Museum Giersch (Hg.): Carl Morgenstern und die Landschaftsmalerei seiner Zeit, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2011, 295 S., ISBN 978-3-86568-676-3, EUR 29,95
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Die anlässlich seines 200. Geburtstags im Frankfurter Museum Giersch gezeigte Ausstellung über Carl Morgenstern (1811-1893) wusste zu begeistern. Unvergesslich das tiefe Blau seiner italienischen Küstenszenerien, in denen das Meer zugleich naturalistisch dargestelltes Motiv und Sehnsuchtstopos ist. Gezeigt wurde eine charakteristische Auswahl von Morgensterns 60-jähriger Schaffenszeit: Gemälde, Ölstudien, Aquarelle, Zeichnungen und Skizzenbücher des Malers, die ein signifikantes Licht auf die künstlerische Evolution eines traditionsverbundenen Künstlers bieten, für den Entwürfe stets nicht vollendete Vorarbeiten blieben.
Der vom Petersberger Michael Imhof-Verlag in opulenter Genauigkeit erstellte Katalog, der mit durchgehend hervorragenden Abbildungen besticht und zudem auf die leidige Reproduktion über zwei Buchseiten verzichtet, beleuchtet Morgensterns Schaffen in neun Aufsätzen, dazwischen die zum jeweiligen Thema gehörigen Bildtafeln mit technischen Angaben.
Den Anfang macht Gerhard Kölsch, der die verflochtenen Verwandtschaftsverhältnisse der Frankfurter Maler-Dynastie seit dem frühen 18. Jahrhundert darlegt und interessante Schlaglichter auf die seit Generationen betriebene Orientierung an niederländischen Paradigmen des 17. Jahrhunderts wirft, die auch für das erfolgreichste Mitglied der Künstlerfamilie wichtig war. Spannend die Ausführungen zum Morgensternschen "Miniaturcabinet" (Goethe-Museum, Frankfurt), Kopien nach Meisterwerken, die in Form eines Triptychons montiert waren und als Anschauungsmaterial fungierten (15-17). Kölsch schließt seine Betrachtungen mit der Ausbildung des jungen Carl unter der akribischen Kontrolle seines Vaters, des Malers Johann Friedrich, der den Sohn nach eigenen Werken in der Tradition niederländischer Kabinettbilder unterrichtete, ihn aber auch zu Landschaftsstudien in der Umgebung Frankfurts und im Taunus ermutigte.
Der Katalog - chronologisch und nach den wichtigen Reisen des Malers, die z.T. mit seinen Schaffensphasen korrelieren, gegliedert - beleuchtet sodann Morgensterns Ausbildungszeit in München 1832-34. Erstaunlich, dass der junge Maler weder nach Dresden geht, noch in das aufstrebende Düsseldorf, sondern die bayerische Residenz wählt, die damals noch kein eigenständiges Landschaftsfach an der Akademie aufzuweisen hatte. Mareike Henning vermutet, dass es vielleicht gerade die abseits der Historienmalerei angesiedelten "avantgardistischen" Landschafter Münchens waren, die Carl anzogen und mit denen er vor allem in den Sommermonaten zu ausgedehnten Studienreisen in das Münchner Umland und in die Alpen zog. Hier fand er Freunde und Vorbilder wie Johann Georg von Dillis und Carl Rottmann und neue, unmittelbar der Natur abgeschaute Motive, die er in Ölstudien festhielt. Doch es manifestierte sich ein Widerstreit, den er in seinem künstlerischen Schaffen bis zum Schluss nicht aufzulösen vermochte: Die Orientierung an den "streng definierten, scheinbar unumstößlichen Kompositionsregeln, Vorbilder[n] und Farbpaletten der dominanten Familientradition, mit der er aufwuchs" (49) kollidierte mit seiner direkten Naturbeobachtung und der neuen malerischen Freiheit seiner Künstlerkollegen.
Es dürfte dies eine Erklärung dafür sein, dass Morgenstern - anders als die meisten seiner Altersgenossen - von dem Erlebnis Italiens, das er zwischen 1834 und 1837 in einer Studienfahrt bereiste, nicht begeistert war, sondern, wie Christian Rings einfühlsamer Artikel über diese Jahre zeigt, zunächst fast gelähmt von der Andersartigkeit der italienischen Landschaft und des Lichtes gewesen ist. Statt Italien zu malen, führt er Gemälde nach den in Oberbayern entstandenen Skizzen aus. Er muss sich Italien erwandern, und reist mit Altersgenossen, darunter auch Eduard Primavesi (ca. 1800-1866), dem Sohn des Kasseler Theatermalers Johann Georg, zu dem Ring beiläufig eine Menge Neues zu sagen weiß (99f.).
Ring, der insgesamt vier Beiträge zu diesem Katalog beigesteuert hat, sichtete im Vorfeld Nachlässe und Schriften und begleitet seine Ausführungen durch Passagen aus den Briefen Morgensterns und seines Vaters. Diese faszinierenden, tagebuchartigen Schriftzeugnisse sind wichtige künstlersoziologische Dokumente. Sie spiegeln das mühevolle Ringen eines unsicheren jungen Mannes, der sich aus der Einflusssphäre des Vaters nicht zu lösen und seine in den Vorstudien (Zeichnung, Aquarell, Ölskizze) gefundene Freiheit von Paradigmen nicht auf das "fertige" Werk zu übertragen vermochte. Die Briefe zeugen von der Unsicherheit eines deutschen Malers in Rom, der nur schwer Anschluss an den mondänen Zirkel im Caffè Greco findet, und gleichzeitig der Beeinflussung aus Frankfurt ausgesetzt bleibt, von wo aus ihn der Vater in Briefen auf das Vorbild Claudes und Poussins einzuschwören sucht, und die von seinem Sohn aus Italien gesendeten Bilder durch Übermalungen und Ergänzungen "verbessert" (102-106). Nie protestiert Morgenstern gegen diese aus heutigen Augen unerträgliche Gängelei, die für den jungen Mann vielleicht eine natürliche Fortführung eines hierarchischen und patriarchalisch geprägten Ausbildungsverhältnisses war (91), und die Ring ohne spekulative Psychologisierungen darstellt.
