Miriam Verena Fleck: Ein tröstlich gemelde. Die Glaubensallegorie "Gesetz und Gnade" in Europa zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Bd. 5), Affalterbach: Didymos-Verlag 2010, 816 S., ISBN 978-3-939020-05-9, EUR 89,00
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Von Luther selbst kommt die Einschätzung, dass es den Theologen ausmache, zwischen Gesetz und Evangelium richtig unterscheiden zu können. [1] Demzufolge substantiell ist der kunsthistorische Status der mit der Visualisierung dieses Duals beauftragten Ikonografie, die in der inzwischen beträchtlich angewachsenen Forschungsliteratur [2] mangels einer Bezeichnung durch die Auftraggeber, die Ausführenden und deren theologischen Berater selbst als 'Gesetz und Evangelium', 'Sündenfall und Erlösung', 'Verdammnis und Erlösung' oder 'Allegorie der Rechtfertigung' auftritt. Der von Fleck gewählte Buchtitel 'ein tröstlich gemelde' entstammt ebenfalls nicht der Werkstattsprache, reflektiert aber immerhin zeitnahe Rezeption (118). Unter diesen Umständen folgt die letztlich gewählte Bezeichnung 'Gesetz und Gnade' der theologischen Begrifflichkeit und beansprucht die Konzentration auf die mit diesem Titel zumeist verbundenen "Cranachschen Typen" (14).
Dies hat gute Gründe: Bekanntlich wird das Aufkommen dieser Rechtfertigungsallegorie auf zwei, 1529 in der Cranach-Werkstatt entstandene, heute in Prag und Gotha befindliche 'Urbilder' vereinbart, wovon die Prager Version bereits prima vista zugänglicher wirkt, insofern sie den ebenso erlösungs- wie beratungsbedürftigen, jedenfalls noch von keinem "Blutstrahl der Gnade" (Ohly) berührten Menschen als Identifikationsfigur in die Mitte der beidemal von einem Baum in zwei Hälften geteilten Komposition rückt. Für Fleck begründet dieses "Jedermanns-Prinzip" den herausragenden Status des Prager Typus in der von ihr nahezu gesamteuropäisch angelegten Rezeptionsgeschichte - eine Geschichte, die indes programmatisch entkonfessionalisiert wird: Was in vorgängigen Studien noch "als Bildsumme des neuen Glaubens" [3] galt und dann, angestoßen von einem Beitrag Frank Büttners von 1994, in den Sog anspruchsvoller Rede von visueller Argumentation, mnemonischer Einprägung und wissensorganisierender Anschaulichkeit geriet, ist für Fleck nun eine "neutrale Glaubensallegorie" (63, 240, 308, 434 u.ö.), die "schlicht die wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubens" (298) vermittelte.
In ebenso pragmatischer wie ökumenischer Absicht sortiert und diskutiert Fleck demnach das reichhaltige, von ihr aus allen Kunstübungen (einschließlich des Schauspiels) zu insgesamt 315 Katalognummern angehäufte Material. Die aus einer Berliner Dissertation von 2006 hervorgegangene Studie tritt darin ergänzend neben einen opulent bebilderten Doppelband, den Heimo Reinitzer unlängst zum selben Thema vorgelegt hat. [4] Gegenüber Reinitzers Interesse an pastoralem Sinngehalt und vielgestaltiger Variation einer für ihn 'genuin evangelischen' Ikonografie setzt sich Fleck dabei stärker mit den Bildaufgaben und Adaptionen eines begrenzten Motivbestands auseinander.
