Christine Juliane Henzler: Die Frauen Karls VII. und Ludwigs XI. Rolle und Position der Königinnen und Mätressen am französischen Hof (1422-1483) (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 71), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012, 280 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20879-0, EUR 44,90
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Das waren schon Powerfrauen in Frankreich am Ausgang des Mittelalters: "81,08 % de réussite, c'est quand-même [sic, H. M.] beaucoup", konstatiert Colette Beaune, wenn sie 37 "femmes de pouvoir, femmes politiques" in einem von Eric Bousmar u. a. besorgten Tagungsband [1] Revue passieren lässt. Fragen wir nicht nach den Kriterien für die frappierende Genauigkeit solcher Erfolgsberechnung, halten wir nur fest, dass keine einzige der in dieser Dissertation Vorgestellten es unter die besagten 37 geschafft hat. Kaum verwunderlich, scheinen doch weder Karls VII. Gemahlin Maria von Anjou noch seine Mätresse Antoinette de Maignelais noch Ludwigs XI. Gattinnen Margarete von Schottland und Charlotte von Savoyen nennenswerte Spuren hinterlassen zu haben; ihnen ging offenbar jene "épaisseur politique" ab, die Bousmar & Co. als Erfolgsbedingung gilt. [2] Allein Karls erste Mätresse Agnès Sorel erfreut sich bis heute einer gewissen, zwischen Verdächtigung und poetischer Verklärung schwankenden Bekanntheit als "Dame de Beauté" und (wahrscheinliche) Maria lactans auf Jean Fouquets Antwerpener Bildnis.
Die Macht einer Königin beruhte bekanntlich auf ihrem Status als Ehefrau des Herrschers, Mutter seiner Kinder und eventuell Witwe. Fand sie guten Zugang zu ihrem Gatten, kam ihr zentrale Bedeutung zu, insbesondere wenn es um Protektion, Mediation und Petition ging. Urteile von Chronisten sind indes, besonders was die Rolle der beargwöhnten Mätressen anlangt, mit Vorsicht zu genießen, zumal wenn sie aus der latent gegnerischen Ecke Burgunds kommen. Eine gewisse Objektivierung erlauben die von Henzler im großen Umfang ausgewerteten Rechnungsdokumente (Chambre aux deniers, Trésor, Argenterie etc.). Auf solch quellenbasiertem Weg gelangt sie zu einer entsprechend fundierten neuen Einschätzung der genannten fünf Frauen, was ihr denn auch 2011 einen Promotionspreis der Marburger Universität eintrug. Dabei interessiert sie sich nicht nur für politische Aktionen, es liegt ihr vielmehr an einer möglichst umfassenden Erschließung aller Facetten des Themas, ob es nun um die gesellschaftliche Rolle der Betreffenden geht, um ihren Hofstaat und ihr Personal, um Haushalt und Finanzen oder um das Hofleben mit seinen vielfältigen Aspekten wie Alltag, Reisen, Festen, Kunst, Literatur oder Frömmigkeit. Dabei gelingen ihr Passagen von eindrücklicher Intensität, etwa wenn sie den auf diesen Frauen lastenden Gebärdruck schildert.
Der von ihnen ausgeübte Einfluss dürfte größer gewesen sein als bislang angenommen. Auch Karls Mätressen waren keineswegs nur mit ihren Reizen einem gekrönten Wollüstling zu Diensten; Intelligenz, Intuition und Urteilskraft ließen sie die Gesetze der Hofgesellschaft zu ihrem Vorteil nutzen - und zu dem ihres Königs. Denn auch sie haben Karl VII., der nach den Wirrnissen der frühen Jahre ohnehin als "le bien conseillé" erfolgreich regierte [3], mit gutem Rat begleitet. Dank ihrer Klugheit überstanden sie alle Intrigen; solcher "Mehrwert" hebt sie weit über die Schar namenloser Freudenmädchen am Hof heraus. Und dies entsprach zudem genau dem Regierungsstil eines Monarchen, der Kontinuität im vertrauten Kreis kompetenter und loyaler Räte schätzte. Karl war in der Untreue treu.
