Sami G. Massoud: The Chronicles and Annalistic Sources of the Early Mamluk Circassian Period (= Islamic History and Civilization; 67), Leiden / Boston: Brill 2007, XIV + 482 S., ISBN 978-90-04-15626-5, EUR 137,00
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Das vergangene Jahrzehnt hat eine Reihe lesenswerter Arbeiten zur mittelalterlichen arabischen Geschichtsschreibung hervorgebracht. Genannt seien insbesondere die innovativen Arbeiten von Franz (2004), Hirschler (2006) und Shoshan (2004) [1]. Leider gelingt es dem vorliegenden Buch nicht, sich in diese Reihe einzuordnen.
Das Werk ist bereits Gegenstand mehrerer Rezensionen gewesen [2]. Meines Erachtens haben aber die bisherigen Besprechungen wichtige Aspekte nicht berücksichtigt. Da meine Vorgänger der Berichtspflicht bereits Genüge getan haben, verzichte ich auf eine ausführliche Inhaltsangabe und lege stattdessen eine alternative und ergänzende Sicht auf die Methode und die Präsentation der Forschungsergebnisse vor.
Massoud verweist zunächst auf die vergleichsweise gering erforschte Geschichtsschreibung der Burǧī-Ära und sieht sein Ziel dementsprechend darin "to fill this lacuna by providing a critical analysis of the works of early Burjī historians with regard to their 'originality, sources, and possibles interdependencies'" (6). Dabei bezieht er sich auf die bekannte Arbeit seines Betreuers Donald P. Little [3]. Dieser Vorgehensweise entsprechend konzentriert sich Massoud auf die Geschichtsschreibung dreier Jahre - 778/1376-7, 794/1390-1 und 804/1401-2 - deren Auswahl einerseits aufgrund der Quellenlage, andererseits aufgrund der jeweils beschriebenen und für relevant befundenen historischen Ereignisse erfolgt (7-9). Die Textauszüge zu den untersuchten Jahre sortiert Massoud im ersten Teil nach den jeweiligen Autoren, die er zunächst in "Contemporary Historians" und "Later Historians", dann in "Egyptian Historians", "Syrian Historians" und "Minor Historians" ausdifferenziert (vii-x). Im zweiten Teil, der sich aus drei Appendices zu den jeweils behandelten Jahren zusammensetzt, bricht Massoud die Annalen auf einzelne Ereignisse, beziehungsweise ḫabar, herunter. Ausgehend von einer Hauptquelle setzt er sie dann in Beziehung zu Erwähnungen des jeweiligen ḫabar in anderen Quellen. Dieser Anhang stellt die Grundlage der Analyse im ersten Teil dar.
Diese Vorgehensweise erweist sich als problematisch.
Zum Einen erscheint die Kategorisierung der Quellen innerhalb der jeweiligen Annalen nicht schlüssig. Insbesondere wirkt neben geographischen Zuordnungen die Kategorie "Minor Historians" inkohärent und inadäquat, zumal sich in dieser Gruppe auch bekannte Größen wie al-Qalqašandī, as-Suyūṭī und as-Saḫāwī finden (die sich möglicherweise gegen diese Bezeichnung gewehrt hätten). Bezeichnend ist auch Massouds Urteil über as-Suyūṭīs Tārīḫ al-Ḫulafāʾ und Ḥusn al-Muḥāḍara, die seiner Meinung nach "nothing of interest" enthielten (85). Insgesamt gelingt es Massoud nicht, die Sinnhaftigkeit dieser Klassifizierungen und das Fehlen abstrakter analytischer Kategorien zu erklären. Die Struktur reflektiert damit bereits die methodische Problematik der Arbeit.
Zum Anderen muss sich angesichts der Masse an verwendeten Quellen - Massoud beschäftigt sich mit mehr als 20 Historikern - die Beschreibung und Analyse der Lebensläufe der Autoren und einzelnen Abschnitte auf wenige Seiten beschränken. Daher bleiben sowohl die biographischen als auch die textanalytischen Informationen oberflächlich und bieten kaum grundsätzlich neue Erkenntnisse. Altmeister Ibn Ḫaldūn beispielsweise wird auf knapp neun Seiten abgehandelt (14-22) (und mutiert hier ruck zuck zum "Egyptian Historian", obwohl andernorts ausgebildet und bei seiner Ankunft in Kairo ein Mann in fortgeschrittenem Alter). Damit deutet sich eine weitere Grundproblematik an. Für ein Überblickswerk arbeitet das Buch zu kleinteilig; für eine spezialisierte Studie zu allgemein.
