Rodric Braithwaite: Afgantsy. The Russians in Afghanistan 1979-1989, London: Profile Books 2012, XIV + 417 S., ISBN 978-1-84668-062-5, EUR 13,99
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Der Krieg der UdSSR in Afghanistan, der am 25. Dezember 1979 mit der Erstürmung des afghanischen Präsidentenpalastes durch sowjetische Spezialeinheiten begann, zählt unzweifelhaft zu den bedeutendsten Kriegen des 20. Jahrhunderts. Dem Zerfall der Sowjetunion hat er mit den Weg gebahnt, muslimische Kämpfer bezwangen in ihm eine Weltmacht, und der Umstand, dass heute deutsche Truppen in diesem Lande kämpfen, ist ein Erbe dieses Krieges. Der Vietnamkrieg, in dem sich die amerikanische Supermacht nicht gegen den Abnützungswillen der vietnamesischen Kommunisten durchsetzen konnte [1], mag zwar die Entwicklung der westlichen Kultur stärker beeinflusst haben, hatte aber letztlich politisch nicht annähernd so weitreichende Folgen.
Der britische Diplomat Rodric Braithwaite, von 1988 bis 1992 Botschafter in Moskau, hat sich in dem hier besprochenen Buch dem sowjetischen Kriegserlebnis gewidmet, daher auch der Titel "Afgantsy", bei dem es sich um den russischen Ausdruck für die Afghanistanveteranen handelt. Braithwaite urteilt über den sowjetischen Afghanistankrieg aus der Perspektive einer imperialen Großmacht, die in diesem Land wiederholt selbst Krieg führte und deren Vertreter daher wissen, welches Ausmaß an wechselseitigen Grausamkeiten man in solchen Konflikten zu erwarten hat. Sein Zugriff auf das Thema folgt nicht dem in Deutschland beliebten Schema von Tätern und Opfern, er analysiert die sowjetische Kriegführung vielmehr pragmatisch und vor dem Hintergrund ähnlicher Kriegserfahrungen westlicher Mächte. Den sowjetischen Kriegsteilnehmern begegnet er mit großer Empathie, die sich aus dem Wissen um die Verheerungen speist, die der Krieg in den Seelen der Soldaten anrichtet.
Neben der breiten russischsprachigen Literatur zum Thema und den im Internet angesiedelten Selbsthilfeseiten der Veteranen sind eine der Hauptquellen von Braithwaites Arbeit Interviews, die er mit militärischen, aber auch zivilen Kriegsteilnehmern geführt hat. Das Buch reiht sich damit in eine sehr britische Form der Kriegsgeschichtsschreibung ein, bei der es sich um Werke von Nicht-Historikern handelt, die sich in starkem Maße auf orale Quellen stützen. Zu nennen wären hier das wegweisende Buch des Hühnerfarmers Martin Middlebrook über den ersten Tag der Somme-Schlacht [2], aber auch die leider nie ins Deutsche übertragene Arbeit des Journalisten Max Hastings über den Endkampf um Deutschland 1944/45 [3]. Obwohl Braithwaite mit diesen Vorbildern nicht ganz mithalten kann, weil seine Arbeit sich etwas zu oft in eher nebensächlichen Anekdoten verliert, liefert er doch ein beeindruckendes Panorama des sowjetischen Afghanistankrieges, das selbst die Perspektive der weiblichen Kriegsteilnehmer mit einschließt.
Ähnlich wie der Indochinakrieg der USA war auch der Afghanistankrieg mit einer erheblichen Entwicklungshilfeanstrengung der UdSSR verbunden, die von zunächst enthusiastischen und vom eigenen System überzeugten Entwicklungshelfern getragen wurde. Die 40. Sowjetarmee war allerdings aufgrund unzureichender Kräfte nie in der Lage, das Land soweit zu sichern, dass dauerhafte soziale Veränderungen hätten bewirkt werden können. Braithwaite verweist hier auf die muslimischen Sowjetrepubliken als mögliches Vorbild, unterschlägt aber auch nicht die nahezu genozidale Gewalt, mit der Kasachstan und Aserbaidschan in den 1920er und 1930er Jahren von den Moskauer Kommunisten überzogen wurden. Bezeichnenderweise rechtfertigten die afghanischen Kommunisten ihre blutigen Ausschreitungen gern mit dem Vorbild Stalins, dessen Methoden ihnen als einzig angemessener Weg zur Unterwerfung des eigenen Landes erschienen.
Die afghanische Seite des Krieges bleibt bei Braithwaite etwas unterbelichtet. Die Mudschaheddin erscheinen vor allem so, wie sie von den Sowjetsoldaten wahrgenommen wurden. Während die Exzesse der sowjetischen Truppen eher aufgezählt als beschrieben werden, erfährt der Leser sehr viel Anschauliches über die Grausamkeiten der afghanischen Widerstandskämpfer. So findet ein Feldkommandant Erwähnung, der sich damit brüstete, halbgehäutete und noch lebende Sowjetsoldaten als Köder zwischen Sprengfallen zurückgelassen zu haben. Braithwaite sieht dies als Begleiterscheinung asymmetrischer Kriege, in denen die technisch überlegene Seite dem Gegner ungleich höhere Verluste zufügt als sie selbst erleidet. Andererseits berichtet er auch von gefangenen Sowjetsoldaten, die zum Islam konvertierten und die Seiten wechselten. Schah Achmed Masud, der wohl bedeutendste Feldkommandant der Mudschaheddin, nahm einen Gefangenen sogar unter seine Leibwächter auf.
Abgerundet wird Braithwaites Arbeit durch die Schilderung der diplomatischen Schritte zur Beendigung des sowjetischen Kriegseinsatzes und des sich daran anschließenden Bürgerkrieges in Afghanistan. Breiten Raum nehmen auch seine Ausführungen zu den Nachwirkungen auf die sowjetische bzw. russische Gesellschaft ein. Im Hinblick auf die Veteranen und ihre Versorgung zieht er Parallelen zur Lage in Großbritannien nach den beiden Weltkriegen, die, ähnlich wie seine Vergleiche mit dem Vietnamkrieg, dazu beitragen, dem sowjetischen Afghanistankrieg ein menschliches, allzu menschliches Antlitz zu geben, in dem sich die schmutzige Realität aller Kriege spiegelt.
Anmerkungen:
[1] Instruktiv gerade auch im Vergleich mit Braithwaite ist Eric M. Bergerud: The Dynamics of Defeat. The Vietnam War in the Hau Nghia Province, Boulder u.a. 1991.
[2] Martin Middlebrook: The First Day on the Somme. 1 July 1916, Harmondsworth 1984.
[3] Max Hastings: Armageddon. The Battle for Germany, 1944-1945, New York 2004.
Michael Ploetz