Martin Völkl: Muslime - Märtyrer - Militia Christi. Identität, Feindbild und Fremderfahrung während der ersten Kreuzzüge (= Wege zur Geschichtswissenschaft), Stuttgart: W. Kohlhammer 2011, 306 S., ISBN 978-3-17-021893-2, EUR 39,90
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Überblickt man die Publikationen der letzten Jahre zum Thema "Kreuzzüge", lässt sich auch in der deutschsprachigen Forschung eine verstärkte Hinwendung zu mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen konstatieren, nachdem die englischsprachige Forschung in diesem Bereich bereits einige Akzente gesetzt hatte - hier sei nur auf die Arbeiten von Jonathan Riley-Smith verwiesen.
Selbstverständnis, Motivationen, Wahrnehmung des Feindes und Legitimationsstrategien der lateinischen Christen im Kontext der Kreuzzüge stehen im Mittelpunkt der Regensburger Dissertation von Martin Völkl. Inwiefern stimmt das Selbst- und Feindbild der Kreuzzugspropaganda mit dem zumindest teilweise durch "Erfahrung" (im Sinne des persönlichen Erlebens) gewonnenen Bild der Kreuzzugschronistik überein? Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von Ende des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, also von der unmittelbaren Vorgeschichte des 1. Kreuzzuges bis zu dem gemeinhin als 2. Kreuzzug gezählten nächsten größeren Unternehmen. Der Ansatz ist somit auch diachron: Welche Veränderungen lassen sich in dem halben Jahrhundert zwischen dem 1. und dem 2. Kreuzzug ausmachen? In den Blick genommen werden neben dem syrisch-palästinischen Raum als Zielpunkt auch Unternehmungen auf der iberischen Halbinsel und im Maghreb (Mahdia) sowie, allerdings eher vergleichend, im östlichen Mitteleuropa. Martin Völkl beschränkt sich weitestgehend auf die Untersuchung lateinischer Quellen; volkssprachliche Werke (zum Beispiel Chansons de Geste) werden allerdings zuweilen vergleichend angesprochen (213 und öfter). Gänzlich unbeachtet bleiben orientalische Quellen ostchristlicher und muslimischer Provenienz, was jedoch durchaus der Fragestellung der Arbeit geschuldet ist. Umso systematischer wertet Völkl das von ihm ausgewählte Quellencorpus aus: Kreuzzugsaufrufe, Chroniken, Briefe, lateinische Dichtung. Die methodischen Probleme werden dabei in angemessener Weise reflektiert, so etwa der im Vergleich hohe Wert von Briefen als unmittelbarer Ausdruck der Selbst- und Fremddarstellung, insofern keine nachträgliche Redaktion vorliegt. Soziologische Studien zur Alterität und Feindwahrnehmung werden von Völkl ebenso berücksichtigt wie politikwissenschaftliche Ansätze; die von ihm verwendeten Begriffe werden sorgsam definiert.
