Johann-Christian Klamt: Verführerische Ansichten. Mittelalterliche Darstellungen der Dritten Versuchung Christi, Regensburg: Schnell & Steiner 2011, 215 S., 80 s/w-Abb. und 15 Farbtafeln, ISBN 978-3-7954-2126-7, EUR 49,95
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Die drei Versuchungen Christi wurden weder in der frühchristlichen Sepulkralkunst dargestellt, noch liegt ihr Text der Liturgie zu einem der wichtigen Christusfeste zugrunde. Allerdings war das Lesen dieser Perikope im Mittelalter wie auch heute noch zu Beginn der vierzigtägigen Fastenperiode vor Ostern vorgesehen und ihr dadurch ein fester Platz und eine Zeit der Vergegenwärtigung im Kirchenjahr bestimmt. Zudem reizten sie weit mehr Künstler zur Illustration als man in Anbetracht des lange Zeit fehlenden Forschungsinteresses vermuten würde. Kleinodien wie das Arnulfziborium aus spätkarolingischer Zeit, bei dem in auffälliger Weise drei der acht Szenen des Giebels dem Sujet gewidmet wurden, sind beileibe nicht die einzigen Bildträger für die Thematisierung dieses spannungsvollen, heilsgeschichtlich aufgeladenen Gegensatzes zwischen Gut und Böse. Gleichwohl gehört es zu den ältesten Darstellungen, die sich generell erst aus karolingischer und damit aus einer Zeit erhalten haben, in der das Bewusstsein um Sünde und Buße durch Reformbestrebungen im Bereich der Bußpraxis entscheidend geschärft wurde. [1]
Johann-Christian Klamt, emeritierter Ordinarius für Kunstgeschichte des Mittelalters an der Universität Utrecht, konzentrierte sich in seiner diachron und ikonografisch ausgerichteten Monografie vor allem auf die dritte der Versuchungen Christi. Grund ist für ihn die Formenvielfalt ihrer bildlichen Umsetzung in der Kunst des 9.-16. Jahrhunderts im Gegensatz zum eher konstanten Motivschatz der ersten beiden Versuchungen. Berücksichtigt hat Klamt hierbei alle im lateinischen und griechischen Kulturraum vertretenen Bildgattungen - d.h. Buch- und Wandmalerei, Tafel- und Glasmalerei, außerdem Bronzerelief, Mosaik und Druckgrafik. 79 in den Text eingestreute Schwarz-Weiß-Abbildungen sowie 13 am Ende des Bandes präsentierte Farbtafeln dienen der Veranschaulichung. Ein Anhang mit lateinischen Quellenauszügen aus antiker Philosophie, christlicher Dichtung und Theologie sowie Bibliografie und Register sind wertvolle Ergänzungen.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert. In der Einleitung (9-24) gibt Klamt die biblischen Textgrundlagen wieder und skizziert das Untersuchungsvorhaben sowie verschiedene Formen der künstlerischen Umsetzung des Themas (Einzelbild oder Teil eines Zyklus, Haupt- oder Nebenthema). Zudem umreißt er Veränderungen der Ikonografie und Deutungshorizonte sowie bildwirksame Aspekte des kulturhistorischen Kontexts wie etwa die Entwicklung der Städte und der Landschaftsmalerei.
Im zweiten Kapitel (25-55) breitet Klamt die Grundlagen der exegetischen und literarischen Rezeption der drei satanischen Versuchungen seit dem Frühchristentum bis ins Spätmittelalter und die Zeit des italienischen Renaissance-Humanismus hinein aus, und zwar sowohl im westlichen als auch im östlichen Kulturraum. Die Aufarbeitung des umfangreichen und in ikonografischer Hinsicht nur vermeintlich uniformen Materials gewinnt durch die Gliederung nach einzelnen Motiven der biblischen Erzählung oder davon geprägten Textquellen - so z.B. Jesu Führung in die Wüste, Satan als Verlierer oder Christi Ritt auf dem Rücken des Versuchers. Allerdings lässt der Autor dabei die zeitliche Abfolge der gewählten Quellen und Kunstwerke sowie außerdem die Rezeptionsgeschichte der zitierten Theologen häufiger außer Acht. Für den Leser entsteht dadurch eine Art chronologische Achterbahnfahrt, bei der er Tendenzen oder Entwicklungen in Bildtradition oder Exegese nur schwer nachvollziehen kann.
Das dritte Kapitel (56-72) gilt einer ikonografischen Besonderheit - der dritten Versuchung, die mit dem Motiv der irdischen Schätze verbunden ist und im Hinblick auf den Prunk von Gold und Silber sowie Personifikationen des Lasters und der "Psychomachia" des Prudentius vorgestellt wird. Dabei streift Klamt das mit seinen drei Versuchungsszenen höchst bemerkenswerte Arnulfziborium nur (59), ohne die 2003 von Uta Appel Tallone dazu vorgelegte und für eine Erklärung des besagten Themenschwerpunkts interessante Dissertation zu berücksichtigen. Auch bei manchen seiner inhaltlichen Verbindungen, etwa zu den Wikingern (58), oder die extreme Spätdatierung um 1055/56 des sonst meist um 1020/25 eingeordneten Uta-Codex (Clm 13601) überzeugt er in diesem Kapitel nicht immer. Dies liegt zum Teil und wohl auch im zuletzt genannten Fall daran, dass die aktuellste Forschungsliteratur unberücksichtigt blieb.
