Ralph W. Mathisen / Danuta Shanzer (eds.): Romans, Barbarians, and the Transformation of the Roman World. Cultural Interaction and the Creation of Identity in Late Antiquity, Aldershot: Ashgate 2011, XIX + 378 S., ISBN 978-0-7546-6814-5, GBP 65,00
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Der Sammelband dient einer ambitionierten Zielsetzung. Es geht, wie die Herausgeber in der Einleitung erläutern, darum, einen neuen Zugang zur Frage nach der Integration der Barbaren in der Übergangszeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter zu präsentieren - ein Zugang, der weniger auf Veränderungen innerhalb der barbarischen Kultur(en) selbst zielt, sondern die römischen Kontexte, innerhalb derer sich die 'Geschichte' der Barbaren vollzog, stärker zur Geltung kommen lassen soll: Transformations- und Integrationsprozesse unter den Barbaren seien nicht ohne den römischen Rahmen vorstellbar und könnten gleichfalls nicht als einseitige Entwicklungen begriffen werden. "The transformation occurred in a Roman intellectual context and a Roman geographical-political context". [2] Auch jenseits der römischen Grenze seien die Barbaren Teil der römischen Welt gewesen; die Entstehung barbarischer Identitäten sei durch Interaktion mit den Römern erfolgt und insgesamt "generally peaceful" verlaufen. [4] Die Herausgeber halten dementsprechend fest: "This volume aims to break down old stereotypes about the cultural and social segregation of Roman and barbarian populations. Its contributions demonstrate that, contrary to the past orthodoxy, Romans and barbarians interacted in every way imaginable, social, cultural, political, and religious".
Vier Hauptteile, z.T. noch einmal in Unterabschnitte untergliedert, dienen dazu, das so formulierte Anliegen argumentativ zu untermauern. Die Autoren des 1. Teils befassen sich mit dem Thema "Constructing Images of the Impact and Identity of Barbarians". In dem Subkapitel "Literary Constructions of Barbarian Identity" widmet sich Ralph W. Mathisen den antiken Barbarenkatalogen und zeigt auf, wie ihre kaiserzeitliche Funktion als Illustration römischer Vorstellungen von Weltherrschaft in der Spätantike um den Aspekt des Evozierens von Eindruck und Schauderhaftigkeit erweitert wurde; Individualität wurde den aufgelisteten 'Völkern' dabei jedoch zumeist nicht zugestanden, und die Aufzählung besiegter gentes konnte später problemlos auf die Sieghaftigkeit barbarischer Herrscher übertragen werden. Während Steven Fanning auf Basis zahlreicher literarischer Belege die These entwickelt, dass der Terminus regulus in der Regel mit irgendeiner Form von gemeinsamer Herrschaft assoziiert wird (und nichts mit 'Kleinkönigen' zu tun hat), widmen sich weitere Beiträge der Sonderrolle der Sasaniden in der römischen Wahrnehmung von 'Barbaren', wobei Scott McDonough darauf hinweist, dass das Perserbild im römischen Osten im 6. Jahrhundert möglicherweise positiver gewesen ist als bisher zumeist angenommen. Prokop und Agathias müssen dabei nicht unbedingt die vorherrschenden Meinungen repräsentieren, wie auch aus den Ausführungen Jan W. Drijvers' deutlich wird. Unter dem Subtitel "Political and Religious Interpretations of Barbarian Activities" geht Amelia Robertson Brown in einem lesenswerten Beitrag der literarischen Darstellung barbarischer Angriffe seit dem 3. Jahrhundert nach und konfrontiert diese - z.T. mit überraschenden Ergebnissen - mit dem archäologischen Material, während Edward Watts Argumente dafür diskutiert, dass im römischen Osten - zumindest in anti-chalkedonischen Kreisen - schon in den 470er-Jahren über das Ende des Weströmischen Reiches reflektiert worden sein könnte. Das Verhältnis von Altgläubigen, Christen und Juden seit dem frühen 4. Jahrhundert bildet einen Schwerpunkt der Beiträge des Unterkapitels "Imperial Manipulation of Perceptions of Barbarians".