Den "Wege[n] der Bildfindung" (23-93) nachzugehen, bestimmt so den Innovationscharakter dieser Bestandteile: In diesem einleitenden Abschnitt wird nochmals das Verhältnis der Cranach-Bilder zu den verschiedenen, als vorgängig betrachteten Holzschnitten beleuchtet, darunter eine erst allmählich von der Forschung in ihrer initialen Bedeutung erkannte Flugschrift-Illustration von 1525 (Kat.Nr. 6), die im Sinne einer Johannespredigt nur die Gnadenseite zeigt. Flecks Glaube an eine anspruchsvolle Bildfindung schiebt die mit diesem Holzschnitt verbundenen Thesen einer versatzstückartigen Kompilation indes beiseite und lässt eine von Beginn an komplette Fassung vermuten. Diese entdeckt Fleck in dem bereits länger in der Entstehungsdiskussion befindlichen, alle Motive der Prager Version in sich vereinenden Titelholzschnitt des 1528 veröffentlichten Winterteils von Luthers Evangelienpostille (Kat.Nr. 7), den sie auch stilkritisch auf die Cranach-Werkstatt unmittelbar bezieht (37-42). Für jene drei vollständigen Gesetz und Gnade-Versionen (Kat.Nr. 89, 90, 110), die Hauptindizien einer Entstehung des Prager Typus in humanistischen Milieus fern Wittenbergs waren, resultiert daraus die Verabschiedung in einen großflächigen Exkurs (57-93). In ihm wird v.a. der seit Ende der 1950er-Jahre als großes Vorbild diskutierte Holzschnitt Geoffroy Torys mit spitzen Fingern angefasst ("Mythos Tory") - sollte er, wofür Fleck einige Spuren legt, überhaupt in Paris und nicht doch eher in Antwerpen entstanden sein.
Liest sich diese Argumentation als Reihum alter Bekannter, die letztlich an ihren erprobten Gedächtnisort, die Lutherstadt, zurück finden, so sieht Fleck die Cranach-Werkstatt bei der 'Verarbeitung' der Rechtfertigungsallegorie zwar durchaus in eine serielle Produktion eintreten (104ff.). Eine gezielte Verbreitung des didaktisch angereicherten 'Gothaer Typus' fand offenbar dennoch nicht statt, weshalb ihn die Verfasserin gern aus der kunsthistorischen Terminologie gestrichen sähe (103). Zumal sich ihr eine inzwischen verschollene 'Königsberger Fassung' als wesentlich durchsetzungsfähiger erweist. Auf sie bezieht sich auch das von Cranach erhaltene Skizzenmaterial (102).
Entlang dieser Überlegungen betritt man bereits das "Kernland der Verbreitung" und damit den zweiten, ungleich größeren Abschnitt über die "europaweite Rezeption von 'Gesetz und Gnade'" (94-438). Flecks medienorientierter Sicht auf Vervielfältigung und ästhetische Plausibilisierung eines figurenreichen Bildbestandes zeigen sich andere Künstler kaum weniger bedeutsam als Cranach: Namentlich der in Schwerin tätige Erhard Altdorfer mit seinem in Antwerpen, England und Skandinavien aufgegriffenen Titelholzschnitt für die 1534 verlegte niederdeutsche Bibelübersetzung, ebenso der in Leipzig tätige Cranach-Schüler Georg Lemberger - unlängst nochmals als Urheber dieses Glaubensbildes vorgeschlagen [5] -, aber auch der Nürnberger Virgil Solis (für Polen) sowie der Niederländer Pieter Nagel (bes. für Österreich) stechen als wirksame Multiplikatoren und Garanten einer qualitätvollen Weiterverarbeitung hervor. Größere Werkkomplexe gruppieren sich überdies um den Annaberger Maler Antonius Heusler und den Riemenschneider-Schüler Peter Dell d.Ä. (bei ihm mit zahlreichen Umdatierungen).
