Alexander Wagner: "Gleicherweiß als wasser das feuer, also verlösche almuse die sünd". Frühneuzeitliche Fürsorge- und Bettelgesetzgebung der geistlichen Kurfürstentümer Köln und Trier (= Schriften zur Rechtsgeschichte; Heft 153), Berlin: Duncker & Humblot 2011, 431 S., ISBN 978-3-428-13486-1, EUR 88,00
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Jürgen Wilhelm (Hg.): Napoleon am Rhein. Wirkung und Erinnerung einer Epoche, Köln: Greven-Verlag 2012
Claus Veltmann / Jochen Birkenmeier (Hgg.): Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit. Katalog zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 17. Mai 2009 bis 4. Oktober 2009, Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle 2009
Die zu besprechende Monografie wurde im Jahr 2010 an der Universität Trier als Dissertation eingereicht und entstand im Rahmen des Trierer Sonderforschungsbereiches 600 "Fremdheit und Armut". Es handelt sich um eine rechtsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung staatlicher Kompetenz im Bereich der Armenfürsorgegesetzgebung.
Die rechtsgeschichtliche Ausrichtung spiegelt sich auch in der Auswahl der herangezogenen Quellen wider. Den Hauptuntersuchungsgegenstand bildet die Armen- und Bettelgesetzgebung der beiden katholischen Kurfürstentümer Köln und Trier, denen als geistlichen Kurfürstentümern in der Historiografie zur Armenfürsorgen eine besondere Rolle zugesprochen wird. Alexander Wagner wertet "Rechtsnormen, die zur Polizeigesetzgebung des frühneuzeitlichen Staates zählen" und "Rechtsnormen der zentralen, kurfürstlichen Herrschaftsebene" (30f.) aus. Ergänzt werden letztere durch entsprechende Normen auf städtischer oder untergeordneter territorialer Ebene: Hospitalordnungen sowie Synodalbeschlüsse der Kirchenprovinz.
Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Herausbildung der territorialen Armenfürsorgegesetzgebung im 16. Jahrhundert und endet mit der endgültigen Säkularisierung der Erzstifte im Jahr 1803. Um den sehr weiten Untersuchungszeitraum besser erfassbar zu machen, untersucht Wagner die ins Auge gefassten drei Jahrhunderte jeweils für sich getrennt. Für jedes Jahrhundert stellt er die Gesetzgebung der Kurfürstentümer Trier und Köln dar und zieht jeweils ein kurzes Zwischenfazit. Der Vergleich geschieht erst im Schlusskapitel. Aus diesem strikten Aufbau resultiert eine sehr starke Untergliederung der Untersuchungsebenen, so dass bisweilen die Gefahr droht, dass der Leser den Überblick verliert.
Wagners zentrale Fragestellung, der er sich mit Hilfe seines Vergleichs nähert, lautet: "[Gibt] es einen gemeinsamen Typus 'Armenfürsorgegesetzgebung in geistlichen Territorien' oder werden unterschiedliche Lösungen gewählt?" (27). Ihr folgend stellt er Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Armenfürsorgegesetzgebung in den Kurfürstentümern Köln und Trier klar heraus. Eine eindeutige Antwort auf seine anfangs formulierte Frage vermag Wagner jedoch nicht zu geben. Das liegt wohl auch an der Konzeption der Arbeit. Denn aus nur zwei Beispielen kann schwerlich eine Typologie abgeleitet werden.
