Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Hg.): KZ-Friedhöfe und -Gedenkstätten. "Wenn das neue Geschlecht erkennt, was das alte verschuldet..." . Bearbeitet von Constanze Werner, Regensburg: Schnell & Steiner 2011, 440 S., 158 farbige Pläne, ISBN 978-3-7954-2483-1, EUR 49,95
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Der vorliegende Band bietet eine Zusammenstellung sämtlicher KZ-Friedhöfe in Bayern, für die die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen seit 1949 zuständig ist. Es handelt sich um eine nach Regierungsbezirken gegliederte Dokumentation der Grabstätten von KZ-Häftlingen in Bayern, die in Beschreibungen, großformatigen Fotografien und grafisch ansprechenden Karten aufgeführt werden. Etwa ein Viertel des Bandes wird von Gräberlisten mit den Namen der Opfer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen beansprucht.
Irreführend ist die im Titel enthaltene Formulierung "Gedenkstätten", da darunter gemeinhin die KZ-Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg verstanden werden, die jedoch genau nicht enthalten sind, weil sie seit den 1990er Jahren nicht mehr zur Schlösserverwaltung, sondern seit 2004 zur Stiftung Bayerische Gedenkstätten gehören (10). Interesse und Erwartungshorizont der Leser orientieren sich eher an einem Thema als an der behördlichen Aufteilung von Zuständigkeiten, so dass es vernünftiger gewesen wäre, Dachau und Flossenbürg miteinzubeziehen. Dazu kommen die auf dem städtischen Friedhof Penzberg beerdigten Opfer sogenannter Endphasenverbrechen (118 ff.), die weder mit Todesmärschen noch Konzentrationslagern zu tun haben.
Der einleitende Aufsatz von Constanze Werner befasst sich mit den Todesmärschen in Bayern. Diese verliefen vergleichsweise kurz: während Transporte aus Auschwitz wochen-, ja monatelang unterwegs waren, blieben die Todesmärsche aus den bayerischen KZ Flossenbürg und Dachau und deren Außenlagern auf etwa zwei bis drei Wochen (ab Mitte April 1945 bis Anfang Mai 1945) begrenzt. Für Flossenbürg sind über 5.400 Tote festgestellt (22), für Dachau etwa 3.000 (28), wobei die Quellenlage äußerst schwierig ist. In der Nachkriegszeit wurden die Toten teils exhumiert, teils in ihren Massengräbern gelassen.
Die Fokussierung auf die Todesmärsche hebt einerseits diesen Zeitabschnitt wieder ins Bewusstsein, führt andererseits aber auch in die Irre: viele der auf den KZ-Friedhöfen begrabenen Menschen starben eben nicht auf den Todesmärschen, sondern in den Außenlagern während des letzten Kriegsjahrs 1944/45. Der Aufsatz enthält auch sonst faktische Irrtümer: Obwohl das Lager Kaufering VII genannt wurde, befindet es sich eben nicht in Kaufering, sondern in Erpfting (32), die Kontroverse mit der KZ-Gedenkstätte Dachau betraf nicht die Bürgerinitiative in Landsberg, sondern die im benachbarten Kaufering. Es ging dabei nicht um die "Deutungshoheit" (33) in der Gedenkarbeit, sondern um die Absicht des Kauferinger Vereins "Gedenken in Kaufering" sowohl der KZ-Opfer als auch der Heimatvertriebenen (!) in einem gemeinsamen Denkmal zu gedenken, ein Versuch, der erst nach Protesten von jüdischen KZ-Überlebenden unterblieb. Angesichts der in Kaufering auf einem KZ-Friedhof unter geistlicher Anleitung praktizierten Selektionsrollenspiele (!) ist zu überlegen, ob die lokalen Gedenkinitativen nicht doch einer gewissen Anleitung bedürfen.
Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn sich eine Behörde, deren Aufgabe vor allem die Betreuung herausragender historischer Bauten und Kunstschätze ist, sich auch in der Verantwortung für die blutigen Seiten der Geschichte sieht und diesen eine Publikation widmet. Gleichzeitig offenbart dies ein Dilemma: soll man KZ-Friedhöfe und Holocaust-Mahnmale aufwendig auf Hochglanzpapier und mit qualitativ beeindruckenden, wenn auch steril wirkenden Fotos im Vierfarbendruck abbilden, wie man es eben bei der Würzburger Residenz oder den bayerischen Königsschlössern macht - oder fordert die Thematik nicht einen ganz anderen Umgang? Hier ist man immer der Kritik ausgesetzt und wird der mangelnden Sensibilität geziehen werden.
Gravierender scheint aber, dass die guten Absichten von einer unklaren Zielsetzung begleitet werden. Als Leser weiß man nicht so recht, was der Band eigentlich will: für eine Bestandsaufnahme oder einen Rechenschaftsbericht der bayerischen Schlösserverwaltung ist er deutlich zu opulent, für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik der Todesmärsche zu oberflächlich, für eine erinnerungspolitische oder kunsthistorische "Aufarbeitung" zu naiv.