Mit dem abschließenden Katalog, der nach Gattungen organisiert ist und als solcher auch den Bildteil ordnet, stehen diese nach Regionen voran schreitenden Ausführungen in einem zum vergewissernden Blättern anregenden Verhältnis. Was hier entlang einer Vielzahl von Epitaphien, Druckgrafiken und Buchdeckeln, von Siegburger Steinzeug, Bremer Truhen und rustikalen dänischen Fresken auf eine Realienkunde 'lutherischer Konfessionskultur' (Thomas Kaufmann) hinausläuft, konkretisiert sich indes eher aus dem Gesamt des Katalogs als im oft auf Abwandlung und Platzierung der Einzelmotive fokussierten Fließtext. Zwar weiß Flecks Befund einer "überraschenden Konfessionslosigkeit" (436) des 'Gesetz und Gnade'-Bildes die jüngere kirchen- und kulturgeschichtliche Rede von allmählicher religiöser Transformation hinter sich. Ihre alternative Begründung, hier sei paulinisches Gedankengut humanistisch akzentuiert zur künstlerisch dankbaren Bildaufgabe geworden (434f.), will als zweites Thema gegenüber dem Ceterum censeo von der fehlenden protestantischen Eigenschaft allerdings nicht recht durchdringen.
Spätestens hier, in den Schlussbetrachtungen (423-438), wo die Ausgangsthesen stärker als je zuvor akzentuiert sind, wird deutlich, dass der von Fleck implizit idealtypisch angelegte Charakter eines Bekenntnisbildes (vgl. 138, 433), entweder zu einer unauflösbaren Pattsituation von Kontext und Ikonografie führt oder aber zu Deutungen, die den psychologischen Gehalt einzelner Bildmotive (Beratung, Blutstrahl) gegeneinander ausspielen (433f.). So tendieren die Ausführungen mitunter zum Gedankenspiel, wenn etwa das historisch gesicherte lutherische Umfeld eines Epitaphs deshalb in Frage steht, weil sein 'Gesetz und Gnade'-Motiv kurz vorher ganz ähnlich "auf dem Titelblatt einer polnischen katholischen Bibel erscheint" (350). Für diese ikonologischen Bezüge verwundert, dass Fleck nicht zu Berndt Hamms ausgleichsbedachtem, auf (Frömmigkeits-)Bilder bezogenen und kunsthistorisch daher vielfach aufgegriffenen Sujet der "normativen Zentrierung" gefunden hat, deren christologischer Modus in allen hier bereit gestellten 338 Einzelwerken - und insbesondere dem 'Weimarer Typus' - mit Händen zu greifen ist. [6]
Anmerkungen:
[1] Nachweise bei Oswald Bayer: Leibliches Wort. Reformation und Neuzeit im Konflikt. Tübingen 1992, 35.
[2] Vgl. Ernst Badstübner: "Gesetz und Gnade". Über einige Veröffentlichungen im vergangenen Jahrzehnt zur lutherischen Rechtfertigungslehre im Bild [2003]. Erneut in: Ders.: Baugestalt und Bildfunktion. Texte zur Architektur- und Kunstgeschichte, Berlin 2006, 252-266.
[3] Richard Puza: Der Baum in den bildlichen Gesetz-Gnade-Darstellungen der Reformationszeit, in: "...Bäume braucht man doch!" Das Symbol des Baumes zwischen Hoffnung und Zerstörung, hg. von Harald Schweizer, Sigmaringen 1986, 167-185, hier 168.
[4] Dazu Freya Strecker, in: Archiv für Reformationsgeschichte. Literaturbericht 39 (2010), 71, Nr. 222 und meine Besprechung: http://www.sehepunkte.de/2008/06/12385.html.
[5] Isabel Christina Reindl: Georg Lemberger. Ein Künstler der Reformationszeit. Leben und Werk. Diss. Bamberg 2006, 249-252. Online unter: http://opus4.kobv.de/opus4-bamberg/frontdoor/index/index/year/2010/docId/244.
[6] Siehe die jüngste Einarbeitung des Deutungsmodells bei Daniela Bohde: Schräge Blicke - exzentrische Kompositionen: "Kreuzigungen und Beweinungen" in der altdeutschen Malerei und Graphik. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 75 (2012), 193-222, bes. 216-219.
Thomas Packeiser