Andreas Deutsch (Hg.): Ulrich Tenglers Laienspiegel. Ein Rechtsbuch zwischen Humanismus und Hexenwahn (= Akademiekonferenzen; Bd. 11), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2011, 539 S., mit 7 Farb- und 63 s/w-Abb., ISBN 978-3-8253-5910-2, EUR 52,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Katherine O'Donnell / Michael O'Rourke (eds.): Love, Sex, Intimacy and Friendship between Men, 1550-1800, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007
Gisela Naegle (Hg.): Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter. Faire la paix et se défendre à la fin du Moyen Âge, München: Oldenbourg 2012
Tobias Kämpf: Das Revaler Ratsurteilsbuch. Grundsätze und Regeln des Prozessverfahrens in der frühneuzeitlichen Hansestadt, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013
Dieser Band, der auf eine Heidelberger Akademietagung anlässlich des 500. Jubiläums des Laienspiegel-Erstdrucks von 1509 zurückgeht, thematisiert umfassend das wohl bedeutendste Rechtsbuch der Rezeptionszeit in Deutschland. Herausgeber Andreas Deutsch, der sich in seiner Heidelberger Dissertation und einer Reihe kleiner Beiträge bislang vor allem mit dessen Schwesterrechtsbuch, dem rund siebzig Jahre älteren Klagspiegel des Conrad Heyden [1], auseinandergesetzt hat, hat dafür eine hochkarätige Beiträgerschaft von größtenteils etablierten Expertinnen und Experten zusammengebracht. Gemessen an seiner Bedeutung steckt die Erforschung des Laienspiegels praktisch noch in den Kinderschuhen. Umso wichtiger ist dieser neue Band.
Die insgesamt neunzehn Beiträge gruppieren sich unter vier Schwerpunktthemen, denen eine Einleitung vorangeht und eine Synopse der drei ersten und wichtigsten Laienspiegel-Ausgaben - des Augsburger Erstdrucks von 1509, des Straßburger Nachdrucks von 1510 und der erweiterten, unter dem Titel Neuer Laienspiegel verlegten Augsburger Ausgabe von 1511 - nachgestellt wird; ein dankbares Hilfsmittel für die weitere Arbeit am Text.
Der erste Schwerpunkt widmet sich dem Verfasser Ulrich Tengler, seiner Zeit und seinem Umfeld. Selbst hier lässt sich - eigentlich: wider Erwarten - noch Neues präsentieren, wie vor allem der vorsichtig abwägende Beitrag von Reinhard H. Seitz beweist. Zur Verortung von Verfasser und Werk im zeitgenössischen Humanismus tragen Franz Fuchs und Joachim Knape - ersterer etwas spezifischer, letzterer etwas allgemeiner - bei. Die weiteren drei Beiträge dieses ersten Themenschwerpunktes behandeln die zeitgenössische Druckgeschichte: während sich Hans-Jörg Künast genauer mit den frühen Ausgaben des Rechtsbuches in Augsburg und Straßburg beschäftigt, behandelt Stephan Füssel in einem konzisen Überblick die Rolle der Druckprivilegien im 15. und dann vor allem 16. Jahrhundert. Dabei wird auch die Frage nach der Authentizität des Druckprivilegs "ne quis audeat" für den Laienspiegel von 1511 und 1512 noch einmal aufgegriffen. Die beiden Beiträge von Künast und Füssel greifen insofern sehr gut ineinander, weil auch ersterer sich mit der Besonderheit der Straßburger Nachdrucke und ihrer Duldung durch die Augsburger Offizin Rynmann beschäftigt. Im letzten Beitrag dieser Sektion fragt Herausgeber Andreas Deutsch: "Wer war Meister H.F.? - der Schöpfer der Laienspiegel-Holzschnitte von 1509". Eine definitive Antwort kann auch er nicht bieten, wohl aber einige überzeugende Indizien anführen, die dessen Werkstatt ausgerechnet in Straßburg lokalisieren.
