Reinhard Blänkner: "Absolutismus". Eine begriffsgeschichtliche Studie zur politischen Theorie und zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, 1830-1870 (= Zivilisationen & Geschichte; Bd. 15), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011, XXV + 270 S., ISBN 978-3-631-60428-1, EUR 49,80
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Gabriele B. Clemens: Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert, Tübingen: Niemeyer 2004
Es gehört sicher eine ganze Menge Mut dazu, eine 1989/90 in Göttingen approbierte und danach zunächst - offenbar auch nur in kleinster Auflage - im Dissertationsdruck und wenige Jahre später in Microfiche-Form zugänglich gemachte Studie nach über 20 Jahren im Kern unverändert erneut zu publizieren. Zugegebenermaßen hatte der heute an der Viadrina lehrende Verfasser in den 1990er Jahren den einen oder anderen Aufsatz aus dem Umfeld seiner von Rudolf Vierhaus betreuten Dissertation veröffentlicht, aber der integrale Text blieb den weitaus meisten an der Thematik interessierten Wissenschaftlern unbekannt. Das wurde - gerade vor dem Hintergrund des neuerlichen Aufschwungs der Absolutismus-Diskussion seit den mittleren 1990er Jahren - oft bedauert.
Insofern kann man den Reihenherausgebern, die offenbar einen sanften Druck auf den Autor ausgeübt haben, zunächst einmal dankbar sein, dass diese Publikation überhaupt zustande kam. Der Verfasser hat sich dann aber doch - anderes wäre vorstellbar gewesen - damit begnügt, den Text der späteren 1980er Jahre unverändert zu belassen und ihm lediglich eine 15seitige Vorbemerkung vorzuschalten, in der die Wege, die die Forschung seitdem genommen hat, skizziert werden. Auch der ursprüngliche Plan, die Arbeit bis in die 1930er Jahre fortzuschreiben, wurde fallen gelassen.
Die Fußnoten der "Vorbemerkung" lassen erkennen, wie viel sich auf dem Gebiet der Absolutismusforschung in den letzten beiden Dekaden bewegt hat. Dass der Autor dabei das Buch von Henshall noch einmal sehr kritisch beleuchtet, von dem rezeptionsgeschichtlich gesehen die neue deutsche und internationale Diskussion ja ausging, mag so hingehen, wiewohl keiner der Adepten es als einen "Wurf" gewürdigt hat, der die ganze Forschungslandschaft auf den Kopf stellte. Aber es erschien eben genau zum richtigen Zeitpunkt, um dem verbreiteten Unbehagen über Konzept und Begrifflichkeit des "Absolutismus" ein Ventil zu geben. Und es sind nicht die schlechtesten Historiker, die in Deutschland seitdem auf Distanz zum "Absolutismus" gegangen sind. Den umgestürzten Zettelkasten der "Vorbemerkung" nimmt man gleichwohl im Sinn einer Forschungshilfe gerne zur Kenntnis; er illustriert auf seine Art zugleich, wie - etwa im Hinblick auf die komparatistische Berücksichtigung Außereuropas - ursprüngliche Positionen einem Wandel unterworfen wurden.