Den beachtlichen Einfluss von Gattinnen wie Favoritinnen spiegeln insbesondere die im Kernkapitel "Auf dem politischen Parkett" zusammengetragenen Belege und Indizien, die sich zwangsläufig mehr als eine Addition von Einzelnachrichten denn geschlossene Darstellung ausnehmen; er erweist sich aber auch bei den "harten" ökonomischen Fakten, beim Umfang von Geldzuweisungen, Personal, Ländereien etc. - wobei zwischen Königinnen und Mätressen ein erheblicher Abstand gewahrt blieb. Selbst in den frühen Jahren von Krise, Krieg und Exil um 1425 standen Maria von Anjou im Schnitt jährlich 26.000 livres parisis zur Verfügung. "Und wenn", so fügt Henzler hinzu, "Karl VII. seiner Gemahlin im Jahre 1426 500 l(ivres) t(ournois) für Goldbrokat anweisen ließ, kann die Not nicht so groß gewesen sein" (99). Richtig, denn selbst das von den Engländern besetzte, von Parteikämpfen zerrissene und von einem scheinbar indolent-unfähigen Herrscher (nicht) regierte Land verfügte eben über materielle Ressourcen und etatistische Strukturen, die es nie in existentielle Gefahr geraten ließen. Selbst fast ein halbes Hundert Dienstboten ließ sich für die Mätresse finanzieren - wenn auch im Vorgriff auf erwartete Einkünfte. Ob sich der römisch-deutsche König eine "etatisierte" Mätresse überhaupt hätte leisten können?
Weitergehende Fragen mit Blick auf die allgemeine Geschichte Frankreichs zu jener Zeit stellt Henzler indes nicht; auch fällt kaum ein vergleichender Blick auf das nahe Burgund - dabei stellt des Herzogs Gattin Isabella von Portugal doch das damalige Maß schlechthin für eine Fürstin von Einfluss dar. Monique Sommé hat dazu Material in Fülle bereitgestellt (hervorzuheben sind dabei die Finanzdokumente), allein hier wird lediglich ihre Thèse genannt - und kaum zum Vergleich genutzt (was auch für die von Werner Paravicini und dessen Schülern erschlossenen Burgundica gilt). Generell ist die Liste unberücksichtigter Literatur lang - das reicht z. B. von den Werken über Philippe de Commynes (18f. - Fehlanzeigen von Bittmann bis zu Blanchard) über die ohne Rekurs auf eine überreiche und teilweise vorzügliche jüngere Literatur (Guenée) wiedergegebenen dramatischen Ereignisse in Paris und im Königreich des frühen 15. Jahrhunderts bis hin zu den Hintergründen des Armagnakenzugs des Dauphin und der lothringischen Kampagne seines Vaters 1444/45 (zu den wichtigsten jüngeren Publikationen H. Müller). [4] Ob Nebenakteure wie der bischöfliche Onkel der Agnès Sorel, Geoffroy de Soreau (136), und Leo von Rožmital, der reisende böhmische Adelige am Hof Ludwigs XI. (172), oder wichtige Personen wie etwa Karls VII. Mutter Isabeau de Bavière: Wie viele jüngere Arbeiten liegen zu ihnen und anderen vor, allein im Literaturverzeichnis findet sich dazu kein und generell kein einziger nach 2005 erschienener Titel.
Henzler würde diese Monita allesamt als gegenstandslos zurückweisen, da es ihr ausschließlich auf Quellenbelege ankomme. Meist listet sie recht ausführlich die gedruckten Quellen zu einem Ereignis wie etwa dem Kongress von Arras 1435 auf (127 A. 48), bestenfalls schließen sich daran ein oder zwei Nennungen von indes fast immer veralteter Literatur an. Muss das Rad wirklich jedes Mal künstlich neu erfunden werden? Es ist kein Verrat an den Quellen, wenn z. B. bei Arras auf ein Referenzwerk wie "Arras et la diplomatique européenne, XVe- XVIe siècles" (1999) verwiesen wird, in dem sie sich allesamt leicht auffinden lassen. "Literaturkenntnis schützt vor Quellenfunden" pflegte Hermann Heimpel anzumerken. Und sie verhilft zu vertiefter Einsicht in die Dinge wie etwa im Fall des Pfauenbanketts von Tours (1457) (197f.): Bei dieser Verlobungsfeier des Böhmenkönigs Ladislaus mit Karls VII. Tochter Magdalena handelte es sich um einen bewussten Gegenentwurf zum Kreuzzugsschwur auf dem burgundischen Fasanenbankett in Lille (1454), denn das Bankett stand seinerseits im Kontext eines geplanten Prager Kreuztags, in dessen Rahmen dann die Hochzeit des Paares stattfinden sollte, die indes Ladislaus' Tod hinfällig werden ließ: kein Arkanwissen, sondern mancherorts nachzulesen. [5] Und muss die fast zwei Jahrhunderte alte These von Pierre Caze, Jeanne d'Arc sei eine Halbschwester Karls VII. gewesen, unbedingt nochmals widerlegt werden (125f.)? Das ist sie nämlich ebenfalls seit fast zwei Saecula, und bis auf eine ein breiteres Publikum ansprechende "Dissidentenliteratur" nimmt sie keine seriöse Veröffentlichung ernst. In ihrer Einleitung übt Henzler wiederholt harsche und teilweise unangebrachte Kritik an anderen Arbeiten, die ihre Thematik berühren. Unangebracht ist sie, weil es sich dabei partiell um Publikationen handelt, die kaum wissenschaftliche Standards erfüllen - wird da nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen? (Allerdings sind auch Autoren vom Rang eines Léopold Delisle oder Malcolm G. Vale Opfer einer "Jetzt zeige ich, wo's wirklich lang geht"-Attitüde, die auf recht entwickeltes Selbstbewusstsein schließen lässt.)
