Emilie Sitzia: Art in Literature, Literature in Art. In 19th Century France, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2012, XII + 300 S., ISBN 978-1-4438-3565-7, GBP 44,99
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Die Untersuchung Art in Literature - Literature in Art in 19th Century France von Emilie Sitzia widmet sich zwei seit der Antike geläufigen künstlerischen und poetischen Ausdrucksformen: der Schaffung eines Kunstwerks anhand eines literarischen Texts und der Niederschrift eines Gedichts, einer Novelle oder eines Romans in einer mentale Bilder evozierenden Sprache. Analoge künstlerische und poetische Aufgaben wurden in der Theorie der Schönen Künste stets als besondere Herausforderungen angesehen. Ein für das Verhältnis von Malerei und Literatur zentrales Denkmodell ist das von Horaz geprägte Diktum "ut pictura poesis", dem in der Forschung eine weitreichende Wirkungsgeschichte bescheinigt wird. Mit der Formel wurde die Forderung zum Ausdruck gebracht, dass die Poesie eine mit der Malerei vergleichbare Bildlichkeit zu entfalten habe. Eine systematische Differenzierung des Verhältnisses zwischen Kunst und Poesie erfolgte jedoch erst mit den literaturästhetischen Analysen etwa von Jean-Baptiste Du Bos (Dubois) und Denis Diderot und fanden in Gottfried Ephraim Lessings Laokoon einen vorläufigen Abschluss.
An diesen historischen Differenzierungsprozess der Kunsttheorie und Poetologie setzen zahlreiche Forschungsarbeiten an, wie beispielsweise der Sammelband Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung von Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer [1], Gabriele Rippls Studie Zur intermedialen Poetik [2] oder das kürzlich erschienene Buch Bilderdämmerung. Bildkritik im Roman von Barbara Naumann. [3] Die anzuzeigende Publikation konzentriert sich auf die Ausprägungen des Verhältnisses zwischen der Kunst und der Literatur in Frankreich vom ausgehenden 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts. In Anlehnung an die Ut-pictura-poesis-Doktrin lautet die Kernthese der Autorin, dass die Malerei im Laufe des 19. Jahrhunderts gegenüber der Literatur einen nicht nur gleichwertigen, sondern dominierenden Rang erklommen habe. Mit dieser Feststellung folgt Sitzia der in der jüngeren Forschung vermehrt geäußerten Auffassung, der zufolge das Bild in der Moderne - im Gegensatz zur traditionellen Kunstauffassung - signifikant an Bedeutung gewann. Erklärtes Ziel ihrer Untersuchung ist es, anhand von Fallbeispielen das Verhältnis zwischen Kunst und Literatur im genannten Zeitraum zu eruieren. Methodisch verankert Sitzia ihre Überlegungen nicht in der eingangs erwähnten Diskussion der kontemporären Ästhetik, Kunsttheorie und Poetologie. Vielmehr wendet sich die Autorin einem poststrukturalistischen Ansatz zu, indem sie auf die Sprachforschung von Roman Jakobson, Roland Barthes' Semiotik, Lilianne Louvels Ton-, Rhythmus- und Bewegungsanalysen sowie Gérard Genettes transtextuelle Studien zurückgreift.
Sitzias Publikation gliedert sich in drei Teile. Im Mittelpunkt des ersten, sich von der Französischen Revolution bis Mitte des 19. Jahrhunderts erstreckenden Abschnitts steht die Frage, in welcher Weise sich die traditionelle Hierarchie zwischen Kunst und Poesie veränderte. In diesem Zusammenhang eruiert sie die Relation der Bildwerke Jacques-Louis Davids zu literarischen Quellen und die Weise, wie der Künstler die von der Académie Royale der Malerei auferlegten Konventionen unterwanderte. Ferner arbeitet Sitzia die Auswirkung der sich rasant entwickelnden lithografischen Reproduktionstechniken heraus. Sich an Jakobsons Begriff der Intersemiotik orientierend, fragt sie dabei nach einem Äquivalent, das Illustration und Literatur zu verbinden vermag. Vor allem beschäftigt sie jedoch die Frage, in welcher Weise die in Büchern, Journalen und Sammelmappen beigelegten Illustrationen literarischer Sujets die Lesegewohnheiten sowie die Textinterpretation und -rezeption revolutionierten. Weiterhin setzt sie sich mit der Etablierung und Popularisierung einer neuartigen Form der Novelle bei Mme Germaine de Staël und Honoré de Balzac auseinander. Hier greift Sitzia den Begriff der Ekphrasis als eine Strategie bildlichen Schreibens auf. Beispielsweise deutet sie verschiedene Ausdrücke und Wendungen in Balzacs Chef-d'œuvre inconnu als Termini einer spezifisch bildlichen Beschreibungstechnik. Auch werden von ihr Victor Hugos Illustrationen für Les Travailleurs de la mer nach literarischen Visualisierungskonzepten erkundet.
