Birte Förster: Der Königin Luise-Mythos. Mediengeschichte des »Idealbilds deutscher Weiblichkeit«, 1860-1960 (= Formen der Erinnerung; Bd. 46), Göttingen: V&R unipress 2011, 492 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-89971-810-2, EUR 62,90
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Die hier vorliegende Studie wurde im Februar 2008 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Fachbereich Kultur- und Gesellschaftswissenschaften, als Dissertation angenommen und sie hat ihre unzweifelhaften Verdienste. Mit großem Fleiß hat die Autorin vor allem jene populäre Literatur zusammengetragen, die sich während eines Zeitraums von 100 Jahren, von 1860 bis 1960, der preußischen Königin Luise angenommen hat (vgl. 423-444 im Quellen- und Literaturverzeichnis); daneben wurden auch Filme über die preußische Königin, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Schulbücher, Jahresberichte von Schulen u.ä. berücksichtigt. Auf dieser breiten Materialbasis fußt der inhaltliche Reichtum dieser Arbeit, wenn dem Bild der Königin Luise, genauer den jeweiligen Deutungen der Monarchin, im Geschichtsunterricht wie in der populären Literatur, in Zeitschriften wie in Leihbibliotheksromanen, bei Schulfeiern, Festspielen, Lichtbildervorführungen oder noch bei den Luisenburg-Festspielen, auf die noch zurückzukommen ist, nachgegangen wird.
Eher traditionell mutet die Disposition der Studie an. Die Autorin geht streng chronologisch vor, sie unterteilt den von ihr gewählten Untersuchungszeitraum in vier Abschnitte (1860 bis 1870, 1870 bis 1888, 1888 bis 1918, 1919 bis 1945), die vier größere Kapitel ergeben, um dann noch einen "Epilog" für die Jahre 1949 bis 1960 folgen zu lassen. Eine solche Gliederung hat ihre Schwächen. Einerseits werden in jedem der besagten vier Kapitel nacheinander alle zeitlich einschlägigen Medien in den Blick genommen. Die Folge ist eine Fülle von Klein- und Kleinstkapiteln - ein Trend, der jedoch bei vielen jüngeren Arbeiten festzustellen ist. Eine derartige Vorgehensweise erschwert es jedoch ungemein, größere argumentative Zusammenhänge herzustellen. Vorstellbar wäre das radikale Gegenmodell gewesen, das sich an Medientypen bzw. Mythos- und Kultformationen ausrichtet und das dann den Schulunterricht, den Zeitschriftenartikel, den Leihbibliotheksroman usw. jeweils für die hier einschlägigen gesamten 100 Jahre untersucht hätte. Die zeitspezifischen Wandlungs- und Transformationsprozesse wären bei einer solchen Vorgehensweise wahrscheinlich deutlicher geworden. Das Resümee der vorliegenden Studie leistet eine derartige systematische Perspektive nur in engen Grenzen.
Andererseits wundert sich der Leser, warum nicht eine weitere zeitliche Zäsur gesetzt wurde, nämlich das Jahr 1933. Die Erläuterungen im Abschnitt "Aufbau der Arbeit" in der Einleitung geben keinen Hinweis, warum die Jahre von 1919 bis 1945 als Einheit untersucht werden. Am Ende der Arbeit (408) spricht die Autorin dann von einer diesbezüglichen "Großepoche" und fügt als Beleg an, dass die von ihr herausgearbeiteten populären Geschichtsbilder ebenso wie die Medien, die diese Bilder vermittelten, vom Beginn der Weimarer Republik bis 1945 dieselben "antidemokratische[n] Kontinuitätslinien" aufweisen. Eine schärfere Differenzierung zwischen konservativen, promonarchischen, demokratisch eher indifferenten und erst zuletzt "antidemokratischen" Kontinuitätslinien hätte man sich in diesem Zusammenhang gewünscht. Außerdem: Wo bleibt der Hinweis auf gleichgeschaltete Medien seit 1933, wo bleibt der Hinweis auf einen seit 1933 diktatorischen Umgang mit Andersdenkenden, eben auch mit Monarchisten, und deren - z.B. literarischen oder filmischen - Produktionen aus der Zeit vor und nach 1933? Die Schlussfolgerung, dass man die Bundesrepublik Deutschland auch deswegen als "geglückte Demokratie" bezeichnen könne, weil der Königin Luise-Mythos nach 1945 sein Ende fand (409), mutet eher bizarr an.
Außerordentlich ambitioniert ist die Begrifflichkeit, derer sich die Autorin bedient, vor allem in der Einleitung und im Resümee. Allerdings erhöht das nicht immer im selben Grade die inhaltliche Trennschärfe, so z.B. wenn von einer hier angewandten "plurimedialen Analyse" (406) gesprochen wird. Und trifft es wirklich die Sache, wenn die im Jahre 1910 (100. Todestag von Königin Luise) zwar in großer Auflagestärke, dafür aber vom Umfang her deutlich knapper gehaltenen Luise-Biographien als "Kurzversionen des Mythos" (406) bezeichnet werden? Noch viel grundsätzlicher ist zu fragen, ob die Autorin mit ihrer Arbeit wirklich eine "Mediengeschichte des 'Idealbilds deutscher Weiblichkeit'" vorgelegt hat. Handelt es sich nicht vielmehr um eine Untersuchung zum Wandel eines Geschichtsbildes, konkret des Geschichtsbildes einer ja wahrscheinlich tatsächlich mythisch überhöhten historischen Figur des frühen 19. Jahrhunderts? Wenn man sich aber mit den Entstehungsbedingungen, den Veränderungen, den Wirkungen eines Geschichtsbildes, dem man Mythosqualitäten zuerkennen kann, auseinandersetzen will, darf man auf Thomas Nipperdeys Aufsatz "Der Mythos im Zeitalter der Revolution" (GWU 38/1987) definitiv nicht verzichtet haben.
Angesichts des kleinteiligen Ansatzes kann es auch nicht verwundern, dass die politischen Hintergründe, in den die unterschiedlichen Ausprägungen des Luise-Mythos eingebunden werden müssen, häufig viel zu kurz kommen. Ein extremes Beispiel hierfür bietet die Behandlung der Luisenburg bei Wunsiedel "als Erinnerungs- und Festspielort" auf gerade einmal einer Seite. Ohne Kenntnis der Spezifika bayerischer Erinnerungskultur im späten Kaiserreich, also ohne Kenntnis der Probleme, die die Integration der neubayerischen Gebiete einerseits und der Verlust der staatlichen Souveränität 1871 andererseits der Münchner Regierung bereitete, ohne Hinweise darüber hinaus auf die Sympathien weiter Kreise des bayerischen Bürgertums für das Reich bei gleichzeitiger Ablehnung des Reiches vor allem in bäuerlichen Kreisen kann die Einordnung eines Laienspiels, das 1890 erstmals auf der Luisenburg aufgeführt wurde und in dem auch Königin Luise gleichsam selbst zu Wort kam, tatsächlich nur zu schiefen, weil allzu dürftigen Ergebnissen führen.
Eine Herangehensweise, die es erlaubt hätte, komplexere Argumentationszusammenhänge aufzuzeigen, der Verzicht auf dieses oder jenes entlegenere Beispiel zugunsten einer mehr in die Tiefe gehenden Einbindung der beobachteten Mythosphänomene in die jeweiligen politischen Hintergründe, all dies hätte der vorliegenden Studie, die ein interessantes und wichtiges Thema aufgreift, gut getan.
Katharina Weigand