Rezension über:

Götz-Rüdiger Tewes: Kampf um Florenz. Die Medici im Exil 1494-1512, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, XIV + 1190 S., ISBN 978-3-412-20643-7, EUR 128,00
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Rezension von:
Heinrich Lang
Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker / Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Lang: Rezension von: Götz-Rüdiger Tewes: Kampf um Florenz. Die Medici im Exil 1494-1512, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/19605.html


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Götz-Rüdiger Tewes: Kampf um Florenz

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Kaum ein historisches Phänomen ist so gut und dicht erforscht wie die Republik Florenz in der Renaissance. Allerdings zeigen sich die triumphale Rückkehr des Medici-Regimes nach dessen zweitem Exil 1494 bis 1512 und die dazu nötige finanzgewaltige Unterstützung des im Jahr danach zum Papst erhobenen Giovanni de' Medicis als Leo X. in eigentümlich blassem Licht. Insbesondere das ebenso weitreichende wie zugkräftige Netzwerk der - infolge des Durchmarsches des französischen Königs Karls VIII. durch Italien 1494 - verbannten oder oppositionellen Florentiner Elite unter der Führung der Kaufmannbankiers und Patrizier Medici ist im Schatten der Ereignisse auf der "großen" Bühne geblieben. Dabei war es gerade dieser fein verwobene Unterbau, der die politische Auferstehung des Medici-Regimes und den Aufstieg der Familie Medici in den Fürstenstand ermöglichte.

Götz Rüdiger Tewes hat eine 1200 Textseiten lange Studie zum Exil der Medici und der "Mediceer" (wie er die vielgestaltige Gruppe der Freunde, Bündnispartner und Kollaborateure des Regimes und der Familie der Medici nennt) sowie zu deren verzweigten Verflechtungen vorgelegt. Damit erklärt er nicht nur den fundamental bedeutsamen Transformationsprozess des politischen Gefüges der Republik Florenz auf dem Weg ins Herzogtum, sondern er schreibt auch die Geschichte der Medici-Bank für die Zeit von Lorenzo il Magnifico an grundsätzlich neu. Das innovative Potential dieser Arbeit basiert auf der Verknüpfung der wirtschaftlichen Ebene eines Netzwerkes, vor allem hinsichtlich der Verflechtung von Kapital sowie des politisch relevanten geschäftlichen Transfergefüges, mit der im Vordergrund stehenden politischen Entwicklung im Italien des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Dabei leuchtet Tewes bis in kleine Einzelheiten und feine Entwicklungszweige die diplomatische Dimension des Netzwerkes der "Mediceer" aus.

Durch einen konsequent durchgehaltenen prosopografischen Ansatz bei der Analyse der politischen und ökonomischen Verflechtungen gelingt eine beeindruckend umfassende Rekonstruktion von Beziehungssträngen, bei der entweder bekannte Figuren im Spiel der Macht ein neues Profil erhalten oder gar bisher unbekannte Mittelsmänner auftauchen. Allerdings verweigert Tewes eine netzwerktheoretische Verwertung seiner Entdeckungen ("Theorie und Praxis deckten sich: Das Modell bildet die Wirklichkeit ab - die Realität erweist sich als exemplarisch-modellartig" (8)), sodass sich seine wahrhaft fundamentalen Entdeckungen im Gestrüpp der Liebe zum Detail verlieren und die systematische Schwäche nebeneinanderher laufender ökonomischer und politischer Ebenen in streng ereignishistorischen Schilderungen nicht überwunden wird.

Tewes hat eine schier einschüchternde Menge an Material zusammengetragen, um die mehrsträngigen Entwicklungen nachzuzeichnen. Hierin liegt eine ganz außerordentliche Leistung des Autors. Neben edierten Korrespondenzen und der Florentiner Chronistik stützt sich Tewes vor allem auf die Medici-Archive, das Archiv der Bartolini Salimbeni sowie den Archivio Salviati. Er spannt die Bögen vom diplomatischen Notenverkehr bis zu spröden Rechnungsbüchern, aus denen er mit gekonntem Blick personelle Zusammenhänge destilliert. Durch diese breitgefächerte Archivlektüre vermag er in zahlreichen Fällen die bisherige Forschung zu ergänzen, in gehörigem Maße zu modifizieren und besonders bisher unbekannte Verbindungen ans Licht zu fördern.

Im ersten Kapitel schildert Tewes die Ausgangssituation von 1494. Dabei tritt deutlich zu Tage, dass Kardinal Federico Sanseverino und das römische Hochadelsgeschlecht der Orsini, vor allem aber die Bartolini-Bank den entscheidenden politischen und ökonomischen Rückhalt für die ins Exil getriebenen Medici bildeten. Auf den 150 Seiten des zweiten Kapitels zeigt der Autor, wie Lorenzo de' Medici nach der Pazzi-Verschwörung von 1478 die Handels- und Bankgesellschaften der Medici zielorientiert in die Hände einer Reihe von ursprünglich den Firmen angehörenden Bankiers und Investoren verteilte, unter denen Lanfredino Lanfredini, Giambattista Bracci und Leonardo di Bartolomeo Bartolini nur die Hauptrollen spielten. Damit legte er das strategische Fundament, auf dessen ökonomischen Grundfesten die Zeit im Exil überlebt werden konnte und die nötigen Ressourcen für die spätere Rückkehr zur Verfügung standen. Insbesondere im kurialen Umfeld in Rom und am wichtigen Handelsstandort Lyon (phasenweise gestützt durch den Herzog von Savoyen) entstanden zwei unternehmerische Schlüsselpositionen für die Fortführung der einstigen Medici-Gesellschaften, wohingegen Giambattista Bracci die Geschäfte der Medici-Erben-Bank in Florenz fortführen konnte.