Im zweiten Teil diagnostiziert Sitzia eine sich zwischen 1850 und 1880 vom literarischen Text graduell vollziehende Autonomisierung der visuellen Künste. Ihrer Auffassung zufolge fungiert nun die Kunst als Inspirationsquelle für die Literatur. Diesbezüglich eruiert sie verschiedene Ausprägungen des Realismus in der Kunst und der Literatur im Hinblick auf die Relation der von Protagonisten wie Jean-François Millet, George Sand, Gustave Courbet und Honoré de Balzac verwendeten bildnerischen Medien zu ihrer sozialen Umgebung. Eine eingehendere Analyse der Relation zwischen Kunst und Literatur nimmt sie hingegen am Beispiel von Eduard Manets Illustrationen und Schriftstellerporträts vor. Schließlich weist Sitzia den impressionistischen Malern und Literaten eine Sonderrolle zu. Während sie in der Malerei eine Verdrängung der traditionellen Narration durch moderne Bildstrukturen diagnostiziert, erblickt sie in Emile Zolas Literatur fragmentierte und rhythmisierte, mit den impressionistischen Pinselstrichen vergleichbare Textstrukturen.
Teil drei rückt die Wechselwirkung von Kunst und Literatur des Fin-de-siècle ins Blickfeld. Die Beziehungen der Stillleben und Porträts von Vincent Van Gogh speziell zur Novelle werden genauso untersucht, wie die Annäherung der symbolistischen Malerei Gustave Moreaus an Literaturkonzepte, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausbildeten. Den Abschluss der Untersuchung markieren Fragen der Interaktion von Wort und Bild in Jugendstilplakaten von Jules Chéret, Henri de Toulouse-Lautrec, Alphonse Mucha etc.
Sitzia trägt in ihren Fallstudien reichhaltiges Material zusammen, durch das die Relation zwischen Kunst und Literatur in Frankreich im 19. Jahrhundert facettenreiche Konturen erhält. Eine besondere Hervorhebung verdient die Fülle an Detailbeobachtungen, in denen sich die spannungsreichen Wort-Bild-Korrelationen in den von ihr eruierten künstlerischen und literarischen Werken manifestieren. Die vielschichtigen Einblicke täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass die Abhandlung bei einer konsequenteren Anwendung der von ihr eingangs angeführten methodischen Leitlinien an argumentativer Schärfe gewonnen hätte. Aufgrund der Komplexität der von der Autorin gewählten Thematik wäre eine nähere Bestimmung der Terminologie - wie etwa Jakobsons Begriff des Äquivalentprinzips [4] oder Barthes' strukturale Erzählanalyse [5] - und ihre konsequente Verwendung für eine gründlichere Durchdringung des diskutierten Materials förderlich gewesen. Dennoch ist zu betonen, dass Sitzias Analyse einen beachtlichen Ertrag an intermedialen Bezügen für künftige Untersuchungen bereitstellt. Insbesondere ihre These, dass die Malerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine die Literatur dominierende Position einnimmt, könnte der interdisziplinären Forschung und ihrer allgemeinen Zuwendung zum Bild wertvollen Diskussionsstoff liefern.
Anmerkungen:
[1] Gottfried Boehm / Helmut Pfotenhauer (Hgg.): Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995.
[2] Gabriele Rippl: Beschreibungs-Kunst. Zur intermedialen Poetik angloamerikanischer Ikontexte (1880-2000), München 2005.
[3] Barbara Naumann: Bilderdämmerung. Bildkritik im Roman, Basel 2012.
[4] Roman Jakobson: Fundamente der Sprache, Berlin 1960.
[5] Roland Barthes: L'Aventure sémiologique, Paris 1985.
Robin Rehm