İlber Ortaylı: Osmanlı Düşünce Dünyası ve Tarihyazımı, Istanbul: İş Bankası Kültür Yayınları 2011, 188 S., ISBN 978-6053-60-033-6
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Rizwi Faizer (ed.): The Life of Muhammad. Al-Waqidis Kitab al-Maghazi, London / New York: Routledge 2011
Nur Sobers-Khan: Slaves Without Shackles. Forced Labour and Manumission in the Galata Court Registers, 1560-1572, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2014
Mohamed Kamaludeen Nasir / Alexius A. Pereira / Bryan S. Turner: Muslims in Singapore. Piety, politics and policies, London / New York: Routledge 2010
Monique Bernards / John Nawas (eds.): Patronate and Patronage in Early and Classical Islam, Leiden / Boston: Brill 2005
Maria E. Subtelny: Timurids in Transition. Turko-Persian Politics and Acculturation in Medieval Iran, Leiden / Boston: Brill 2007
Leslie Peirce: A Spectrum of Unfreedom. Captives and Slaves in the Ottoman Empire, Budapest: Central European University Press 2021
Elisabeth Özdalga (ed.): Late Ottoman Society. The Intellectual Legacy, London / New York: Routledge 2005
Nur Sobers-Khan: Slaves Without Shackles. Forced Labour and Manumission in the Galata Court Registers, 1560-1572, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2014
Bei dem vorliegenden Sammelband handelt es sich um den vierten Band einer Reihe ausgewählter Aufsätze İlber Ortaylıs. Die Publikation besteht aus 17 weitgehend kurzen Beiträgen, die alle in den Jahren 1977 bis 2004 in verschiedenen Zeitschriften, Sammelbänden und Enzyklopädien erschienen sind. Ein Artikel wurde bisher noch nicht veröffentlich und entstammt einem Vortrag. Alle weiteren liegen bereits einmal, zum Teil sogar mehrmals vor. Genau wie der Zeitraum, den die einzelnen Veröffentlichungen abdecken, ist auch die inhaltliche Spannbreite recht groß. Der Klappentext ist dem ersten Aufsatz entnommen und soll wohl die fehlende Einleitung des Sammelbandes ersetzen.
Einen Themenschwerpunkt in diesem Sammelband bildet Geschichte als Unterrichtsfach. Hierauf geht der Autor in seinen ersten drei Artikeln ein, wobei diese allesamt den Obertitel "Geschichtsunterricht" ("Tarih Desleri") tragen. Spezifiziert durch die jeweiligen Untertitel "Was ist Geschichte?" ("Tarih Nedir?", 1-14), "Geschichtsschreibung (die griechische und römische Tradition)" ("Tarih Yazıcılığı [Yunan ve Roma Geleneği], 15-24) und "Geschichtswissenschaft im Zeitalter des Hellenismus" ("Hellenistik Devirde Tarihçilik", 25-34) behandelt der Autor zunächst den Begriff "Geschichte" ("tarih"). Dann führt er aus, dass sich die Geschichtsschreibung im Laufe der Zeit nicht viel geändert habe, da ihre Methode letzten Endes immer noch dieselbe sei. Erst ginge es um die Feststellung und Einordnung der Dokumente und anschließend habe man es mit Spekulationen zu tun. Der erste Artikel klingt mit einer Kritik am Westen ("batı") für seine "egozentrische und ethnozentrische Weltanschauung" (13) aus. Beim Vergleich der römischen und griechischen Geschichtsschreibung stellt Ortaylı im folgenden Beitrag dar, dass sich die römische von der griechischen Historiographie vor allem durch ihre Mythen, einen missionarischen Impetus und durch eine realistischere Präsentationstechnik unterscheide. Des Weiteren habe sie eine sehr pragmatische Perspektive eingebracht, welche aus genauer Beobachtung, dem Vergleich und einer zweckrationalen Herangehensweise bestehe.