Dieses Defizit hinsichtlich seiner zentralen Fragestellung darf über andere verdienstvolle Ergebnisse nicht hinwegtäuschen. So kann Wagner im Laufe seiner Untersuchung etwa seine These belegen, dass die reichsweit auftretenden Entwicklungslinien die kurfürstliche Gesetzgebung beeinflusst hätten. In beiden Territorien war die Reichsgesetzgebung in Gestalt der Reichspolizeiordnung aus dem Jahre 1530 Auslöser der Armenfürsorgegesetzgebung. Während der Kölner Kurfürst die Reichspolizeiordnung beinahe wörtlich übernahm, lehnte der Trierer Erzbischof sich stark an das Vorgehen Karls V. in den Niederlanden an. Auch hinsichtlich des Umgangs der Kurfürsten mit der Problematik der Armenfürsorge kann Alexander Wagner einen markanten Unterschied herausarbeiten: Im Kurfürstentum Trier wurden spezielle Armenordnungen erlassen, in Kurköln hingegen wurde nur eine, sämtliche Materien umfassende Polizeiordnung ausgearbeitet. Gemeinsam ist den beiden Kurfürstentümern die Art und Weise des Vorgehens gegen mobile Personengruppen. Außerdem beruht die Armenfürsorgegesetzgebung beider Kurfürstentümer auf weltlichen wie kirchlichen Rechtsquellen.
Zudem setzt der Autor seine Ergebnisse in Bezug mit der Gesetzgebung der weltlichen Territorien und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Standen die Erzstifte im 16. Jahrhundert noch an der Spitze der gesetzgeberischen Entwicklung, so weist bereits das 17. Jahrhundert hinsichtlich der Armenfürsorgegesetzgebung eine im Vergleich zu den weltlichen Territorien erkennbare Lücke auf. Die Kurfürstentümer hinkten nun der Entwicklung hinterher. So werden Spinn- und Arbeitshäuser zeitverzögert erst im ausgehenden 18. Jahrhundert gegründet.
Im zweiten Teil der Arbeit, "Rahmenbedingungen frühneuzeitlicher Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung", gibt Wagner zunächst einen Überblick über die Entwicklung der Fürsorge im Hoch- und Spätmittelalter und fasst die wichtigsten Forschungsergebnisse zusammen. Dieser Überblick bleibt zum größten Teil auf der Normebene, obwohl die in diesem Kapitel zusammengefasste Forschung die Bedeutung der "Selbsthilfestrategien" Bedürftiger bereits erkannt hat. Leider werden diese Ansätze im Forschungsüberblick nicht berücksichtigt, obwohl sie derzeit den Diskurs über die Praxis der Armenfürsorge mit bestimmen.
Anhand des Begriffspaares Inklusion / Exklusion analysiert Wagner schließlich die normative Grundlage der Armenfürsorge. Es gelingt ihm, Inklusions- wie Exklusionskriterien aufzustellen. "Inklusionskriterien sind die Zugehörigkeit zum Territorium, Arbeitsunfähigkeit und damit verbunden die fehlende Möglichkeit zur Selbstversorgung sowie bestimmte Anforderungen an das Verhalten und die Lebensführung der Betroffenen [...]. Zugleich sind damit die Exklusionskriterien benannt: Fremdheit und Arbeitsfähigkeit" (393). In Kurköln tritt noch die konfessionelle Zugehörigkeit hinzu. Die Gruppe der Bedürftigen wird hier allerdings nur oberflächlich greifbar.
Lobenswert zu erwähnen sind die ausführliche und gut recherchierte Wiedergabe des Forschungsstands in der Einleitung, in der sowohl die historische als auch die rechtswissenschaftliche Forschung berücksichtigt wird, und der gerade für Nichtjuristen nützliche Exkurs zur Rechtswissenschaft im Mittelalter.
Alexander Wagner legt seiner Untersuchung die Annahme zugrunde, dass "[der] gesellschaftliche Umgang mit Armen [...] sich nicht zuletzt in den Erscheinungsformen der Unterstützungsleistungen [ausdrückt], die der auf fremde Hilfe Angewiesene erhält" (25). Der intensive Blick auf die Gesellschaft hätte den Rahmen der rechtshistorischen Dissertation gesprengt. So bleibt nun die Aufgabe, die in dieser gelungenen Studie auf das Genaueste herausgearbeiteten Rechtsvorschriften als Grundlage für weitere Studien zu nutzen und mit mikro- sowie alltagshistorischen Untersuchungen zu unterfüttern.
Lisa Klewitz