Dennoch findet Morgenstern in Italien zu einer neuen Formsprache und vor allem zu einer luziden, auf die italienische Landschaft zugeschnittenen Palette. Er verzichtet in seinen Studien auf die tradierte, bukolische Staffage von Hirten und Fischern. Diese "pittoresken", die Tradition südländischer Sehnsuchtslandschaften perpetuierenden Idyllentopoi, erscheinen erst in den im heimischen Frankfurt ausgeführten Gemälden als "belebende Elemente" im Vordergrund. Morgenstern formt das vor der Natur Beobachtete in die überkommenen Kompositionsmuster frühneuzeitlicher Kunst, zieht bisweilen Reproduktionsgrafik als Vorbild heran und bedient auf Basis des in Italien entstandenen Materials den seit dem mittleren 18. Jahrhundert etablierten Markt touristischer Traumbilder. Wenig Wunder, dass viele Engländer und Amerikaner seine Werke kaufen.
Ring beleuchtet anschließend Morgensterns "südliche Küstenfahrt" nach Südfrankreich und Ligurien 1841 sowie seine Venedigreise im Jahre 1846. Der Maler führt die in Italien entwickelten Arbeitsformen fort und fasst die neu gesehenen Landschaften und das urbane Venedig in etablierte Bildmodelle. Allerdings gelingt es ihm oft, die Frische seiner Studien zu erhalten, die immer mehr vollwertigen Bildcharakter gewinnen.
Morgensterns Orientierung am Markt, ein Phänomen der Kunst des mittleren und späteren 19. Jahrhunderts insgesamt, dokumentieren seine Variationen und Kopien eigener Kompositionen. Von besonders gelungenen Werken behielt Morgenstern stets eine Kopie, die als Ausgangspunkt für veränderte Fassungen und später als Studienmaterial für Kopien des Sohnes diente. Immer wieder zeigt Ring in seinem vierten Beitrag zum "Schattenkabinett der Meisterwerke" wie der Maler eine Landschaft durch Beifügung verschiedener Staffagefiguren sowie eine Modifikation von Tages- oder Jahreszeit verändert.
Bettina Hausler ordnet Morgensterns vier Reisen in die Schweiz in die Tradition der Berg- und Alpenmalerei ein. Wiederum sucht der Maler markante Aussichtspunkte und kleidet seine vor der Natur beobachteten Details im Atelier in die Topoi des Erhaben. Die Belange des Marktes und den Geschmack seiner potentiellen Käufer sowie des energischen Kunsthändlers Graf Schack hat er dabei stets im Blick (220-223).
Die Diskrepanz zwischen Studie und Werk bleibt auch in der Spätzeit, wie Mareike Henning ausführt, bestimmend. Neben der perpetuierenden Produktion südländischer Sehnsuchtsbilder treten nun Ansichten der Stadt Frankfurt und neuerlich Landschaften der Umgebung, besonders des Taunus, hinzu. Motivisch erfüllt Morgenstern hier die Topoi der Rheinromantik, wiederum aber sind darunter frische und unerwartete Darstellungen.
Der Band schließt mit einem Abriss der "Anziehungskraft Italiens auf Frankfurter Künstler", in dem Sophia Dietrich die Tradition der Italienfahrt beginnend mit Elsheimer um 1600 und mit einem Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert skizziert. Ihr ist auch der sich anschließende umfangreiche chronologische Abriss zu Morgensterns Leben und Werk zu verdanken (271-279), dem eine Bibliografie und ein Personenregister folgen.
Der inspirierende Band ist die wichtigste Arbeit über einen zu Unrecht nicht stärker beachteten Maler seit den Arbeiten Inge Eichlers. [1] Was das qualitätvolle Buch vielleicht vermissen lässt, ist weniger als Kritik, sondern vielmehr als Aufforderung für künftige Auseinandersetzungen zu verstehen: Ein genauerer Blick auf die diversen Tendenzen der internationalen Landschaftsmalerei der Zeit (Turner, Corot, Barbizon), eine weitergehende Einbettung in die Strukturen der deutschen Italienreise [2], die Scheidung von Morgensterns Vorgehen von den seriellen Arbeiten der Moderne, aber auch den Variationen eines Bildmotivs z.B. in älteren Jahreszeitenzyklen. Vor diesem erweiterten Panorama würden Morgensterns Abhängigkeiten, aber auch seine Verdienste noch stärker in den Fokus treten. Zweifelsohne ist mit dieser Publikation dafür herausragende Grundlagenarbeit geleistet worden.
Anmerkungen:
[1] U.a. Der frühe Frankfurter Morgenstern, 1826-1846 (Phil. Diss. Frankfurt/M. 1971), Frankfurt/M. 1974; Schweizer Landschaftsdarstellungen des Frankfurter Malers Carl Morgenstern, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 31 (1974), 258-274; Ausst.-Kat. Die Frankfurter Malerfamilie Morgenstern. Freies Deutsches Hochstift, Frankfurter Goethe-Museum, Frankfurt/M. 1999.
[2] Z.B. Frank Büttner / Herbert W. Rott (Hgg.): Kennst Du das Land. Italienbilder der Goethezeit, München / Köln 2005. Rezension von: Ekaterini Kepetzis in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], http://www.sehepunkte.de/2006/03/8631.html.
Ekaterini Kepetzis