Den ersten drei Beiträgen folgen Aufsätze über die Turkologie und "dem nicht existenten Fach der Okzidentalistik" ("Türkoloji ve Var Olamayan Bir Dal: Oksidentalistik", 35-40), die Frage nach der offiziellen Geschichtswissenschaft ("Resmî Tarihçilik Sorunu Üzerine", 41-48) und der Rolle von Jean Deny für die Turkologie ("Jean Deny ve Türkoloji", 49-52). In seinem Beitrag über die Turkologie, die er als einen "westlichen Import" (35) bezeichnet, beklagt Ortaylı die fehlende Führungsposition der Türkei in diesem Fachgebiet und das Manko herausragender Grammatik- und etymologischer Wörterbücher und diskutiert die Ursache dafür. Für eine offizielle Geschichtsschreibung bedürfe es, so Ortaylı in seinem fünften Aufsatz, eines Konsens bezüglich der Geschichtsauffassung und einer gemeinsamen Methode. Beides sei jedoch nur in geringem Maße vorhanden. Das Fehlen einer bewährten Tradition der Geschichtsschreibung macht er als Ursache dafür aus. (45ff) Um dies zu erlangen, sei es von Nöten, die türkische Geschichte als Teil der Weltgeschichte aufzufassen und sich bei der Untersuchung von Quellenmaterial weiterzubilden. Dadurch könne man ein fundiertes Geschichtsbewusstsein und -wissen erlangen, das in Ansätzen zwar schon vorhanden sei, aber eben noch weiter ausgebildet werden müsse. (48)
Einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt des vorliegenden Sammelbandes bilden Reisebeschreibungen, denen Ortaylı drei Beiträge widmet. Im ersten geht es um das Bild der Türkei in deutschen Reiseberichten des 16. Jahrhunderts ("16. Yüzyıl Alman Seyahatnamelerinde Türkiye", 53-64). Hier schreibt Ortaylı über die Beobachtungen Hans Dernschwams, die er in seinem Tagebuch notierte, das er während seiner Reise ins Osmanische Reich zwischen den Jahren 1553-1555 geführt hatte. Ortaylı gibt Zitate aus diesem wieder und betont den abwertenden Ton Dernschwams bei seinen Beschreibungen. Des Weiteren geht Ortaylı in diesem Beitrag auf die ebenfalls vorwiegend kritischen Beschreibungen Salomon Schweiggers ein. Dieser reiste in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts in den Nahen Osten und verbrachte einige Zeit in Istanbul. Leider sucht man vergeblich nach der hier im Anhang versprochenen Teilübersetzung dieses besprochenen Reiseberichts. Dieser Artikel über die Reisebeschreibungen der beiden Österreicher, die laut Ortaylı einen Eindruck der damaligen Zeit und Vergleichsmöglichkeiten über das Osmanische Reich mit Europa vermitteln, ist mit Zeichnungen aus Schweigers Reisebeschreibung bestückt. Die Aussage, dass beide Reiseberichte aber im Grunde keine neuen Erkenntnisse liefern, enthält Ortaylı dem Leser nicht vor.
Der folgende Beitrag wechselt die Perspektive und widmet sich türkischen Reiseberichten über Indien seit dem 19. Jahrhundert ("19. Asırdan Zamanımıza Hindistan Üzerine Türk Seyahatnameleri", 65-74). Hierbei geht es dem Autor darum, die Weltanschauung und Einstellung der osmanischen Intellektuellen im 19. und 20. Jahrhundert darzustellen.
Der darauffolgende Aufsatz untersucht wiederum die Darstellung der Türkei und Türken in europäischen Reiseberichten ("Avrupalı Seyahatnamelerinde Türkiye ve Türkler", 75-82). Hier kommt es dem Autor auf die Bedeutung von Reiseberichten für die Geschichtswissenschaft an, die er in den Informationen sieht, die diese Berichte nicht nur über die bereisten Länder, sondern vor allem über die Weltansicht der Reisenden liefern. So könne man anhand dieser Aussagen über das kulturelle Verständnis der Reisenden machen und den diesbezüglichen Wandel im Laufe der Zeit nachvollziehen (76). Anhand einiger Beispiele stellt Ortaylı die unterschiedlichen Beobachtungsweisen im Laufe der Jahrhunderte dar. Während für das 17. und das 18. Jahrhundert ein Europa-Zentrismus und für das 19. Jahrhundert ein Europa-Exotismus maßgeblich für die Wahrnehmung sei, beruhen die Beschreibungen im 15. Jahrhundert, so Ortaylı, rein auf den Wahrnehmungen der Reisenden und seien frei von kultureller Kritik. Erst im 16. Jahrhundert beginne eine kritische Auseinandersetzung mit der Lebensweise und Kultur der bereisten Länder. Bei den genannten Beispielen trifft man auch wieder auf die beiden Österreicher aus den vorangegangenen Beiträgen.