Aufs Ganze ist der Ton zwar sachlicher, indes der dritte, von der Rolle der fünf Damen in der Hofgesellschaft handelnde Abschnitt könnte passagenweise unter der Rubrik "Herzblattgeschichten" firmieren. Das hängt natürlich mit der Sache selbst zusammen; manchmal ging's zwischen Klatsch, Eifersucht und Betrug bei Königs anscheinend so zu, wie sich das Klein-Moritz ausmalt. Das "taedium curiae", das die Briefe des - mit Maria von Anjou verbundenen - königlichen Beichtvaters Gérard Machet durchzieht, dürfte kein bloßer Topos sein. [6]
Zum Anhang: Verdienstlich sind sicherlich die meist aus archivalischem Material geschöpften Itinerare der drei Königinnen, doch wäre bei vielen kleinen Orten Orientierungshilfe willkommen gewesen. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man im Quellen- und Literaturverzeichnis immer wieder kleinere Fehler von Albanés (262) über Athen (Groag Bell, 268) bis zu Barthélémie (- A. Pocquet du Haut-Jussé, 275); man konstatiert den völligen Verzicht auf Abkürzungen selbst für gängigste Zeitschriften und Reihen und wundert sich über manch merkwürdige Einordnung à la Beaucourt (statt Du Fresne de B., 263) oder "Menschen" statt "Paravicini" (273) bis hin zu den "Histoires" (die doch allesamt einen Verfasser haben, 269). Weitaus gravierender ist indes das Fehlen jeglichen Registers.
Im Kern hat Henzler in ihrer vielfach auf handschriftlichem Material basierenden Dissertation sicher das Richtige getroffen, allein der vergleichende und vertiefende Blick in die allgemeine Geschichte der Zeit, die Literaturkenntnisse wie bisweilen auch die sprachlich-stilistische Seite und manche Einzelheit lassen - Preis hin, Preis her - nach meiner Einschätzung zu wünschen übrig. Gäbe es im Übrigen ein Register, so wäre neben den Namen der fünf Ehefrauen und Mätressen ein weiterer sicher ebenso oft belegt: der von Königin Yolande von Aragón, Mutter der Maria von Anjou und Frau von erheblichem Einfluss auf ihren Schwiegersohn. Ihr Einschluss in die Thematik hätte der Arbeit sicher nicht zum Nachteil gereicht.
Anmerkungen:
[1] Colette Beaune: Conclusions, in: Éric Bousmar e. a. (dir.): Femmes de pouvoir, femmes politiques durant les derniers siècles du Moyen Age et au cours de la première Renaissance (Bibliothèque du Moyen Age 28), Brüssel 2012, 642.
[2] Ibid., 5.
[3] Doch auch Ludwig XI. hatte seine Räte; vgl. Pierre-Roger Gaussin: Les conseillers de Louis XI (1461-1483), in: La France de la fin du XVe siècle. Renouveau et apogée. Économie - pouvoirs - arts - culture et conscience nationales, publ. par Bernard Chevalier/Philippe Contamine, Paris 1985, 105-134.
[4] Heribert. Müller, in: Francia 30/I [2003], 125 A. 51; HZ 293 [2011], 623 A. 73)
[5] Siehe etwa Ders.: Kreuzzugspläne und Kreuzzugspolitik des Herzogs Philipp des Guten von Burgund, Göttingen 1993, 67.
[6] Klugheit auf beiden Seiten bestimmte wohl die Beziehungen zwischen Beichtvater und Agnès Sorel, die beide dem Herrscher nahe standen; vgl. Pierre Santoni: Gérard Machet, confesseur de Charles VII et ses lettres, in: École des Chartes. Positions des Thèses a. 1968, 179 (Zusammenfassung einer ungedruckten, am 24.VI.2011 in etwas veränderter Form ins Netz gestellten Abschlussarbeit an der École des Chartes http://halshs.archives-ouvertes.fr/docs/00/60/33/90/PDF/GA_rard_Machet.pdf , deren Anhang eine vorläufige Ausgabe der Korrespondenz Machets enthält. Bislang ist sie meines Wissens nicht in kritischer Edition erschienen, obwohl sie allgemein für die französische Geschichte der Zeit wie auch für das Thema dieser Dissertation mit Blick auf Anjou höchst aufschlussreich ist).
Heribert Müller