Isabelle Poutrin: Convertir les musulmans. Espagne, 1491-1609 (= Le Nœud Gordien Collection), Paris: Presses Universitaires de France 2012, VI + 366 S., ISBN 978-2-13-058914-3, EUR 29,50
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Die Vertreibung der Moriscos aus Spanien gehört mit der Bartholomäusnacht zu den berühmtesten coups d'état der Frühen Neuzeit. Beide Ereignisse waren von Beginn an Gegenstand hitziger Polemik. Spekulationen bezüglich ihrer Hintergründe und Motivation befeuern noch heute die Historiker und das breite Publikum. In Spanien war die Vertreibung keineswegs von Konsens getragen, wie die schon ab 1610 publizierten apologetischen Traktate deutlich machen. Diese richteten sich an die spanische Öffentlichkeit, aber auch den Papst, der sich distanziert zu den spanischen Vorgängen äußerte und sich offiziell in Schweigen hüllte, was das Vorgehen Philipps III. ex negativo diskreditierte.
Auch die moderne Geschichtsschreibung war von Anfang an von ideologischen Gegensätzen geprägt: Während Charles Henry Lea die Vertreibung mit der Brille des liberalen Historisten aufarbeitete und verurteilte, verteidigte Pascual Boronat y Barrachina sie aus konservativ-katholischer und spanischer Perspektive. [1] Beide publizierten ihre Werke 1901 und statteten sie üppig, aber selektiv mit transkribierten Dokumenten aus spanischen Archiven aus. Eine kritische Quellenedition fehlt allerdings bis heute, so dass einige problematische Datierungen und Klassifizierungen sich selbst bis in das Standardwerk progressiver Historiker wie Antonio Ortiz und Bernard Vincent fortgeschrieben haben. [2] Nach den vor allem anthropologisch ausgerichteten Arbeiten den 1980er Jahre, die zuweilen die Vertreibung anachronistisch mit Begriffen aus dem Arsenal der europäischen Vernichtungspolitik des 20. Jahrhunderts belegten, hat sich die Diskussion in den letzten Jahren "normalisiert". Besonders das Werk von Rafael Benítez Sánchez-Blanco hat den Hintergrund und die Dynamik des Geschehens für das Königreich Valencia hervorragend aufgearbeitet. [3] Dennoch, eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung, die die Morisco-Politik aus dem Zeithorizont verstehbar macht, fehlte bislang.
Isabelle Poutrin legt diese Arbeit nun in überzeugender Unaufgeregtheit vor. Sie gibt einen langen Überblick über die rechtlichen und vor allem kirchenrechtlichen Argumente, die die Protagonisten seit dem Fall von Granada motivierten. Sie hebt dabei auf die die Spannungen zwischen kanonistischen und scholastischen Einschätzungen ab, die die Diskussion einrahmten. Sie zeigt zudem, wie sich beide während des 16. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der spanischen Expansions- und Missionsstrategien veränderten und wie die langfristigen Erfahrungen mit Zwangskonversion und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung auf die Moriscopolitik zurückwirkten. Der kirchenrechtliche Denkrahmen und die aus ihm folgenden logischen Handlungszwänge auf der einen Seite und Fragen staatlicher Ordnung auf der anderen bewegten sich seit dem Fall von Granada auf einem verhängnisvollen Kollisionskurs.
Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Zeit der Zwangskonversionen (1491-1526), während der zweite unter dem Titel "Zeit des Zweifels" steht, die sich bis zur Vertreibung hinzieht. Die ursprünglich in den Kapitulationen von Granada (1491) ausgehandelten religiösen Garantien waren von Anfang an durch ein Missverständnis gefährdet: Während die Muslime die Kapitulationen so interpretierten, dass diese sie vor Konversionsversuchen schützten und ihren sozialen Status garantierten, zielten diese Garantien aus Sicht der katholischen Könige von Anfang an auf eine langfristige Konversion der Muslime und insbesondere die Zurückgewinnung der zum Islam konvertierten Christen ab. Die politische Grundsatzentscheidung, die islamische Bevölkerung zunächst zu "tolerieren", war wie Poutrin hervorhebt, nicht nur von Opportunismus, sondern von den scotistischen Überzeugungen des Beichtvaters Cisneros getragen. Erst nach den aggressiven Missionskampagnen kam es zu Aufständen in Granada, in deren Folge die Kapitulationen eingezogen wurden. Nun folgten die Zwangstaufen "als Gnadenakt", statt der Versklavung oder Vertreibung als Strafe für die Rebellion. Ab 1502 verschwand der Islam damit offiziell aus dem Königreich Kastilien.
Völlig anders gelagert war der Fall im Königreich Aragón: Im Zuge des Aufstands der Germanias wurden hier die Muslime von rebellierenden christlichen Untertanen unter Gewaltandrohung zur Taufe gezwungen. Die nach dem Aufstand von Karl V. angeordnete Untersuchung bezüglich der Rechtmäßigkeit der Zwangstaufen führte zu einer Entscheidung zugunsten der kirchenrechtlichen Einschätzung, wonach die Taufen gültig waren, obwohl sie unter Zwang und im Zuge einer Rebellion gegen die weltliche Obrigkeit vollzogen worden waren. Die Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Taufen wurde dabei in Analogie zu den in der Vergangenheit legitimierten Zwangstaufen der Juden diskutiert. Die Anerkennung der Gültigkeit der Zwangstaufen hatte zur Folge, dass ab 1526 nun auch in Aragón aus der islamischen Minderheit die christianisierten Moriscos wurden. Das Paradoxon war von Anfang an, dass die nun nominell christlichen Untertanen in beiden Königreichen mit ihrem unfreiwilligen Glaubensübertritt dennoch keine zivile Gleichstellung erlangten. Zugleich konnte ihre religiöse Praxis kaum als voll christianisiert angesehen werden, was die kulturelle und rechtliche Differenz nur weiter beförderte. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts war so ein Wechselbad zwischen verstärkten Missionierungskampagnen und einer dauernden Frustration angesichts des offensichtlichen Misserfolgs derselben.
