Karin Krause / Barbara Schellewald (Hgg.): Bild und Text im Mittelalter (= sensus. Studien zur mittelalterlichen Kunst; Bd. 2), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, 420 S., ISBN 978-3-412-20642-0, EUR 49,90
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Der Sammelband "Bild und Text im Mittelalter" ist die Synthese einer vom 24. bis 27. Januar 2008 an der Universität Basel organisierten internationalen Tagung zur Bild-Text-Forschung. Die Herausgeberinnen Karin Krause und Barbara Schellewald haben sich über die interdisziplinäre Ausrichtung hinaus das Ziel gesetzt, den byzantinischen Kulturkreis stärker in den Diskurs einzubinden (7) und ihm neben den Sektionen zu Spätantike, Mittelalter sowie Wissen und Wissenschaft einen eigenen Teil zu widmen.
Tatsächlich bewährt sich eine Erweiterung des Untersuchungsraumes bereits im ersten Beitrag zu Rezeptionspraktiken, die bisher nur in Byzanz verortet wurden (21). Anhand Claudians "De raptu Proserpinae" äußert Henriette Harich-Schwarzbauer Überlegungen zur Materialhaftigkeit von "ekphraseis". Entgegen jüngerer Forschung, der zufolge sich Claudians Ekphrasis im literarischen Diskurs bewegt, stellt die Autorin den Herstellungsprozess des evozierten Webbildes heraus, der als Rezeptionsvorgabe realer Bildproduktionen fungieren konnte (39).
In den sich anschließenden Untersuchungen werden vornehmlich Text-Bild-Relationen analysiert, bei denen die eindeutige Präsenz beider Medien gerade zum Zwecke der Authentifizierung von zentraler Bedeutung ist. Karin Krause behandelt die ganzseitige Miniatur des Evangelisten Markus im Codex Rossanensis als eine der ältesten Visualisierungen der göttlichen Inspiration eines christlichen Textes. Sie kann in einem Vergleich zwischen antiken und frühchristlichen Beispielen die allgemeine Forschungsmeinung revidieren, die Miniatur rekurriere auf antike Bildformulare dichterischer Museninspiration (62f.). Während Letztere für gewöhnlich auf Kennzeichnungen konkreter Texte verzichten, wird die Schrift in frühen Evangelistenbildern unmissverständlich akzentuiert. Die Bilder des sich allmählich als Staatsreligion durchsetzenden Christentums mussten eine unverfälschte Tradition des nach göttlicher Offenbarung fixierten Kanons proklamieren. Sie stehen daher im Kontext der Aufwertung christlicher Bilder als Authentizitätsgaranten am Ende der Spätantike (82f.). Auch Henry Maguire thematisiert die Relevanz identifizierender Beischriften, die gerade auf Ikonen für die Heiligkeit der abgebildeten Person bürgten. Demgegenüber scheint der bewusste Verzicht auf Illustrationen in paganen Handschriften sowie Inschriften auf mythologischen Szenen, und somit die Präsenz nur eines Mediums, im nachikonoklastischen Byzanz einen devotionalen Missbrauch nichtchristlicher Bilder unterbunden zu haben (280).
In einem medienkomparatistischen Ansatz diskutieren gleich mehrere Beiträge die Kommunikationspotenziale und die Geschichtlichkeit von Text und Bild. Neben der Rolle der Bilder zur visuellen Konstruktion mittelalterlicher Gedächtniskonzepte wird gerade die mündliche Vermittlung von Texten wiederholt pointiert. Markus Späth weist am Westfassadenprogramm der Abteikirche San Clemente a Casauria nach, dass sich die Initiatoren Eigenschaften beider Medien zu eigen machten. Neben der Leistung der Schriftlichkeit zur Authentifizierung vermochten Bilder bekanntlich Bezüge jenseits der chronologischen Erzählstruktur von Texten zu erzeugen. Intermediale Verflechtungen gerade bei stark kondensierten Texten boten intertextuelle Referenzen und mehrere Deutungsoptionen (149ff.). Ulrich Rehm setzt sich anhand einer Auswahl an sogenannten "Picture Books" mit dem in der Forschung geäußerten Vorwurf einer mangelnden Bildkompetenz der Rezipienten auseinander, die eine additive Aufführung von Inschriften zur Folge gehabt hätte (159). Eine Vergegenwärtigung von jüdischer und christlicher Historiografie sei jedoch sehr wohl visuell geleistet worden, wenn auch unterstützend auf Textanteile zur Autorisierung nicht verzichtet wurde (174). Eine memoriale Funktion durch Bild-Text-Korrelation wird nicht zuletzt auch in den Beiträgen von Susanne Wittekind zum Prümer Tropar-Sequentiar und von Ekaterine Gedevanishvili zum ausführlich beschrifteten Freskenzyklus im Narthex der Hauptkirche des georgischen Klosters Gelati herausgestellt.