Im umfangreichen vierten Kapitel (73-136) stellt Klamt zahlreiche Fallbeispiele aus dem Zeitraum des 9.-14. Jahrhunderts vor, die sowohl im lateinischen als auch im byzantinischen Kulturraum entstanden. Das Zusammentragen und Auswerten dieser Sammlung verschiedener Darstellungsformen des Bildthemas muss in jedem Fall als verdienstvolles Unterfangen gelten, selbst wenn man auch hier nicht jedem Deutungsansatz zustimmen kann. So wirkt z.B. die Interpretation eines löwenähnlichen Tieres als Biber im Evangeliar der Markgräfin Mathilde von Tuszien (81f.) weit hergeholt, ist das Tier doch so wiedergegeben, dass es fast schon in die ersten Worte des Markus-Evangeliums hineinschreitet. Ein Bezug zum Symboltier dieser zugegebenermaßen verrätselten Darstellung wird jedoch vom Autor nicht erwogen. Ganz ähnlich stolpert man bei der Deutung des quadratischen Binnenlayouts einer ganzseitigen rechteckigen Miniatur des anglo-katalanischen Psalters darüber, dass Klamt zwar die Lehre von den Vier Weltreichen zitiert, sonst aber weder auf die seit dem 12. Jahrhundert verstärkt aufgegriffenen antiken Schemabilder zur lehrhaften Präsentation komplexer Inhalte verweist, noch auf konkrete Hintergründe wie das in diesem Falle vorbildhafte Layout des Eadwine-Psalters.
Die Aspekte, die er im Weiteren im Hinblick auf die Stadtdarstellungen, den Versucher als höfisch geprägten Modenarren oder ikonografisch kurios anmutende Trinkhörner und byzantinische Beispiele aufgreift, sind inhaltlich sehr gut geeignet, das umfangreiche Material sinnvoll zu gliedern. Häufig bleibt die Deutung jedoch an einer wörtlich-direkten Auseinandersetzung mit ikonografischen Details hängen, ohne dass weiterführende Fragestellungen nachfolgen, wie etwa Überlegungen zum thematischen oder funktionalen Kontext der Darstellung. Dass solche Aspekte durchaus relevant sein können, zeigt ein Blick auf die Holztüren von St. Maria im Kapitol zu Köln, an der die Versuchungsszenen sämtlich im untersten Register und damit im hierarchisch nieder bewerteten Bodenbereich angebracht sind, oder auf die Holzdecke von Zillis, in der die dritte Versuchung das Zentrum und möglicherweise eine wichtige thematische Facette markiert. [2] Auch Klamts Urteil über den "künstlerisch zurückgebliebenen Süden der [italienischen] Halbinsel" (111) kann man angesichts der Blüte der süditalienischen und sizilianischen Kunst im 12.-14. Jahrhundert und Giottos Wirken in Neapel kaum zustimmen.
Im fünften Kapitel (137-149) stellt Klamt in einem katalogartigen Überblick die typologischen Verflechtungen der Darstellung in Buchmalerei und christlicher Dichtung vor, um im sechsten Kapitel (150-153) über die sogenannte verklärte Topografie nochmals auf das Motiv des hohen Berges zu sprechen zu kommen. Schön ist, dass er abschließend auch das Nachleben des Themas und seine Funktionalisierung in der protestantischen und gegenreformatorischen Bildpropaganda vorstellt (154-164). Beispiele aus der Tafelmalerei (Bartel Bruyn, um 1547), ein Kupferstich und ein Flugblatt über die Niederlage des Winterkönigs Friedrich I. von Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg von 1621 vermögen hier einen Einblick zu geben.
Nur "verführerisch", wie das der pfiffig formulierte Titel und das Buchcover suggerieren, sind Johann-Christian Klamts "Ansichten" demnach nicht. Gleichwohl handelt es sich um eine reiche, erstmals in dieser Form zusammengetragene und analysierte Materialsammlung, bei der auch interdisziplinäre Aspekte wie mittelalterliche Dichtung und geistliches Spiel berücksichtigt wurden.
Anmerkungen:
[1] Uta Appel Tallone: Das Arnulfziborium in der Schatzkammer der Münchener Residenz. Eine monographische Untersuchung, phil. Diss., Herne 2003, 178-181.
[2] Vgl. Klaus-Gereon Beuckers: Rex iubet - Christus imperat. Studien zu den Holztüren von St. Maria im Kapitol und zu Herodesdarstellungen vor dem Investiturstreit, Köln 1999, 149; Christoph Eggenberger: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Die Versuchung Christi in Zillis, in: Aachener Kunstblätter 60 (1994), 237-244, bes. 240.
Monika E. Müller