Die Zeit der Zweifel war daher gekennzeichnet von den enttäuschenden und paradoxen Ergebnissen der scotistisch und kanonistisch motivierten Politik der katholischen Könige. Besonders in der Mitte 16. Jahrhunderts machte sich in historischen und theologischen Traktaten tiefe Skepsis über die Altlast der in der Vergangenheit liegenden Grundsatzentscheidungen breit. Zugleich beförderte der Aufschwung der zweiten Scholastik thomistische Argumente, die Glaubenszwang äußerst kritisch beurteilten. Wie Poutrin in ihrer subtilen Untersuchung der Diskussionen um Zwangstaufen zeigt, vermischten sich in dieser späteren Phase die Argumente um die Mission in Südamerika mit dem innerspanischen Moriscoproblem. Angesichts der andauernden Feststellung, dass die Moriscos trotz Taufe und Mission auch nach drei Generationen weiterhin ihre kulturellen Eigenheiten pflegten, über deren religiöse Bedeutung Unsicherheit herrschte, wechselten königliche Gnadenerlasse und inquisitoriale Repressionskampagnen einander ab.
Bis 1609 mahnten Kleriker eine Verstärkung der Mission an, während andererseits die Hardliner auf den dauernden Misserfolg solcher Maßnahmen verweisen konnten. Dass die Vertreibung nicht schon nach dem Aufstand der Alpujarras unter Philipp II. erfolgte, war wohl weniger religiösen Bedenken als der Protektion der Moriscos durch die adligen Großgrundbesitzer geschuldet, die nicht auf ihre wertvollen Arbeitskräfte verzichten wollten. Das Paradoxon der Moriscofrage verdichtete sich nun: Kirchenrechtlich konnten die "dauernden Häresien" und Blasphemien nur mit individuellen Inquisitionsverfahren beantwortet werden, was angesichts der 300.000 Moriscos als unmöglich verworfen wurde. Auf der anderen Seite gab es kaum eine zivile Rechtsgrundlage, getaufte Untertanen zu vertreiben. Das Moriscoproblem wurde so zum Zankapfel unter Klerikern, und die von Poutrin nachgezeichnete theologische Debatte ergänzt meisterhaft die bislang auf das "Indianerproblem" fixierte Forschung. Sie bettet damit zugleich den Aufstieg der zweiten Scholastik in einen breiteren politischen und religiösen Diskussionshintergrund ein.
Warum die Frage dann, trotz der nicht verstummenden Rufe nach einem besseren Verständnis der Moriscos mit dem Ziel einer gezielteren Missionierung, ausgerechnet mit der Vertreibung gelöst wurde, kann auch Poutrin letztlich nicht ganz auflösen. Allerdings macht sie die rechtliche Diskussion lebendig, die diese ermöglichte. Hardliner wie der Erzbischof von Valencia Juan de Ribera, die auf eine Vertreibung drangen, da sie eine Missionierung der Moriscos aus zum Teil rassistischen Gründen für unmöglich hielten, vertraten die Auffassung, dass die Moriscos ipso facto als exkommuniziert zu gelten hatten, was eine Einzelfallbeweisführung überflüssig machte. Alle verdienten damit die Todesstrafe! Die vermutete Verbindung mit den Osmanen lieferte zudem noch einen auf die Staatsräson zurückführbaren Anlass. Die Vertreibung war damit die "milde Lösung" für eine Gruppe, die sich aus eigenem Verschulden und aus Hass gegen die christliche Obrigkeit schon selbst aus dem den Untertanen gebührenden Schutz herausgelöst hatte. Von diesem Argumentationsstrang ließ sich Philipp III. letztlich überzeugen, obwohl die Mitglieder des Consejo de Estado bis zuletzt uneins waren und auch der Beichtvater eher zurückhaltend blieb. Das Argument der Vertreibung als Gnadenakt erlaubte es dem König, sich selbst und der Welt zu erklären, dass er nicht als blutrünstiger Tyrann handle und dass er sich daher moralisch positiv von den Herrschern auf der anderen Seite der Pyrenäen abhebe.
Poutrin legt eine meisterhafte, nüchterne Analyse einer angekündigten Katastrophe vor. Sie macht deutlich, wie wichtig ein Verständnis der kanonistischen Rahmenbedingungen für die Bestimmung frühneuzeitlicher politischer Denk-und Handlungsspielräume ist. Man darf hoffen, dass diese Studie bald in viele Sprachen und auch ins Deutsche übersetzt wird.
Anmerkungen:
[1] Pascual Boronat y Barrachina: Los moriscos españoles y su expulsión, 2 Bde., Granada 1901 [Neuauflage 1992]; Henry Charles Lea: The Moriscos of Spain. Their Conversion and Expulsion, London 1901.
[2] Antonio Dominguez Ortiz / Bernard Vincent: Historia de los moriscos. Vida e tragedia de una minoria, Madrid 1978 [weitere Auflagen 1984 und 1989].
[3] Rafael Benítez Sánchez-Blanco: Heroicas decisiones. La Monarquía Católica y los moriscos valencianos, Valencia 2001.
Nicole Reinhardt