Emidio Campi / Philipp Wälchli (Hgg.): Zürcher Kirchenordnungen 1520-1675, Zürich: TVZ 2011, 2 Bde., LXIII + 1388 S., eine CD-ROM, ISBN 978-3-290-17598-6, EUR 250,00
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Wer sich bislang anhand gedruckter Quellen über die Zürcher Reformationsgeschichte informieren wollte, griff auf die verdienstvolle, im Jahre 1879 erschienene und 1973 als Reprint neu aufgelegte Edition Emil Eglis zurück. [1] Egli, dessen Forschungen ganz um die Anfänge der Zürcher Reformation und ihren Reformator Huldreich Zwingli kreisten, hatte seine Aktensammlung auf die Zeit von 1519 bis 1533 eingegrenzt. In seiner einleitenden Würdigung (VIII) hatte der Zürcher Staatsarchivar Johannes Strickler deswegen schon damals den Wunsch ausgesprochen, Eglis Quellenband möge eine "Fortsetzung nach rückwärts oder vorwärts" finden. Eine solche "Fortsetzung" für die Zeit Bullingers hat das Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte in Zürich erstmals Ende der 1980er Jahre ins Auge gefasst [2], allerdings ohne dass das Projekt Druckreife erlangt hätte. Mit umso größeren Erwartungen nimmt man deshalb nun den von Emidio Campi und Philipp Wälchli herausgegebenen Band der "Zürcher Kirchenordnungen" in die Hand. Zu Recht betonen die Herausgeber den Rückstau bei der wissenschaftlichen Erschließung nicht nur der Zürcher, sondern auch der Basler Kirchenordnungen (deren Edition noch 2012 erscheinen wird): Während die Kirchenordnungen anderer Orte, etwa von Bern und Genf, bereits in der Sammlung Schweizer Rechtsquellen publiziert sind, fehlt Vergleichbares zu Zürich und Basel. Erfreulicherweise haben solche Editionsprojekte momentan wieder Konjunktur: Zu erinnern ist für Deutschland nur an die Reihe der "Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts", die - von Emil Sehling 1902 initiiert - nach mehreren Unterbrechungen seit 2002 von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften fortgesetzt wird. Da im Rahmen der "EKO" 2007-2011 die wichtigsten Texte der oberdeutschen Reichsstädte einschließlich Straßburgs publiziert wurden [3], eröffnen sich zusammen mit dem Zürcher (und dem Basler) Band ganz neue Perspektiven, die oberdeutsche und die schweizerische Reformation miteinander zu vergleichen, und zwar nicht nur für die Frühphase der Reformation, sondern auch für die Zeit der Konfessionalisierung und Orthodoxie.
Im Unterschied zum Terminus ante quem der "EKO", der beim Anfang des 17. Jahrhunderts liegt, haben die Herausgeber des Zürcher Bandes Quellen bis zur Abfassung der "Formula consensus" 1675 aufgenommen, die als Höhe- und Schlusspunkt der reformierten Orthodoxie gewertet wird. Insgesamt enthält der Band 400 Texte, die alle Bereiche des Kirchenwesens berühren. Dabei werden unter dem Begriff "Kirchenordnung" nicht nur alle Texte, die unter diesem Titel erlassen wurden, sondern auch Ehegesetze, Regelungen zum Schul-, Armen- und Fürsorgewesen sowie Luxus- und Sittenmandate subsumiert. Grundlegende Texte wie die Ehegerichtsordnung von 1525 (Nr. 18), die Ankündigung halbjährlicher Synoden 1528 (Nr. 30), das Große Sittenmandat ("Christenlich ansehung des gemeinen Kilchganngs") von 1530 (Nr. 53) und die Synodalordnung von 1532 (Nr. 59) finden sich hier nun vollständig und zuverlässig ediert und mit textkritischem Apparat versehen. Vor allem aber lässt sich mit Hilfe der neuen Edition verfolgen, wie das Zürcher Kirchenrecht fortgeschrieben wurde. Der große Vorzug des Bandes ist es, dass auch die späteren Fassungen bzw. Wiederholungen des Großen Sittenmandats, das sich wie ein roter Faden durch die eineinhalb Jahrhunderte des von der Edition abgedeckten Zeitraums zieht, für die Forschung erschlossen sind. Allerdings stellt sich bei der Durchsicht der aufgenommenen Quellen die Frage, ob der von den Herausgebern zugrunde gelegte Begriff von Kirchenordnung nicht zu weit gefasst ist. Als Beispiele seien nur genannt eine Wirtshausordnung (Nr. 81), eine Regelung zur Reinigung von Abfallgräben (die mit einem Verbot von Fastnachtsbräuchen verknüpft ist) (Nr. 101), ein Tanzverbot (dem der "Verruf" eines Verschwenders angehängt ist) (Nr. 122), ein Ratsbefehl zur Verwaltung von Kirchengütern (Nr. 124) und andere Einzelfälle, wie es mit der Aufsicht über das Spital (Nr. 132) oder mit der Gefangennahme von Prostituierten gehalten werden soll (Nr. 136). Auch wenn man von einer Einheit von Kirchen- und politischer Gemeinde ausgeht, hätte es sich dennoch aus heuristischen und terminologischen Gründen angeboten, zwischen Kirchen- und Polizeiordnungen zu trennen. Hinzu kommt, dass in der Reihe der "Repertorien der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit" mit dem von Claudia Schott-Volm bearbeiteten, 2006 erschienenen Band ja ein vollständiges Verzeichnis aller Zürcher Ordnungen mit Quellennachweis vorliegt. [4] Umso befremdlicher erscheint es, dass dieser Band in der vorliegenden Edition mit keiner Silbe erwähnt wird, demzufolge auch die Abgrenzung zwischen Kirchen- und Polizeiordnung nicht problematisiert wird.