Inhaltliche Relationen von Schrift und Bild und ihrer Träger, die von Kohärenz bis Divergenz reichen können, stellen einen weiteren Themenkreis dar. Kann Anna Zakharova in einem Überblick über sämtliche aus Byzanz erhaltenen illustrierten Lektionare noch visuelle Parallelen zum Ablauf des liturgischen Jahres nachvollziehen, stellt Liz James bei den Inschriften des Apsismosaiks im heutigen Hosios David Kloster in Thessaloniki heraus, dass diese zwar speziell für das Mosaikprogramm angefertigt wurden, ihre Bedeutung aufgrund fehlender intertextueller Referenzen allerdings seit dem Mittelalter nicht mehr selbsterklärend ist (266). Katrin Graf bewertet Bild-Text-Divergenzen in Sebastian Brants Narrenschiff gemäß August Bucks Auslegung der literarischen offenen Form als bewusst breit angelegtes Deutungsangebot (227). Auch der Beitrag Andrea Worms zu den Jerusalemdarstellungen in der Schedelschen Weltchronik geht von Divergenzen zwischen Bild- und Textinhalten aus. Erst mit Blick auf den Kontext des Gesamtwerkes und der Referenzsysteme, die außerhalb beider Medien liegen, ergibt sich ein Deutungsüberschuss. Durch ein "Migrationsphänomen" (20) ursprünglicher inhaltlicher Bezüge kann die Autorin aktuelle Aussageintentionen an die zeitgenössischen Rezipienten offenlegen. Silke Tammen erweitert den medialen Rahmen durch den Parameter des Bildträgers und vermag dies im Stundenbuch Ms. Egerton 1821 an dem Spannungsverhältnis zwischen rot gefärbten und mit Wunden versehenen Pergamentblättern als Trägerfläche für Holzschnitte der Passionsthematik zu zeigen.
Dem Thema in einer dezidiert theoretisch-ästhetischen Perspektive nähert sich der Beitrag Mechthild Dreyers und Michele C. Ferraris zu Hrabanus Maurus' "Buch des heiligen Kreuzes". Die enthaltenen Figurengedichte stellen eine Hybridform von Schrift und Bild dar, für die Sybille Krämer den Begriff der "Schriftbildlichkeit" geprägt hat. [1] Das verbreitetste karolingische Gedicht nichtliturgischen Inhalts sei eine intellektuelle Reflexion über die Sprache als Zeichen zum Verständnis der Semantik des Universums auf Grundlage der augusteischen Lehre von den "signa translata" (96f.).
In einer abschließenden vierten Sektion widmen sich Alfred Stückelberger und Vivian Nutton dem Themenschwerpunkt der bildlichen Wissensarchivierung und -übermittlung anhand der Betrachtung naturwissenschaftlicher Codices. Der Band schließt mit einem Ausblick auf zukünftige digitale und webbasierte Aufarbeitungen vielschichtiger intertextueller und intermedialer Objekte durch Jeffrey F. Hamburger, Susan Marti und Drew Massey sowie Lukas Rosenthaler.
Die übergreifenden Diskurse erschließen sich häufig erst nach der Lektüre der einführenden Worte Barbara Schellewalds (11-21), denn die Beiträge sind im Tagungsband nicht thematisch, sondern nach der Chronologie ihrer Fallbeispiele geordnet. Zudem erscheint der byzantinische Kulturkreis in einer eigenen Sektion zu stark abgesondert, legt doch gerade eine synthetisierende Betrachtung gemeinsame theoretische Positionen offen. Das produktive Ineinandergreifen der methodologisch vielschichtigen Beiträge, die das aktuelle Spektrum an Paradigmenwechseln eindrucksvoll vor Augen führen, zählt daher zu den großen Verdiensten des Bandes.
Anmerkung:
[1] Siehe Sybille Krämer: Schriftbildlichkeit oder: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift, in: Bild. Schrift. Zahl (Kulturtechnik), hg. von ders. / Horst Bredekamp, München 2003, 157-176.
Yvonne Northemann