiten des Buches erweitert Klinke die Perspektive über die Gattungsgrenzen hinaus, was vor dem Hintergrund einer fehlenden akademisch sanktionierten Gattungshierarchie in Amerika sehr sinnvoll ist. Hier eröffnen sich im Verhältnis der Historienmalerei zum Genre, aber gerade auch zur Landschaftsmalerei noch weitere Aspekte, deren vertiefende Betrachtung lohnenswert erscheint. Denn vom Scheitern des transatlantischen Kulturtransfers, wie es Klinke in der Fokussierung auf die Historienmalerei konstatiert, kann mit Blick etwa auf die Düsseldorfer Malerschule und ihre zahlreichen Verknüpfungen mit der Neuen Welt kaum die Rede sein. [5] Gleichwohl gelingt es Klinke mit seiner Publikation, das Wissen um die frühe amerikanische Historienmalerei zu vertiefen und somit der Debatte um den transatlantischen Kulturtransfer eine weitere Facette hinzuzufügen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Ortrud Westheider (Hg.): Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei, Ausst. Kat. Bucerius Kunst Forum, Staatsgalerie Stuttgart, München 2007.
[2] Zuletzt dazu Jochen Wierich: Gegen den Strom. "Washington überquert den Delaware" und das Ende der Geschichtsmalerei, in: Die Düsseldorfer Malerschule und ihre internationale Ausstrahlung 1819-1918, hg. von Bettina Baumgärtel, Ausst. Kat. Museum Kunstpalast, Petersberg 2011, Bd.1, 213-217.
[3] Grundlegend dazu Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993, 58-80.
[4] Vgl. Nicolai Cikovsky Jr.: Demokratischer Illusionismus, in: America. Die Neue Welt in Bildern des 19. Jahrhunderts, hg. von Stephan Koja, Ausst. Kat. Österreichische Galerie Belvedere, München 1999, 33-41.
[5] Vgl. Katharina und Gerhard Bott (Hgg.): Vice versa. Deutsche Maler in Amerika, amerikanische Maler in Deutschland 1813-1913, Ausst. Kat. Deutsches Historisches Museum, München 1996.
Ralph Gleis