Der zweite Teil des Bandes befasst sich mit dem Laienspiegel und seinen Quellen. Bernd Kannowski setzt sich mit der seit Stintzings Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts verbreiteten, aber letztlich nie belegten Auffassung auseinander, Tengler habe bei der Abfassung auf die so genannten Magdeburger Fragen, ein Rechtsbuch des sächsisch-magdeburgischen Rechtskreises, sowie den so genannten Schwabenspiegel, das wohl berühmteste Tochterrechtsbuch des Sachsenspiegels, zurückgegriffen. Nach eingehenden Vergleichen kommt er zu dem Schluss, dass beide Behauptungen, wenn sie sich schon nicht widerlegen lassen, zumindest als sehr unwahrscheinlich gelten dürfen. Auch Knut Wolfgang Nörr wendet sich gegen ein seit Stintzing immer wieder nachgeschriebenes Urteil - dass nämlich Tengler auf eine deutsche Bearbeitung des unter dem Namen des Johannes Andreae im Druck verbreiteten Ordo iudiciarius zurückgegriffen habe -, und stellt stattdessen die Parallelen zum Speculum iuris des Durantis heraus. Mehr die Eigenständigkeit denn die Abhängigkeit des Verfassers betont dagegen Friedrich-Christian Schroeder, der zwar auch die Übernahmen in Tenglers strafrechtlichem Teil aus der Bambergensis zusammenstellt, zugleich aber die Innovation der Bearbeitung aufzeigt. Ferner deuten gewisse Parallelen zumindest an, dass die spätere Carolina von 1532 nicht nur auf die Bambergensis, sondern auch auf den Laienspiegel zurückgegriffen haben könnte. Gianna Burret, die unlängst in Freiburg zum Thema promoviert worden ist [2], und Wolfgang Sellert behandeln aus je unterschiedlicher Perspektive das Prozessrecht, insbesondere den Inquisitionsprozess, und kommen zu gegensätzlichen Antworten, was dessen Bedeutung für Tengler angeht. Während Sellert betont, wie klar jener die Gefahren des Inquisitionsverfahrens und insbesondere der Folter gesehen habe und welche Bedeutung der Akkusationsprozess für ihn weiterhin gehabt habe, sieht Burret darin und in anderen, dem Inquisitionsverfahren angelagerten Elementen des gelehrten Rechts, wie Offizalmaxime, crimen lesae majestatis und summarischem Verfahren, ein rechtspolitisches Programm Tenglers, der sich selbst als "Teil der Reformbewegung seiner Zeit" (293) verstanden habe. Die Sektion schließt mit einem Beitrag von Christian Hattenhauer über das Judenrecht des Laienspiegels, das insbesondere in der erweiterten Fassung von 1511 stark antijüdische Züge aufweist.
Die letzten beiden Schwerpunkte sind deutlich kürzer gehalten als die ersten und gehen auf zwei besondere Themenbereiche ein, die im Laienspiegel verhandelt werden. Mit "Hexerei und Schadenszauber" setzen sich Werner Tschacher und Wolfgang Schild auseinander - ersterer mit sehr differenziertem Blick auf den berüchtigten Malleus maleficarum als Vorlage für den Laienspiegel, letzterer anhand einer eingehenden Analyse der Magier- und Hexendarstellung in dem komplexen Holzschnitt Hans Schäufelins, der die erweiterte Neuausgabe, den Neuen Laienspiegel von 1511, ziert und die Hexenlehre Tenglers (sowie in gewisser Hinsicht auch des Malleus maleficarum, den er hier ausschreibt) bildlich komprimiert. In dieser Ausgabe wird das Hexereidelikt gegenüber zwei kurzen Erwähnungen in den Vorgängerauflagen überhaupt erst so auffällig ausführlich thematisiert. Der letzte Themenschwerpunkt behandelt dann mit immerhin vier Beiträgen "Teufelsprozess und Weltgerichtsspiel" im Laienspiegel. Was es mit dem Teufelsprozess auf sich hat, zeigt Wolfgang Schmitz in einem einleitenden Überblicksbeitrag, der bis zum Kern des Motivs, dem Processus Santhanae contra genus humanum des Bartolus de Saxoferrato - und damit also in die gelehrte italienische Jurisprudenz des 14. Jahrhunderts - zurückführt. Eva Schumann verbindet das Stück im Anschluss daran mit dem Bild gelehrter Juristen im Rezeptionszeitalter. Die letzten beiden Beiträge behandeln dann das so genannte "Weltgerichtsspiel", ein Gedicht auf das Jüngste Gericht, das erst der Ausgabe von 1511 beigegeben wurde. Den größeren literaturgeschichtlichen Kontext zeigt Ulrike Schulz mit einer ganzen Reihe verwandter Texte auf, während Wolfgang Schäufele auf einzelne theologische Motive eingeht. Er beobachtet dabei eine starke Orientierung an der diesseitigen Vergeltung von Missetaten und eine starke Parallelisierung des Jüngsten Gerichts mit dem Prozessverfahren, das Tengler selbst vorführe, einschließlich eines streng richtenden Christus und der Interzession Mariens und der Heiligen. Überzeugend kann er so auch das Fehlen dieses Stücks in den Auflagen seit 1527 erklären, als Straßburg merklich begann, sich zur Reformation zu bekennen und man mit diesen Auffassungen nicht mehr konform ging.
Insgesamt stellt der vorliegende Band nicht nur eine überzeugende Synthese der bisher vorliegenden Forschungen zu Tenglers Laienspiegel dar, sondern geht über das bereits Erreichte an vielen Stellen maßgeblich hinaus. Die Erforschung dieses wichtigen Rechtsbuches ist damit auf ein neues, solides Fundament gebaut.
Anmerkungen:
[1] Andreas Deutsch: Der Klagspiegel und sein Autor Conrad Heyden. Ein Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts als Wegbereiter der Rezeption (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, 23), Köln u.a. 2004.
[2] Gianna Burret: Der Inquisitionsprozess im Laienspiegel des Ulrich Tengler. Rezeption des gelehrten Rechts in der städtischen Rechtspraxis (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, 27), Köln u.a. 2010.
Hiram Kümper