Der ursprüngliche Text der Dissertation hat Gewicht. Die Absolutismusdiskussion und -forschung nahm ihren Ausgang von Deutschland, konkreter: vom Deutschen Bund der 1820er Jahre, wobei die Forschung ihn, nachdem der (aus der Zeitkritik heraus geborene und zunächst einmal pejorativ besetzte) Begriff dann einmal in der Welt war, in der Regel im Kontext anderer Phänomene diskutierte: dem Ständewesen, dem Entstehen und der Durchsetzung des "modernen" Staates, dem Versuch, "Modellstaaten" zu konstruieren, vorrangig Frankreich und Preußen. Dem Verfasser geht es zwar auch um die geistesgeschichtlich-politische Herleitung und "Karriere" des Begriffs an sich, aber viel stärker um den Weg dieses Schlagworts und (freilich nicht nur liberalen) "Kampfbegriffs" zum positiv konnotierten historischen Deutungsmuster. Diesen Weg verfolgt er mit Seitenblicken auf den "Despotismus"-Begriff und den des "aufgeklärten Absolutismus" und mit Betonung der (wahrscheinlichen) Herleitung von der politischen Entwicklung in Spanien anhand ausgewählter Lexika und Periodika, darunter dem Berliner Politischen Wochenblatt und dem Rotteck-Welckerschen Staats-Lexikon, in dem durchweg die Kritik dominiert und "Absolutismus" eher als Gegenbegriff zu "Konstitutionalismus" verstanden wird. Seit dem letzten Drittel der 1830er Jahre löste sich das Gegensatzpaar Absolutismus/Konstitutionalismus dann mehr und mehr auf, was eine stärkere Historisierung des "Absolutismus" ermöglichte, dem sich die unterschiedlichen Geistes- und Parteienströmungen, die sich seitdem entwickelten, in unterschiedlicher Form und Intensität annahmen. Der Verfasser beschäftigt sich hier - v.a. im zweiten Teil der Arbeit (Kap. IV) - insbesondere mit dem sog. Junghegelianismus und mit den "Germanisten", die beide dezidiert auf dem Boden des Konstitutionalismus standen. Für beide Gruppierungen wurde die Frage nach den Ausprägungen und der Typologisierung von Staatlichkeit zentral, und in diesem Kontext kam dem Phänomen - oder Konstrukt? - des "Absolutismus" ein neues Gewicht zu. Parallel zu den ersten theoretischen Erörterungen (Gans u.a.) begann sich die Geschichtsschreibung auf breiter Front des Themas anzunehmen. Dabei taten sich die "kleindeutschen" und "politischen" Historiker, die die Reichseinigung unter preußischer Führung herbeizuschreiben suchten, hervor, die am intensivsten den Paradigmenwechsel zum "Staat" als Leitkategorie aller wissenschaftlichen Bemühungen vollzogen. Die Konzentration auf den preußischen Staat des 17./18. Jahrhunderts und dessen "Absolutismus" war die logische Folge dieses Paradigmenwechsels, dafür stand auf der anderen Seite der in unzähligen Varianten zum Topos erstarrende Vorwurf der mangelnden politischen Nationalgeschichte. Die preußische Entwicklung kontrastierte man dann bevorzugt mit der französischen und leitete daraus qualitative Unterschiede und Entwicklungsstufen des "Absolutismus" ab - aus der Zeit heraus versteht es sich, dass der französische Absolutismus durchgehend negativ konnotiert wurde, während der friderzianische eine "neue Epoche in der Menschheitsgeschichte" (Carové) eröffnet habe. Die Germanisten fanden im Übrigen erst bemerkenswert spät zu einer positiven historischen Bewertung des Absolutismus.
Die Zahl der im zweiten, historiographiegeschichtlichen Teil des Werkes behandelten Autoren und Texte ist beeindruckend, auch wenn hier eine noch stärkere Systematisierung vorstellbar gewesen wäre, die es verhindert hätte, dass Autoren an verschiedenen Stellen mehrfach behandelt würden. In diesem Zusammenhang will ich mein Bedauern nicht unterdrücken, dass die lange Zeit seit der Erstpublikation leider nicht genutzt wurde, um der Arbeit wenigstens ein Personenregister beizugeben. Auch eine konzise Zusammenfassung wäre wünschenswert gewesen. Eine Reihe von kleineren Versehen, darunter auch Vermischungen von Titeln (S. 206, Anm. 950), will ich nicht weiter gewichten.
Aber das alles soll nicht die Freude überlagern, dass diese gelehrte begriffs-, geistes- und historiographiegeschichtliche Studie nun endlich ein weit größeres Publikum erreicht als bisher. Die nach wie vor blühende Absolutismusforschung, die freilich auf das Phänomen an sich und nicht dessen Begriffsgeschichte zielt, wird davon profitieren.
Heinz Duchhardt