Marion Hilliges: Das Stadt- und Festungstor. Fortezza und sicurezza - semantische Aufrüstung im 16. Jahrhundert (= humboldt-schriften zur kunst- und bildgeschichte; Bd. 16), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2011, 320 S., 34 Farb-, 251 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2654-6, EUR 39,00
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Es war die bahnbrechende Arbeit "Turm und Bollwerk" von Stanislaus von Moos, die in den 1970er-Jahren die Diskussion um die Bedeutungsebenen frühneuzeitlicher Festungsarchitektur zu vertiefen half. [1] Dass die aufwändigen Verteidigungsbauwerke nicht nur einer rationalen Zweckbestimmung folgten, schien angesichts des früh einsetzenden theoretischen Diskurses in gedruckten und ungedruckten Schriften auf der Hand zu liegen. Dabei passte es zu den thematischen Präferenzen der Kunstgeschichte, dass die Entwicklung des Festungsbaus, vor allem des sogenannten Bastionärsystems, seinen Ausgang von Italien nahm. Parallele bzw. andersartige Erscheinungsformen, wie der in Nordeuropa weit verbreitete Festungsbau mit runden Bollwerken (Rondellen), wurde dagegen als weniger zukunftsfähig charakterisiert. Dieser Sichtweise entsprach die zeitgenössische Traktatliteratur, die - überwiegend aus Italien stammend - die Erfolgsgeschichte des bastionierten Festungsbaus schrieb. Die auf geometrischen Grundrissen basierende Entwurfspraxis korrespondierte mit der Rationalität, die man als Spezifikum der beginnenden Frühen Neuzeit begriff. Wie sollte es auch anders sein, wenn sich bedeutende Künstler wie Leonardo da Vinci und Michelangelo mit Fragen des Festungsbaus beschäftigten? Hier musste es um mehr gehen, als allein um den Wunsch nach optimaler Verteidigung in Zeiten des verstärkten Einsatzes von Feuerwaffen in der Kriegsführung. Als Gegenentwurf zu von Moos konnte man die Ausführungen Thomas Billers zum bastionierten Festungsbau verstehen, die er 1996 vorlegte. [2] Zu Recht betonte er die äußeren Zwänge, die zur Entwicklung des Bastionärsystems führten. Diese wurden erst in einem zweiten Schritt von den Zeitgenossen theoretisch überhöht. Somit ist die metaphorische Bedeutung nicht zu negieren, muss aber deutlich relativiert werden.
Nun gibt es einen Bereich frühneuzeitlicher Festungsanlagen, der allein schon durch seine repräsentative Ausgestaltung die Frage nach weiteren Bedeutungsebenen aufwirft: die Tore und ihre Einfassungen. Diesem widmet sich die Autorin in ihrer breit angelegten Studie, die aus ihrer an der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr 2009 vorgelegten Dissertation hervorgegangen ist. Sie ist Teil des von Ulrich Reinisch geleiteten Projektes "Maß, Zahl und Kanonenkugeln". Im Vorwort heißt es: "Das Projekt thematisierte die Festung als bauliche Umsetzung eines neuen Raumbegriffs und untersuchte, wie sich aus dem mathematisierten urbanen Raum eine neuartige Form der herrschaftlichen Repräsentation entwickelte." (7) Diese wurde "als Teil einer umfassenden kulturellen Bewältigung der angstauslösenden modernen Waffengewalt aufgeschlüsselt" (ebd.). Das klingt nach einer theoriegeleiteten Herangehensweise der Autorin.
Die knappe Einleitung (9-16) gibt einen kurzen Abriss zur Entwicklung des frühneuzeitlichen Festungsbaus und zum Stadt- und Festungstor im zeitgenössischen Diskurs sowie in der - mangels Masse leicht zu überblickenden - modernen Forschung. Die leitenden Begriffe sind dabei "sicurezza" (Sicherheit) und "fortezza" (Festigkeit). Die nun folgende Arbeit hat eine klare Disposition und besticht vor allem wegen ihrer konsequenten europäischen Perspektive und wegen der guten Erschließung durch ein Personen- und ein Ortsregister. Die zahlreichen, dem Text zugeordneten Abbildungen in Schwarz-Weiß und die 34 Farbabbildungen im Anhang erleichtern es dem Leser, der Argumentation der Autorin zu folgen.
