Christian Quaeitzsch: "Une société de plaisirs". Festkultur und Bühnenbilder am Hofe Ludwigs XIV. und ihr Publikum (= Passagen / Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art; Bd. 30), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, VII + 512 S., ISBN 978-3-422-06919-0, EUR 78,00
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Mit dem Namen Ludwigs XIV. verbinden sich rauschende, aufwändig geplante und gestaltete Feste, in denen die königliche Macht inszeniert wurde. Hat sich dieser Aufwand gelohnt? Danach, wie die Herrscherfeste wirkten, fragt nun Christian Quaeitzsch. Zwei Leitfragen bahnen ihm den Weg und durchziehen das Buch: Die Frage danach, welche Wirkabsichten die Krone, die Festorganisatoren und beteiligten Künstler verfolgten und jene, welche Ziele das Publikum antrieben und wie es die Feste wahrnahm und nutzte. Die Politik der "absolutistischen Repräsentation", so schon einmal das Fazit, sei das "Ergebnis von Publikumsbedürfnissen" (303).
Quaeitzsch setzt mit dem Jahr 1661 ein, der persönlichen Regierungsübernahme Ludwigs XIV. Hier beginne ein bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts reichender Prozess, in dem sich die öffentliche Wahrnehmung des Festes und das Fest selbst wandelten. Ursprünglich eine "allegorische Repräsentation herrscherlicher Machtvollkommenheit", sei es "zum ästhetisch estimierten Kunsterlebnis" geworden (304). Maßgeblich für diese Entwicklung sei eine Veränderung auf Seiten des Publikums: Es habe den sinnbildlichen Charakter des Dargebotenen hinterfragt. Quaeitzsch schließt sich damit der im Anschluss an Foucault diskutierten These einer Repräsentationskrise des Königtums an, die im Kern eine Legitimationskrise sei. [1] Die Theoretiker und Praktiker der Festkunst hätten auf sie reagiert, indem sie zunehmend die Bedürfnisse der Rezipienten berücksichtigten und das Fest als sinnliche Erfahrung des Einzelnen begriffen. Damit rückt das Publikum in eine gestaltende Rolle ein. Das Publikum, das ist vor allem der Adel in der Umgebung des Königs, Bürgerliche kommen hinzu. Quaeitzsch fasst es als "mondäne Gesellschaft", die auch die Salons bevölkert habe und sich am Hof, in Paris und andernorts traf. Ihr musste es im Kern um die Selbstdarstellung gehen: weil dies der einzige Weg zu sozialem Aufstieg und Machtteilhabe gewesen sei, der aufgrund der königlichen Machtkonzentration nach der Fronde noch offen gestanden habe.
Quaeitzsch zieht die vielfach zitierten, offiziellen Berichte über die großen Feste von 1662, 1664, 1668 und 1674 heran, zudem zeitgenössische Theatertheoretiker und -kritiker, die Architektur-, Literatur- und Kunsttheorie, Libretti, Bilddrucke, private Fest- und Gesandtenberichte, Behördenakten, die quasi regierungsamtliche "Gazette", die "petite presse" mit ihren Gesellschaftsnachrichten, den "Mercure Galant". Wer, so die sich damit verbindende zentrale Frage, prägte die Bilder - die königliche Kunstpolitik, die Teilnehmer? Und wen erreichten die Veranstaltungen? Im Grunde sprachen das Erlebnis Fest und die Festberichte das gleiche (begrenzte) Publikum an.
Im Sinne der neueren Forschung, die gerade seit Peter Burkes Studie zu Ludwig XIV. interessiert, wie Herrschaft präsentiert wurde und den Fürsten des 17. Jahrhunderts als inszenierten Herrscher begreift [2], analysiert Quaeitzsch zunächst die Intentionen der Festmacher. Dass es ihnen um die Glorifizierung des Monarchen ging, bestätigt auch er unter anderem mit der Oper, die das Ballett ablöste und gleichfalls in der Musikgeschichte als politische Gattung gilt. [3] Entsprechend bedeutete der Angriff auf sie Herrscherkritik. Und wenngleich Quaeitzsch ganz auf den französischen Hof ausgerichtet ist und Leopold I. und der Wiener Hof als Vergleich kein Thema sind, wird en passant deutlich, wie die Repräsentationskultur Europas von der Konkurrenz der Dynastien und höfischen Zentren geprägt war und die Krone unter anderem versuchte, Frankreich kulturell von Italien zu lösen.