Die beiden folgenden Kapitel 3 und 4 beschreiben auf rund 350 Seiten die verwandtschaftlichen und politischen Verbindungen zwischen den Medici, Orsini und Sanseverino mit dem Ziel, den französischen König Karl VIII. langfristig als Bündnispartner der Medici zu gewinnen - bis der verbannte Piero de' Medici im Dienst der Krone Frankreichs 1503 starb und die Orsini durch die Borgia weitgehend verdrängt wurden.

Auf den über 200 Seiten des fünften Kapitels leistet Tewes ausgezeichnete Grundlagenforschungen, weil er die Kapitalverflechtungen und die geschäftliche Verwobenheit der europäischen Bank- und Handelsgesellschaften der de facto-Nachfolger der Medici-Unternehmungen nachzeichnet: Die Firmen Leonardo di Bartolomeo Bartolinis, Lanfredino Lanfredinis und Iacopo Salviatis bildeten ein unternehmerisches Gerüst zwischen Rom, Florenz und Lyon aus, in das weitere, wie die Bonsivi aus Lucca oder die Naldini, integriert wurden. Mit Kardinal Giovanni de' Medici (dem späteren Papst Leo X.) an der Spitze der Familie verschob sich die geschäftliche Strategie der Medici-nahen Unternehmungen: Die kirchlichen Benefizien als Gegenstand der Politik von Ämterbesetzung und finanzadministrativem Geschäft rückten zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses der führenden Köpfe der "Mediceer" sowie des Firmenkonglomerats. Diese Perspektive auf die Schnittstelle zwischen Herrscherfinanzen und ökonomischen Aktivitäten von Kaufmannbankiers ist von der Forschung bisher unterschätzt worden und ist eine der stärksten Passagen des vorliegenden Buches.

Die Kapitel 6 und 7 schildern auf bald 300 Seiten die Abfolge der politischen Ereignisse unter dem zunächst Medici-freundlichen Papst Julius II. bis zur Reinstallierung des Medici-Regimes in Florenz 1512. Der "Machtwechsel" am Arno vollzog sich, so Tewes, dank der "geldgeschmierten" Freundschaften des Medici-Netzwerkes. Die Financiers der Medici-Nachfolgebanken - Iacopo Salviati, Lanfredino Lanfredini und der aktive Manager Giambattista Bracci - wurden zu herrschaftlichen Bankiers, während Leonardo di Zanobi Bartolini, ein Cousin des gleichnamigen Leonardo di Bartolomeo, in der Rolle des Bankiers für Kardinal Giovanni de' Medici auftrat. Als Giovanni dann zum Papst gewählt wurde (nicht ohne den Einfluss Bartolinis), entfaltete Leonardo di Zanobi Bartolini seine Aktivitäten als Kurienbankier und Manager Leos X.

Eine abschließende Beurteilung des opulenten Werkes fällt ebenso schwer wie gemischt aus. Die pure Entdeckungsleistung, der Umfang des ausgewerteten Materials sowie die Menge der aufgedeckten Zusammenhänge sind mindestens beeindruckend. Die mitunter langatmigen Schilderungen diplomatischer Vorgänge und die extensiv paraphrasierende Wiedergabe von Korrespondenzen werden zwar aufgelockert durch eine von Überraschungseffekten gespickte Sprache, aber die detaillierte Fülle der präsentierten Abläufe erdrückt den Leser, der sich synthetisierende Abschnitte gewünscht hätte. Überdies setzt Tewes viel voraus: Beispielsweise werden die kommunikationshistorisch relevanten oder institutionellen Kontexte politischer sowie diplomatischer Vorgänge nicht erläutert. Der Autor rekonstruiert einzelne Ereignisse mit feinem Gespür, lässt den weniger kundigen Leser aber ohne grundsätzliche oder bibliografische Einführung in der Masse der Details stehen. Schwerer wiegt indes, dass es der Darstellung der weit verästelten und umfangreichen Personennetzwerke an theoriegeleiteter analytischer Schärfe mangelt. Dadurch, dass die von Tewes aufgewiesenen Ereignisse nicht als soziale Interaktionen gedeutet, Interaktionsräume nicht umrissen werden und somit eine handlungstheoretisch entzifferte Verlaufsanalyse unterbleibt, werden die auftretenden Personen nicht zu Akteuren einer prozessorientierten Netzwerkanalyse. Vielmehr werden sie zu bloßen Agenten unter einem allgemeinem Zweck degradiert: der Rückkehr der Medici in ihre Florentiner Machtposition.

Heinrich Lang