Anlass zu Kritik bieten außerdem die Auswahlkriterien, die sich dem Leser nicht recht erschließen wollen, wenn es auf S. XXIV heißt: "Die insgesamt wichtigste Abgrenzung besteht in der Bildung des Corpus jener Quellen, die ausgewertet wurden". Ausgewertet wurden aber nur Bestände des Staatsarchivs Zürich (nicht der Zentralbibliothek Zürich), und hier vor allem die Sammlung der handschriftlichen Mandate (die unter den Signaturen A 42.1 bis A 42.6 aufbewahrt werden) - eines Bestandes, der wegen seines heterogenen und zum Teil undatierten Materials von der Bearbeiterin des Repertoriums der Policeyordnungen weitgehend außen vor gelassen wurde. Diese Entscheidung hat unter anderem zur Folge, dass man in der vorliegenden Edition manche zentralen Texte zur Zürcher Reformation vermisst. Bei den Schulordnungen konstatieren die Herausgeber selbst (XXXIV), dass es "mehrere ausserhalb des hier bearbeiteten Text-Corpus in handschriftlicher Form" gibt: "die Verzerrung der Auswahl kommt durch die Begrenzung des Corpus zustande". Doch betrifft diese Verzerrung nicht allein das Schulwesen. So enthält der von Campi und Wälchli herausgegebene Band zwar einige frühe, vorreformatorische Mandate, etwa Schwur- und Spielverbote aus dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, als erster eindeutig reformatorischer Text ist dann als Nr. 12 das Sittenmandat vom 14. Mai 1524 abgedruckt, mit dem der Zürcher Rat die Bürger ermahnte, hinsichtlich der Bilder und der Messe nichts zu unternehmen. Den Vorläufer, das im Anschluss an die zweite Disputation erlassene Mandat vom 29. Oktober 1523, das den Durchbruch der Reformation in Zürich markiert und bei Egli (allerdings unter dem 27. Oktober) als Nr. 436 ediert ist, sucht man dagegen vergebens. Dabei wird im Text der Ordnung vom 14. Mai 1524 sogar explizit auf die frühere Fassung Bezug genommen (18 Z. 25 "gebietend von nüwem"), doch die Herausgeber haben diesen Passus nicht einmal eines Kommentars oder eines Verweises auf Egli gewürdigt. Ebenso fehlt die erste vollständige amtliche Kirchenordnung, die "Christennlich ordnung und bruch der Kilchen Zürich" von 1535. Auch wenn diese in der kritischen Zwingli-Ausgabe bereits ediert ist [5], wäre zumindest eine entsprechende Notiz angebracht gewesen und hätte der Orientierung des Lesers gedient. Generell haben die Herausgeber auf Nachweise, welche Quellen schon an anderer Stelle gedruckt vorliegen, verzichtet.
Nicht nur wegen der teilweise verwirrenden und nicht eindeutig begründeten Quellenauswahl, sondern auch hinsichtlich des Erschließungsgrades kann die vorliegende Edition nicht befriedigen, gerade wenn man den im "Sehling" zugrunde gelegten Standard vor Augen hat. Zwar enthält die Zürcher Edition einen soliden textkritischen Apparat und einen Apparat mit Worterklärungen sowie ein Glossar. Unsichere Datierungen werden aber nicht diskutiert, geschweige denn, dass über die Entstehungsgeschichte der Quellen informiert wird. Gleichwohl soll der Wert des für die Zeit nach 1533 abgedruckten, auf einer beigegebenen CD-ROM auch im Volltext bequem zu recherchierenden Quellenmaterials nicht geschmälert werden: Aufgrund seiner inhaltlichen Bandbreite dürfte es, wie auch die Herausgeber betonen (XVIII), für andere Disziplinen, insbesondere Rechtshistoriker, Volkskundler oder Sprachforscher, von hohem Interesse sein. Selbstverständlich bietet die Edition auch wichtige Texte für den Kirchenhistoriker: Für die frühe Reformationszeit ersetzt sie jedoch nicht die "Actensammlung" Emil Eglis. Wer vom Titel ausgehend ein zentrales Quellencorpus erwartet, wird enttäuscht.
Anmerkungen:
[1] Emil Egli: Actensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation in den Jahren 1519-1533, Zürich 1879, Repr. Aalen 1973.
[2] Heinzpeter Stucki: Quellen zur Geschichte der Zürcher Kirche, 1532-1575. Konzept einer neuen Edition, in: Zwingliana 18 (1990/91), 349-365.
[3] Sabine Arend (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. XVII/1: Baden-Württemberg III: Südwestdeutsche Reichsstädte. 1. Teilbd.: Schwäbisch Hall, Heilbronn, Konstanz, Isny und Gengenbach, Tübingen 2007; Sabine Arend (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. XVII/2: Baden-Württemberg IV: Südwestdeutsche Reichsstädte. 2. Teilbd.: Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen, Tübingen 2009; Gerald Dörner (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. XX: Elsass. 1. Teilbd.: Straßburg, Tübingen 2011.
[4] Claudia Schott-Volm (Hg.): Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit Bd. 7: Orte der Schweizer Eidgenossenschaft: Bern und Zürich. 2. Halbbd.: Zürich, Frankfurt a.M. 2006.
[5] Huldreich Zwinglis sämtliche Werke Bd. IV (Corpus Reformatorum XCI), hg. v. Walther Köhler u. Oskar Farner, Leipzig 1927, Nr. 70, Anhang I, 695-706.
Wolfgang Dobras