In den beiden nun folgenden Artikeln geht es um das 18. Jahrhundert, und zwar einerseits um den Mittelmeerraum und die Türkei ("18. Yüzyılda Akdeniz Dünyası ve Genel Çizgileriyle Türkiye", 83-94) und andererseits um die Gedankenwelt der Osmanen ("Osmanlı'da 18. Yüzyıl Düşünce Dünyasına Dair Notlar", 95-102). Mit der osmanischen Elite ("Osmanlı Seçkinleri", 103-106) befasst sich der nächste Beitrag, an welchen sich ein Aufsatz über den Menschen und die Gesellschaft zur Tanzimat-Zeit ("Tanzimat Adamı ve Tanzimat Toplumu", 109-132) anschließt. In letzterem Beitrag, bei dem es sich mit 24 Seiten um den längsten Artikel dieses Sammelbandes handelt und der in gleicher Form bereits in mindestens drei weiteren Werken vorliegt [1], stellt Ortaylı verschiedenen Persönlichkeiten aus der Tanzimat-Zeit vor und beschreibt die vielen Bereiche, in denen sich der Wandel vollzogen hat. Dieser hat sich nicht nur auf die Technologie und die Bildung, sondern auch auf die Gesellschaft, die Familienstruktur und die Situation der Frauen ausgewirkt. Eingehend beschreibt Ortaylı die Auswirkungen der Reformen auf die Lage der Frauen und wie diese davon profitieren konnten. Der Wandel, so Ortaylı, zeige sich nicht nur in den beabsichtigten, sondern auch in nicht vorgesehenen Bereichen. Auch die Veränderung in den Städten, insbesondere in Istanbul, beschreibt Ortaylı in diesem Beitrag. Er wirft die Frage auf, ob die osmanische Elite sich dem "Westen" zugewandt und damit den "Osten" verlassen habe? (119). Genauso wie sie sich der westliche Kultur angenähert habe, so lautet die Antwort, habe sie sich mehr als ihre Vorgänger auch für die östliche Kultur interessiert. Die Feststellung, dass sich die Reformführer auf alte Strukturen beriefen (110), spiegele sich auch in der türkischen Literatur des 19. Jahrhunderts wider, wo sich die Autoren und Dichter, laut Ortaylı ohne sich darüber bewusst zu sein, die traditionellen klassischen Formen beibehielten (128). Dass sich die Geschichtsschreibung in dieser Zeit kaum verändert und keine wissenschaftliche Grundlage erlangt habe, zeigt, so der Autor, dass die Tanzimat in der türkischen Geschichte keinen Wandel darstelle, sondern eine Bewegung, die Ergebnisse für einen Wandel liefere. (129)
Die nächsten beiden Beiträge behandeln die Laizismus-Bewegungen im Osmanischen Reich ("Osmanlı Devletinde Laiklik Hareketleri Üzerine", 133-147) und insbesondere den Begriff Millet ("Osmanlı İmparatorluğunda Millet", 147-156). Der Sammelband schließt mit zwei Beiträgen zum Stadtteil Galata in Istanbul ab. Der vorletzte Aufsatz beschäftigt sich mit Galata im 18. und 19. Jahrhundert ("18.-19. Yüzyıllarda Galata", 157-164) und der letzte Aufsatz mit dem dortigen Alltagsleben der ausländischen Missionare ("Galata'daki Yabancı Misyonların Günlük Yaşamı", 165-172).
Den Beiträgen folgen auf zehn Seiten Endnoten, wobei Ortaylı leider oft auf den Nachweis der von ihm verwendeten Zitate verzichtet. Abgerundet wird dieser Sammelband, der insgesamt recht allgemeine, aber auch sehr spezifische Themen liefert, durch einen Index. Die eingangs vermisste Einleitung wirft unter anderem die Frage auf, was wohl die konkrete inhaltliche Klammer des Sammelbandes sein soll, da sich diese nicht vom recht vagen Titel ("Die Gedankenwelt der Osmanen und Geschichtsschreibung") ableiten lässt. Auch die Beitragstitel lassen keinen übergeordneten inhaltlichen Zusammenhang erkennen, ein roter Faden fehlt einfach. Der Sammelband wird daher der Hoffnung, mit diesem Werk einen aktuellen und kohärenten Beitrag zur Osmanischen Geschichtsschreibung zu erhalten, nicht gerecht. Dennoch deckt die Vielseitigkeit der Beiträge ein breites Spektrum ab und gibt dem Leser Einblick in verschiedene Bereiche der Osmanistik. Auch das fundierte und breite Wissen des Autors macht dieses Buch zu einer ganz interessanten Lektüre.
Anmerkung:
[1] Siehe: İlber Ortaylı: İmperatorlu ğun En Uzun Yüzyılı [Das längste Jahrhundert des Reiches], Istanbul 2010 (Erstausgabe 1983), S. 261-298; idem. "Tanzimat Adamı ve Tanzimat Toplumu", in: Halil İnalcık / Mehmet Seyitdanlıo ğlu (Hg.): Tanzimat - Değişim Sürecinde Osmanlı İmparatorluğu [Tanzimat - Das Osmanische Reich im Wandlungsprozess], Istanbul 2011 (Erstausgabe 2006), 421-462; idem. Türkiye'de Siyaset: Süreklilik ve De ği şim [Politik in der Türkei: Kontinuität und Wandel], Istanbul 1995, 83-101.
Veruschka Wagner