Teil eins widmet sich der Zeit vor 1500 (17-55). Zuerst wendet sich die Autorin dem Zinnenkranz zu, der rasch zu einem allgemeinen Symbol für Wehrhaftigkeit wurde, das sich dann auch an Kirchenbauten finden lässt. Schon im Mittelalter wurden Tore baulich akzentuiert und mit figürlichem Schmuck versehen. Es sind vor allem Heiligen- und Marienfiguren, welche die (böse) Außenwelt von der Stadt fernhalten sollten. Die auf "Vernunft" basierten Antworten auf die Herausforderungen der Feuerwaffen stellten die mittelalterliche Symbolsprache jedoch in Frage. Dies ist schon bei Francesco di Giorgio Martini und seinem "Trattati di Architettura ingegneria e arte militare" zu spüren, dem sich die Autorin ausführlich widmet. Sie verweist dabei auf den großen Einfluss, den Francesco di Giorgio auf spätere Generationen gehabt hätte. Sie folgt damit traditionellen Darstellungen, die jedoch meines Erachtens übersehen, dass der Traktat damals nur als Manuskript kursierte. Es ist zumindest kritisch zu hinterfragen, ob seine Vorstellungen tatsächlich weit verbreitet gewesen sind. Dass sie zeitgenössische Überlegungen, wie sie sich auch an den erhaltenen Verteidigungsbauten ablesen lassen, anschaulich wiedergeben, steht dabei außer Frage. Dies exemplifiziert die Autorin an den von Francesco di Giorgio beschriebenen Bauelementen wie "sporti" (Vorsprünge), "cornici" (Gesimse) und "cordoni" (Randsteine). Vor allem letztere werden zu einem bestimmenden Element frühneuzeitlicher Festungsarchitektur, die das Anlegen von Sturmleitern erschweren soll. Da diese praktische Funktion jedoch eher zweifelhaft ist, dürfte ihr Ziercharakter wichtiger gewesen sein.
Der zweite, mit "sicurezza" überschriebene Teil (57-120) fragt nach Grundriss und Raumdisposition, somit nach Lage und Konstruktion der Tore im Festungsgefüge. Für das Zangenmotiv stellt die Autorin die von Antonio da Sangallo d.J. gebaute Porta S. Spirito in Rom den Entwürfen Michelangelos für die Festungsanlagen in Florenz gegenüber, die damit weniger phantastisch wirken, als es die Kunstgeschichte meist gerne darstellt. Selbst für labyrinthische Strukturen in Entwürfen der Zeit vermag die Autorin, wenn auch bescheidenere, gebaute Vergleichsbeispiele anzuführen. Eine durchaus häufig anzutreffende Lösung für Toranlagen ist die S-Kurve, die sich sowohl auf die Brücken über die Festungsgräben beziehen als auch auf die entsprechend geschwungenen Tordurchgänge. Mit der von Alessandro Pasqualini entworfenen Zitadelle in Jülich wird ein gut erhaltenes Beispiel für eine solche Tordisposition angeführt. [3] Die ästhetisch reizvolle, idealisierte Planaufnahme Jülichs von Nicolaus Vrischlein (118, Abb. 110) ist jedoch weniger gut geeignet, die gebaute Wirklichkeit zu analysieren. Der tatsächlich fünfeckige Grundriss der Jülicher Stadtbefestigung wies vier Tore mit geradem Durchgang auf. Ein Umstand, den die Autorin, ob ihres selektiven Umgangs mit der Sekundärliteratur an dieser Stelle, übersieht.
Im dritten Teil "Fortezza - die Aufrüstung der Fassade" (121-198) wird die ornamentale Gestaltung der Tore anhand der zeitgenössischen italienischen und nordeuropäischen Traktatliteratur sowie zahlreicher konkreter Bauten diskutiert. Im Focus stehen dabei die für Portale gängige toskanische Säulenordnung und die Gestaltung mit Diamantquadern und Kanonenkugeln. Der vierte und letzte Hauptabschnitt (199-262) behandelt mit Wappenkartuschen, Trophäenreliefs, Büsten und Götterköpfen "all' antica" sowie Masken und Löwen das figürliche Ornament, das sich deutlich von den mittelalterlichen Beispielen, die zu Beginn der Arbeit vorgestellt wurden, unterscheiden.
Die Schlussbetrachtung (263-266) ist mit "Das Bild der Stärke" betitelt, was schon die Stoßrichtung der Argumentation der Autorin angibt. Im Zuge der Entwicklung neuer Befestigungssysteme fand eine "semantische Aufrüstung" mit "Festigkeitssymbolen" statt, die in den zahlreich erhaltenen Torgestaltungen diesseits und jenseits der Alpen kulminierten. Dieses reichhaltige Material erschlossen und geordnet zu haben, ist das große Verdienst der vorliegenden Arbeit.
Anmerkungen:
[1] Stanislaus von Moos: Turm und Bollwerk. Beiträge zu einer politischen Ikonographie der italienischen Renaissancearchitektur, Zürich 1974.
[2] Thomas Biller: Die Wülzburg. Architekturgeschichte einer Renaissancefestung, München / Berlin 1996, bes. 1-62: Der bastionäre Festungsbau des 16. Jahrhunderts und sein Weg nach Deutschland wird von der Autorin nicht zitiert.
[3] Der durch Ausgrabungen belegte, ehemalige s-förmige Brückenverlauf über den stadtseitigen Graben der Zitadelle wäre noch zu ergänzen; vgl. Hermann Mesch: Spuren der frühesten Bauphase der Jülicher Zitadelle, in: Günter Bers / Conrad Doose (Hgg.): Der italienische Architekt Alessandro Pasqualini (1493-1559) und die Renaissance am Niederrhein, Jülich 1994, 277-288.
Guido von Büren