Dem Beitrag des Publikums bei der festlichen Repräsentation widmet sich das zweite Kapitel. Entscheidend sei, dass die höfische Welt die Festkunst ästhetisch im Sinne des Galanteriekonzeptes geprägt habe. Damit habe sie den performativen Charakter der Feste gestärkt; die Anwesenden agierten in verschiedenen Rollen und präsentierten die eigene Position in der Bindung an den König. Zu diesem Zweck eignete sich immer die Kleidung. Quaeitzsch erörtert andere Wirkungsfelder - Devisen von Höflingen, die auf die Sonnensymbolik des Königs und eigene Tugenden zugleich anspielten oder die Diskussion von Festberichten im Kreis um die Marquise de Sévigné, die Gelegenheit bot, Loyalität wie künstlerischen Verstand und Geschmack zu demonstrieren.
Ausführlich und kenntnisreich verfolgt die Arbeit die mythologischen, allegorischen wie historischen Motive der Bildprogramme und Texte, die künstlerischen Ausstattungen, die Diskussionen unter den Festgestaltern. Das Publikum hat dies aber im Detail nicht interessiert oder es teilte sich darüber zumindest nicht mit. Dass sich die Topoi der Herrscherverehrung glichen, bemerkten die Festteilnehmer ohne vertiefte (kunst-)historische Kenntnisse. Sie interessierten sich - abgesehen von der Inszenierung der eigenen Person - mehr für die materielle Ausstattung der Aufführungen, für die eingesetzten Flugmaschinen beispielsweise, interpretierten mythologische Darstellungen spöttisch als Abbild königlicher Affären oder berichteten als Gesandte über Störungen des Festablaufs. Aktuelle politische Bezüge der Feste traten ebenso in den Hintergrund. Die Effekte von Theater und Festen sind schwer zu fassen, die zeitgenössischen Beschreibungen vielfach spröde und floskelhaft. Quaeitzsch erschließt daher vorrangig die Wirkstrategien der Festdokumentation (Kapitel drei), und er schließt vorwiegend indirekt. Dass der "Mercure Galant" die Beschaffenheit des Bühnen- und Zuschauerraums ansprach, verweise auf die Möglichkeiten der Zuschauer, das Bühnengeschehen zu verfolgen und bedeutet ihm die Orientierung an den Interessen des Publikums, das um prestigeträchtige Sitzplätze konkurrierte.
Irritierend sind die manches Mal divergierenden Interpretationsangebote, die wesentlich auf die Entwicklung der Argumente durch die Kapitel hinweg zurückzuführen sind. Dass Festausstattungen wiederverwendet wurden, führt Quaeitzsch beispielsweise auf mangelnde Ressourcen zurück, auf das Ziel, politische Kontinuität zu vermitteln, und darauf, durch die "Distanz zwischen Darstellung und Inhalt" die Repräsentationsfunktion offenzulegen (59, 72, 77, 86f.). Die zeitgenössische Strategie der "konstanten Inszenierung von Spiegelungen und Brechungen" (86) wird damit Darstellungstechnik. So verlangt die Lektüre, nach der luziden Einführung, die ständige Anstrengungsbereitschaft des Lesers. Letztlich bleibt vieles im Unklaren, erscheint alles als "performativ", alles bedeutungsvoll.
Quaeitzsch endet mit dem Jahr 1687, dem Todesjahr Lullys, der das höfische Festwesen prägte, aber hier kaum eine Rolle spielt. Innen- wie außenpolitische Krisen hätten nun die Festkultur einschneidend verändert; der König zog sich immer mehr aus dem Festwesen zurück. 1682, der Umzug nach Versailles, ist somit kein Einschnitt. Kurzfristig sei die Politik der absolutistischen Präsentation gescheitert, langfristig aber erfolgreich gewesen, so Quaeitzsch. Warum? Weil sie nicht die weitere Domestizierung der Eliten gebracht habe, aber die politisch gesteuerten Dokumentationen der Festkultur langfristig die Erinnerung geprägt hätten. Der schöne Bildteil illustriert dies. Durchgesetzt hat sich das Fest auf dem Papier. Das ist nicht unbekannt - aber hier setzt ein Autor nun entschieden das Publikum in sein Recht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. bsp. Erika Fischer-Lichte (Hg.): Theatralität und die Krisen der Repräsentation, Stuttgart 2001.
[2] Vgl. bsp. Jutta Schumann: Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I., Berlin 2003.
[3] Vgl. Sebastian Werr: Politik mit sinnlichen Mitteln. Oper und Fest am Münchner Hof (1680-1745), Köln u.a. 2010.
Astrid Ackermann