Unter diesen Umständen überrascht nicht, dass auch die Darstellung der Ergebnisse nicht zu überzeugen vermag. Zwar stellt Massoud zahlreiche Interdependenzen zwischen den Textabschnitten fest, verzichtet aber, anders als Little im Appendix seines Werkes [4], auf eine graphische Darstellung; ein Umstand, auf den bereits Amitai verweist. Die Unübersichtlichkeit der Resultate infolge ihrer Erwähnung im Fließtext einerseits und nach ḫabar geordnet im Appendix andererseits erschwert grundsätzliche Rückschlüsse über Interdependenzen historiographischer Werke der Mamlukenzeit.
Zwar wird das Werk, das von Massouds intensiver Auseinandersetzung mit der Thematik zeugt, den selbst gesetzten Ansprüchen vollauf gerecht und erweist sich als durchaus nützliches Nachschlagewerk, eine Art zeitlich begrenztem, aber inhaltlich ausgedehntem Brockelmann. Gleichzeitig aber verkörpert Massouds Buch einen nicht mehr zeitgemäß anmutenden Ansatz. Nach altbekannten Kriterien werden mittelalterliche Quellen primär als Informationslieferanten für moderne Historiker angesehen und dementsprechend ohne ausreichende Berücksichtigung ihres Entstehungskontextes nach ihrer Nützlichkeit und Originalität beurteilt. Die eigene Terminologie und Methode werden nicht hinreichend hinterfragt und keine verständliche Präsentation der Ergebnisse erzielt. Damit ignoriert diese sehr beschreibend ausgerichtete Vorgehensweise nicht nur mögliche (Teil-)Probleme - darunter beispielsweise die komplexe Frage nach dem Genre oder das Wie und Warum von Kompilation - sondern verzichtet auch völlig auf eine übergeordnete Fragestellung und verharrt somit letztlich im Detail und im Deskriptiven. Das Werk schöpft demgemäß sein analytisches Potenzial nicht aus.
Folglich gelingt es dem Buch nicht, sich in aktuelle Forschungsströmungen einzubringen und die von Guo bereits 1997 formulierten Forschungsdesiderata befriedigend zu bedienen [5]. So bleibt letztendlich die berechtigte Frage unbeantwortet: "What are we to make of the data amassed in this book?" (191).
Anmerkungen:
[1] Kurt Franz: Kompilation in arabischen Chroniken. Die Überlieferung vom Aufstand der Zanǧ zwischen Geschichtlichkeit und Intertextualität vom 9. bis zum 15. Jahrhundert (= Studien zur Geschichte und Kultur des islamischen Orients, 15), Berlin 2004. Konrad Hirschler: Medieval Arabic Historiography. Authors as Actors (= Routledge Studies on the Middle East, 5), London / New York 2006. Boaz Shoshan: Poetics of Islamic Historiography. Deconstructing Ṭabarī's History, Islamic History and Civilization (= Studies and Texts; 53), Leiden / Boston / Tokyo 2004.
[2] Frédéric Bauden: Rezension, in: Le Moyen Age CXVII (2011), Nr. 3-4, 655-656, URL: http://orbi.ulg.ac.be/handle/2268/109463. Paulina B. Lewicka: Rezension, in: Mamluk Studies Review 13 (2009), Nr.1, 178-183, URL: http://mamluk.uchicago.edu/MamlukStudiesReview_XIII-1_2009.pdf. Warren C. Schultz: Rezension, in: Speculum 84 (2009), Nr. 1, 184-185, URL: http://journals.cambridge.org/action/displayAbstract?fromPage=online&aid=6678524. Reuven Amitai: Rezension, in: Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain&Ireland 20 (2010), Nr.1, 91-93, URL: http://journals.cambridge.org/abstract_S1356186309990344.
[3] Donald P. Little: An Introduction to Mamlūk Historiography. An Analysis of Arabic Annalistic and Biographical Sources for the Reign of al-Malik an-Nāṣir Muḥammad ibn Qalā'ūn (= Freiburger Islamstudien, II), Wiesbaden 1970.
[4] Ibid., 137-142.
[5] Li Guo: Mamluk Historiographic Studies: The State of the Art, in: Mamluk Studies Review 1 (1997), 15-43.
Anna Katharina Angermann