Im zweiten Hauptabschnitt ("Cultural Interactions on the Roman/Barbarian Frontiers") behandeln drei Beiträge "Movements of People across the Frontier and the Effects of Imperial Policies". Es geht hier u.a. um das Gesetz zur Ansiedlung der Sciri aus dem Jahr 409 (Cam Grey) sowie um den Grenzverkehr in das Römische Reich und die damit zusammenhängende Frage nach Spionage und Nachrichtenübermittlung; Kimberly Kagan sieht in diesem Bereich einen qualitativen Unterschied zwischen der Grenze zu den Sasaniden (wo 'Verrat' in der Regel mit der Übernahme einer neuen, nichtrömischen Identität einhergegangen sei) und den übrigen Grenzen des Imperium Romanum (wo Kundschafterdienste weitaus mehr zum 'Alltag' des Grenzverkehrs gehörten. Unter der Überschrift "Social and Economic Interchange" sind zwei Beiträge angesiedelt: Noel Lenski widmet sich dem Komplex des Sklavenhandels bzw. des Gefangenenmachens diesseits und jenseits der römischen Grenze und stellt heraus, dass auf diesem Feld ökonomische Interessen überwogen, bei denen Identitäten der Akteure eine eher untergeordnete Rolle gespielt hätten, sodass Römer und Barbaren unabhängig von politischen Konstellationen immer wieder gut miteinander ins Geschäft kamen. In der Frage, ob antike Texte soliden Aufschluss über wirtschaftliche Verhältnisse und Entwicklungen innerhalb der barbarischen Gruppen zu geben vermögen, zeigt sich Hartmut Ziche eher skeptisch; zu sehr erweise sich das Material auch in dieser Hinsicht von traditionellen Barbarenstereotypen überformt. Die letzte Artikelgruppe des zweiten Hauptteils ist unter dem Motto "A New Era of Accomodation" zusammengeführt. Salim Faraji diskutiert Austauschprozesse, die sich an der Südgrenze des Römischen Reiches in Afrika zwischen Blemmyern, Nobaden und der Bevölkerung Ägyptens vollzogen. Vertiefte Aufschlüsse über die Rolle Petras für die römische Grenzverteidigung versucht Jason Maoralee auf der Grundlage eines inschriftlich erhaltenen Epigramms aus der Mitte des 5. Jahrhunderts zu gewinnen; er zeigt dabei auf, dass unter der Bevölkerung offenbar "an otherwise obscure sense of cultural anxiety" gegenüber den Arabern in der Umgebung um sich gegriffen hat (240). Mit der kulturellen Konstruktion eines Raumes in der Provinz Scythia Minor vom 2. bis zum 7. Jahrhundert befasst sich eine gelungene Studie von Linda Ellis, die geschickt mit heuristischen Möglichkeiten spielt, die durch den spacial turn geschaffen worden sind.
Der dritte Hauptteil des Buches ist der poströmischen Phase gewidmet ("Creating Identity in the Post-Roman World"). Dem in jüngerer Zeit mit großer Intensität diskutierten Problem der konkreten Mechanismen der Ansiedlung von Barbaren auf römischem Boden widmet sich einmal mehr Andreas Schwarcz am Beispiel der Westgoten mit spezifischem Blick auf die Frage nach der Bedeutung der sortes Gothicae und der tertiae Romanae. Der Autor kann dabei plausibel machen, dass die Goten zunächst nach dem römischen System der hospitalitas einquartiert wurden und als Soldaten selbstverständlich von den annonae profitierten, deren Einbeziehung den weiterhin, in Spanien wohl bis in das 7. Jahrhundert existierenden Kurialen oblag (268f.). Bei den sortes Gothicae habe es sich um Fiskalland gehandelt, das von kaiserlichem Besitz in die Verfügungsgewalt der Gotenkönige übergegangen sei und von diesen an Angehörige der gotischen Oberschicht verausgabt werden konnte, um deren Loyalität zu sichern, "whereas those parts of the royal fundi leased to former conductors and to other Romans, still part of the fisc and the patrimony, came to be tertiae Romanae" (269f.). Scott de Brestian ersetzt ältere, allzu reduktionistische Modelle, denen zufolge es sich bei den seit dem Hochmittelalter greifbaren Basken um unmittelbare Nachkommen der spätantiken Vascones handele, durch ein komplexeres Ethnogenesemodell, das die spezifischen geopolitischen Bedingungen der Region zwischen dem expandierenden Frankenreich und den Westgoten mit berücksichtigt. - Der für die weitere Forschung wohl wichtigste Beitrag stammt von Patrick Périn und Michel Kazanski: Die Autoren diskutieren am Beispiel der Region Gallien ausführlich und an konkreten Beispielen die Möglichkeiten und Grenzen der Archäologie, mit ihren spezifischen Methoden Beiträge in der Frage der barbarischen Ethnogenesen zu leisten.
Der vierte Hauptteil des Buches ("Epilogue: Modern Constructions of Barbarian Identity") ist wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtet und behandelt in nur einem Beitrag "Auguste Moutié, Pioneer of Merovingian Archaeology, and the Spurlock Merovingian Collection at the University of Illinois" (Bailey Young, Barbara Oehlschlaeger-Garvey).
Der Sammelband bietet ein breites Spektrum derzeitiger Forschungsansätze und teilweise origineller Thesen zum Thema 'Rom und die Barbaren' in der Übergangsphase zwischen Spätantike und Mittelalter. Dass dabei keine vollständige innere Kohärenz der Beiträge erzeugt werden konnte und nicht jede Studie organisch in das jeweilige Kapitel passt, dem sie zugewiesen wurde, liegt angesichts der Komplexität des Gegenstands in der Natur der Sache. Festzuhalten ist indes, dass die einzelnen Untersuchungen sämtlich die Lektüre wert sind. Es wird schwierig werden, künftig über Rom und die Barbaren in der Spätantike zu arbeiten, ohne das vorliegende Buch dabei hinzuzuziehen.
Mischa Meier