Die Ergebnisse sind entsprechend vielschichtig. Die Kreuzzugspropaganda habe versucht, die Teilnehmer als Einheit zu stilisieren, verbunden in erster Linie durch das gemeinsame fromme Ziel. Dieser Einheitsgedanke sei zwar auch in den Begriffen der Kreuzzugschronistik präsent (unter anderem 'gens Christi', 'populus Dei', 'milites Christi', 'pugnatores Dei' [40 und 49]), doch scheine oftmals auch das Bewusstsein sprachlich-subkultureller Differenzen durch, die nur im Falle unmittelbarer Bedrohung überwunden wurden (zur hier keinesfalls pejorativen Verwendung des Begriffes "Subkultur" versus lateinisch-christliche "Großkultur" 100 f.). Hinsichtlich der Motive der Kreuzfahrer konstatiert Völkl eine Vielzahl an möglichen Intentionen und verweigert sich damit den - allerdings eher in der älteren Forschung anzutreffenden - monokausalen Deutungen. Obgleich das in der Kreuzzugspropaganda konstruierte Feindbild prinzipiell wirksam gewesen sei - die Muslime als vermeintlich grausame Christenverfolger in Nachfolge des antiken Heidentums -, habe dies die "Pilgerkrieger" nicht daran gehindert, dem Feind zuweilen pragmatisch gegenüberzutreten (unter anderem durch Verträge). Ein Erkenntnisfortschritt wird hinsichtlich des Wissens vom Islam festgestellt. So sei die zur Zeit des 1. Kreuzzuges noch häufige Charakterisierung der Muslime als Polytheisten durch das Wissen von ihrem Monotheismus, teilweise sogar von der Stellung Mohammeds, abgelöst worden. Dies habe allerdings keinesfalls eine positivere Sicht auf den Islam zur Folge gehabt. Dabei wird allerdings nicht angesprochen, inwieweit neben der unmittelbaren Erfahrung auch die gelehrte Erforschung islamischer Schriften im Westen seit dem 12. Jahrhundert eine Rolle spielte (unter anderem Petrus Venerabilis). Hinsichtlich der byzantinischen und orientalischen Christen - deren Schutz beziehungsweise Befreiung ja eines der propagandistischen Hauptmotive des 1. Kreuzzuges war - konstatiert Völkl einen noch stärkeren Wandel in der Einschätzung. Die Begegnungen hätten den Lateinern die Differenzen erst zunehmend bewusst gemacht, was vor allem hinsichtlich der Byzantiner eher zu einer negativeren Charakterisierung geführt habe.
An einzelnen Stellen gewagt sind die Urteile über den Wahrheitsgehalt mancher Darstellungen. So zweifelt Völkl die Vorgänge von Xerigordon in Kleinasien (1097) an: Gefangene Kreuzfahrer sollen getötet worden sein, nachdem sie sich geweigert hätten, Muslime zu werden. Er tut dies unter anderem mit Verweis auf das unbestreitbare Verbot von Zwangskonversionen bei Angehörigen der Buchreligionen (74 mit Anm. 247, vgl. auch 202). Doch erfolgten zuweilen Hinrichtungen christlicher Gefangener nicht aufgrund ihrer Weigerung, zum Islam überzutreten, sondern aufgrund ihres bewaffneten Kampfes gegen den Islam - nach islamischem Recht eine schwere Schuld, die allerdings durch eine Konversion hätte getilgt werden können. [1]
Völkls Dissertation ist klar gegliedert; hilfreich sind die knappen Zusammenfassungen am Ende der Hauptkapitel. Problematisch ist jedoch die stets fehlende Angabe der Binnengliederung der Quellen, da dies den Leserinnen und Lesern das Auffinden der angegebenen Stellen in älteren beziehungsweise in künftigen Editionen / Übersetzungen deutlich erschwert. Hingegen wird die Benutzung dadurch erleichtert, dass das Register nicht nur Personen- und Ortsnamen, sondern auch Schlüsselbegriffe enthält. Literatur sowie Editionen sind bis zum Erscheinungsjahr 2010, also bis unmittelbar vor der Drucklegung, berücksichtigt.
Obwohl die Untersuchung wenig Überraschendes zu Tage fördert, liefert sie aufgrund ihrer breiten Quellenbasis solide Grundlagen für die weitere Erforschung der Selbst- und Feindwahrnehmung in Zusammenhang mit religiös motivierter Gewalt. Hilfreich wären hier insbesondere ähnlich systematische Studien, welche sich mit dem Zeitraum zwischen dem 2. Kreuzzug und dem Fall Akkons (1291) oder darüber hinaus befassen.
Anmerkung:
[1] Zur Möglichkeit der Tötung von gefangenen Kombattanten im islamischen Recht (neben Versklavung und Freilassung) äußert sich beispielsweise fast zeitgenössisch Averroës [Ibn Rušd], Al-Bidâya, engl. Teilübersetzung in: Rudolph Peters: Jihad in classical and modern Islam: a reader, 2nd edition, Princeton 2005, 31.
Dirk Jäckel