So wird nur das Bekannte neuerlich referiert und das Unbekannte (und Erforschungswürdige) wiederum ignoriert: Die Grabstätten und Gedenkorte sind spätestens seit den verdienstvollen Bänden der bayerischen Landeszentrale [1] und der Bundeszentrale für politische Bildung [2] einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, die jüdischen Friedhöfe in Deutschland sind u.a. in der beeindruckenden Schrift "Haus des Lebens" [3] erfaßt. Eine intensive Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte ist durch anderweitige Publikationen gewährleistet. Dagegen unterblieb eine vollständige Erfassung der Grabstellen und Übersetzung der (hebräischen) Inschriften. Eine ebenfalls wünschenswerte Untersuchung der Entstehung und Gestaltung der einzelnen Friedhöfe würde eine Analyse archivischer Quellen erfordern, darunter auch die erhaltenen (aber nicht umgesetzten) Entwürfe, die beispielsweise im YIVO in New York liegen. Die Ikonographie, das Salbungsvoll-Pastorale der Sprache, die Flucht hinter Bibelzitate fordern dringlich eine weitergehende kunsthistorische und linguistische Einordnung. Die Gräberlisten, die als solche lückenhaft und wenig aussagekräftig sind, könnten - in Kombination etwa mit dem mittlerweile zugänglichen Material des Internationalen Suchdienstes in Arolsen oder den Totenbüchern der KZ-Gedenkstätten - Informationen zu den Opfern liefern. Die Todesmärsche, zu denen zahlreiche zeitgenössische Darstellungen Überlebender aus der frühen Nachkriegszeit vorliegen, bedürften der wissenschaftlichen Erforschung, wie sie Katrin Greiser beispielhaft für Buchenwald geleistet hat. [4]
Die Frage nach der würdigen Gestaltung von Massengräbern hat sich im 20. Jahrhundert der Kriege und Lager häufig gestellt: In der Kurzgeschichte "Evermore" erzählt Julian Barnes von einer Britin, die sich selbst als Expertin für Trauer ("connoisseur of grief") sieht und jährlich das Grab ihres im Ersten Weltkrieg in Frankreich gefallenen Bruders aufsucht, wobei sie weiß, dass viele Gefallene nie identifiziert, andere exhumiert und aufgrund des Frontverlaufs andernorts erneut begraben wurden. Sie leidet an dem Konflikt zwischen ihrer privaten Trauer und dem öffentlichen, administrativ geregelten Gedenken an die toten Soldaten: "Something about the way they had vanished and the way they were now reclaimed was more than she could bear; as if an army which had thrown them away so lightly now chose to own them again so gravely."
Ähnlich hier: So verbrecherisch wie das NS-Regime mit den Leben der KZ-Häftlinge umging, so leichtfertig verfuhr das Land Bayern mit deren sterblichen Überresten: 1949 gab es in Bayern 493 KZ-Begräbnisorte (32), die durch Zusammenlegung in den 50er Jahren auf rund 75 Grabstätten reduziert wurden, was nicht zuletzt dazu führte, dass die Spuren der Todesmärsche in der Landschaft endgültig ausgelöscht wurden. Die bei Kriegsende in Massengräbern verscharrten Opfer erfuhren mit pompösen Denkmälern aus Beton eine zweifelhafte Ehrung, die mit einer Mischung aus verbaler und gestalterischer Hilflosigkeit ebenso wie einer "Aneignung" bzw. Integration der Toten in die (christliche) Friedhofs- und Gedenklandschaft (oder Abschiebung auf existierende jüdische Friedhöfe) einherging. Angehörige von Opfern oder Überlebende, die private Gedenktafeln anbringen wollten, wurden von der Schlösserverwaltung teils abgewimmelt, teils dazu angehalten, hebräische Texte bitte mit deutscher Übersetzung einzureichen.
Dass für die jüdischen Toten eine Exhumierung aus religiösen Gründen ein Tabu ist, dass viele Friedhöfe von Deutschen in christlicher Grabtradition (mit Kapelle (!) (63), Ehrentempel (239) und offensichtlich unbeschwert von Wissen um jüdische Riten) gestaltet wurden, dass einigen namenlosen jüdischen Toten der Davidstern (der bis ins 20. Jahrhundert hinein kein häufig gebrauchtes Symbol auf jüdischen Friedhöfen war) noch für die Ewigkeit aufoktroyiert wurde und dass an der Ausführung Baufirmen wie Philipp Holzmann (49) beteiligt waren, die während des 'Dritten Reiches' jüdische Zwangsarbeiter verwendeten, stellt im Sinne von Ralph Giordano tatsächlich eine zweite Schuld dar. Leider erzählt der Band all dies nur indirekt.
Anmerkungen:
[1] Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, München 1992.
[2] Ulrike Puvogel / Martin Stankowski: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Bd. 1, Bonn 1996.
[3] Michael Brocke / Christiane Müller: Haus des Lebens. Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Leipzig 2001.
[4] Katrin Greiser: Die Todesmärsche von Buchenwald. Räumung, Befreiung und Spuren der Erinnerung, Göttingen 2008.
Edith Raim