Peter Uwe Hohendahl / Erhard Schütz (Hgg.): Perspektiven konservativen Denkens. Deutschland und die Vereinigten Staaten nach 1945 (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik; Bd. 26), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012, 359 S., ISBN 978-3-0343-1139-7, EUR 74,00
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Die Erforschung des Konservatismus ist in den letzten Jahren intensiviert worden. Für die amerikanische Seite gilt dies besonders für das Phänomen des Neokonservatismus, einschließlich der Leo-Strauss-Rezeption - Themen, die mit der Administration von George W. Bush besondere Brisanz erhielten. Aber auch schon während der "Tendenzwende" der 1970er-Jahre (nicht der 1980er-Jahre, wie es im Band auf Seite 37 heißt) nahm man in der Bundesrepublik amerikanische neokonservative Denker wahr. Einen klassischen Konservatismus, wie er sich in Alteuropa als Reaktion auf die Französische Revolution herausgebildet hatte, hielt man deutscherseits im Land des "hegemonialen Liberalismus" (Hans Vorländer) dagegen lange Zeit für schlicht nicht existent. Das änderte sich erst mit der fundamentalen Neuorientierung des deutschen Konservatismus nach 1945, als man begann, intensiv Bücher wie James Burnhams "The Managerial Revolution" (1941, deutsch 1948) zu rezipieren.
Der vorliegende Sammelband ist aus einer Tagungsreihe von deutschen und amerikanischen Germanisten hervorgegangen. Während der vorangegangene Sammelband deutsche Autoren in den Blick nahm [1], werden nun deutsche und amerikanische konservative Denker nach 1945 untersucht, dabei allerdings mehr nebeneinandergestellt als verglichen. Die vergleichende Perspektive kommt in nur wenigen Aufsätzen zum Tragen, ebenso die transnationale Perspektive der (gegenseitigen) Perzeption, Rezeption und Adaption. Gewinnbringend ist dies beim Aufsatz zur Rezeption Burnhams in Westdeutschland der Fall (Beitrag von Stephen Brockmann), ebenso bei Erhard Schütz' Darstellung der Amerikabücher deutscher Journalisten und Publizisten (Paul Leverkuehn, Margret Boveri, Karl Korn, Friedrich Sieburg, Herbert von Borch). Freilich liest man auch die anderen, von den Herausgebern "mikrologisch" genannten Beiträge über weite Strecken mit Gewinn, die sich mit den von Germanisten viel beachteten Schriftstellern Ernst Jünger und Gottfried Benn (besonders gelungen der Aufsatz von Helmuth Kiesel über Benns denunziatorische Aufnahme von Hans Sedlmayrs "Verlust der Mitte") sowie Eduard Spranger, Arnold Gehlen, Leo Strauss, Allan Bloom und Eric Voegelin befassen.
Gleich drei Beiträge widmen sich dem Dauerbrenner Carl Schmitt (Beiträge von Herfried Münkler, Manuel Köppen, Isabel Hull). Der Aufsatz von Hull, der einzigen Historikerin, fällt dabei deutlich ab. Zwar haben sich an Carl Schmitt auch schon andere Autoren verhoben, aber die völkerrechtliche Lage und Problematik zur Zeit des Ersten Weltkrieges derart unterkomplex zu skizzieren, ist nach 1918 wohl noch niemandem gelungen. Ständig werden Ius ad bellum und Ius in bello verwechselt, ebenso Genesis und Geltung von Normen. Es hätte schon viel geholfen, wenn die Autorin die kundigen Anmerkungen der von ihr konsultierten Schmitt-Editionen genauer zur Kenntnis genommen oder den Klassiker der Völkerrechtsgeschichte, Wilhelm Grewe, hinsichtlich der Unterscheidung eines kontinentalen und angelsächsischen Kriegsbegriffs konsultiert hätte. [2]
Auch bei anderen Bezugnahmen auf Schmitt finden sich im vorliegenden Band bisweilen Missverständnisse: Man kann Schmitt sicherlich für vieles verantwortlich machen, auf keinen Fall jedoch die Kriegspolitik ausgerechnet der Bush-Regierung zu Schmitts Begriffswelt in ein positives Verhältnis setzen (so etwa die Anspielung auf Seite 38). Vielmehr liefert Schmitt im Gegenteil das interpretatorische Rüstzeug, um die Folgen einer Moralisierung der Politik, der Kriminalisierung des Feindes, der Aufhebung der Unterscheidung von Kombattant und Nichtkombattant wie einer pazifistisch und universalistisch legitimierten Kriegsführung in den Blick zu nehmen.
Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive sind vor allem zwei Desiderate zu konstatieren: Erstens werden wichtige konservative Akteure wie William S. Schlamm oder Caspar von Schrenck-Notzing nicht einmal erwähnt. [3] Der eine, Schlamm, ein österreichischer Kommunist, kam als antikommunistischer Remigrant zurück nach Europa und fand als Atlantiker in der Bundesrepublik großen Widerhall. Der andere, von Schrenck-Notzing, avancierte zu einem scharfen Kritiker der Re-education. Beide wurden zu Vermittlern des amerikanischen Konservatismus, etwa von Russell Kirk, der im Sammelband an einigen Stellen auftaucht. Mit Blick auf Schrenck wäre somit ein ähnlicher Befund wie für die "Achtundsechziger" zu konstatieren: Fundamentale Amerikakritik verträgt sich sehr wohl mit einer Rezeption und Adaption amerikanischen Denkens.
Zweitens werden im vorliegenden Band die Denkmotive doch zumeist in der luftigen Höhe enthistorisierter Abstraktion präsentiert. Die doch auch und gerade die Konservativen umtreibende jeweilige politische Lage des Kalten Krieges, die Auseinandersetzung zwischen Gaullismus und Atlantizismus oder die konservativen Reaktionen auf innenpolitische Reformentwürfe ("Great Society", Bildungsreformen), linke Herausforderungen (Protestbewegung, Terrorismus) und neue Normierungen (Political Correctness, Gender Mainstreaming) tauchen kaum oder gar nicht auf, auch wenn die Wandelbarkeit, Reaktivität und Zeitgebundenheit der oft Überzeitlichkeit in Anspruch nehmenden politischen Strömung des Konservatismus richtig erkannt wird.
Fazit: Der Sammelband bietet viele anregende Einzelbeobachtungen und Analysen über den deutschen und amerikanischen Konservatismus nach 1945, die jedoch künftig systematischer vergleichend und transnational in den Blick genommen werden müssten und um wichtige Autoren und Aspekte zu ergänzen wären.
Anmerkungen:
[1] Erhard Schütz / Peter Uwe Hohendahl (Hgg.): Solitäre und Netzwerker. Akteure des kulturpolitischen Konservatismus nach 1945 in den Westzonen Deutschlands, Essen 2009.
[2] Carl Schmitt: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hg. von Günter Maschke, Berlin 1995; Carl Schmitt: Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur Internationalen Politik 1924-1978, hg. von Günter Maschke, Berlin 2005. Von Wilhelm Grewe vgl. Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, 616-648.
[3] Seit längerem ist eine Biografie zu Schlamm angekündigt: Susanne Peters / William S. Schlamm. Eine intellektuelle Wanderung im 20. Jahrhundert, Berlin 2013.
Peter Hoeres