Yvonne Fiedler: Kunst im Korridor. Private Galerien in der DDR zwischen Autonomie und Illegalität (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin: Ch. Links Verlag 2013, 416 S., 23 s/w-Abb., ISBN 978-3-86153-726-7, EUR 39,90
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Für kaum ein anderes Thema der kunsthistorischen Forschung zur DDR dürften vergleichbar viele Publikationen vorliegen wie für die nonkonformistische Kunstszene und ihrer Akteure. Dass dennoch weiterhin neue Erkenntnisse zu erwarten sind, belegt die hier zu besprechende Dissertation von Yvonne Fiedler zu privaten Galerien in der DDR. Anhand von sieben Einzelfallstudien aus dem Zeitraum von 1959 bis 1989/90 will Fiedler belegen, dass sich Künstler, Galeristen und Kunstkritiker in einem flexiblen, sich ständig verändernden "Kräftefeld" befanden, welches zwischen der staatlichen Obrigkeit (SED, Ministerium für Staatssicherheit, Künstlerverband) und den individuellen Akteuren gespannt war (15ff.). Die Autorin, Mitarbeiterin im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, kann einschlägige wissenschaftliche Kompetenzen in diesem Bereich vorweisen und hat bereits mehrere Publikationen hierzu veröffentlicht.
Fiedlers Studie ist in sechs Kapitel unterteilt: Auf eine Einleitung mit Angaben zum Forschungsstand, Quellenlage und Fragestellung folgen im zweiten Kapitel die "Rahmenbedingungen" von Kunstbegriff und Kunstpolitik in der DDR (34-39) sowie zu den Rechtsgrundlagen (49-53), auf welchen die privaten Galeristen in der DDR agieren mussten und für deren aktive Überschreitung sie häufig, wie Fiedler schreibt, "in der Rolle der Handlungsschrittmacher" (305) verantwortlich waren. Die Hauptkapitel zu den Fallbeispielen werden von eigens für die Arbeit erhobenen statistischen Angaben zu Privatgalerien und Galeristen (54-65) und ihren rekonstruierbaren Ausstellungsprogrammen (308-378) gerahmt.
Die Autorin entwirft zunächst eine Matrix, mithilfe derer sie definiert, was unter einer "Privatgalerie" in der DDR zu verstehen (22-24) und wie der Begriff "Alternativkultur" - in Abgrenzung zu Claudia Petzolds und Paul Kaisers Terminus der "Boheme" [1] - zu gebrauchen sei (19-21): "Konstitutierende Merkmale für Privatgalerien" sind für sie Aspekte der Trägerschaft, Funktion, Intention, Öffentlichkeit, Periodizität und Diversität (22-23). Insgesamt kann anhand ihrer Statistiken festgestellt werden, dass sich die Mehrzahl der Privatgalerien in den Großstädten und Kunstzentren - allen voran Berlin und Dresden - befanden, diese überwiegend in den 1980er-Jahren gegründet worden sind, oft nur kurz- oder mittelfristig (zwei bis fünf Jahre) existierten und in der Regel von jüngeren, kunstaffinen Männern ins Leben gerufen wurden (55-65).
Zwar werden auf über 200 Seiten von Fiedler Privatgalerien in Dresden, Freital, Erfurt, Magdeburg, Ost-Berlin und Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) untersucht - sowohl was Betreiber, ausstellende Künstler sowie die vielfältigen staatlichen Repressions- und Drangsalierungsmaßnahmen betrifft - doch schenkt die Autorin den ausgestellten Kunstwerken, ihren Präsentationskontexten oder der werkgeschichtlichen Einordnung wenig Beachtung. Fiedler betont mehrfach die Absicht, nicht nur das Personal der Galerien ins Visier zu nehmen, sondern auch die Räume, in denen die privaten Galerien existierten und in denen die Kunst zu sehen war (13), doch fallen nach ihrer strengen Ausschlusskriterien zahlreiche "Mischformen" (23) von Orten der nicht öffentlichen, oft widerständigen Kunstpräsentation und -ausübung wie kirchlich betriebene Räume, ephemere Happenings oder spektakuläre Künstler-Environments, etwa Micha Brendels Dresdner Atelier oder Stefan Kaysers environment k [2], heraus.
Jedoch gelingt es Fiedler auf beeindruckende Weise den spröden Geheimdienstakten des MfS - die Autorin hat einen umfangreichen Quellenkorpus in verschiedenen Archiven ausgewertet - historische Plastizität abzugewinnen und so die Arbeit der Galeristen zwischen Autonomiebestreben und politischer Indienstnahme, Illegalität und Verfolgung, Mitarbeit und Verweigerung herauszuarbeiten. Sie umgeht dabei methodische Fallstricke, da sie kritisch dem Wahrheitsgehalt und Quellenwert der MfS-Akten gegenübersteht und zudem, wie von Klaus-Dietmar Henke und Roger Engelmann eingefordert, parallel auch die "normalen" Akten der SED-Überlieferung hinzuzieht. [3]
Spätestens hier wird deutlich, dass es sich bei Fiedlers Arbeit zu den privaten Galerien in der DDR primär um eine soziohistorische Milieustudie handelt. Ihr geht es weniger um eine "kunsthistorische Würdigung" der ausgestellten Werke (18), stattdessen will sie zeigen, "in welchem Spannungsfeld sich private Galeristen bewegten und welche Motive dem Handeln der beteiligten Akteure zugrunde lagen" (13). In Anlehnung an Alf Lüdtkes Modell der "Herrschaft als sozialer Praxis", vor allem aber orientiert an Ina Merkels These, wonach Herrschaft in der DDR als ein "Prozess des Aushandelns" (17) verstanden wird, nähert sich Fiedler den Untersuchungsgegenständen. Deutlich ist hier der Einfluss neuerer Methoden der Konstellationsforschung oder des Spatial Turns, welche "Ereignisräume" und das soziale Umfeld statt einer großen Narration betonen. Fiedler spricht in diesem Zusammenhang von der historischen Mikroebene, um "Allgemeinplätze aufzulösen und zu einer differenzierteren Wahrnehmung" hinzuführen (12).
Es ist nur folgerichtig, dass durch diesen gewählten Ausschnitt die zeitgeschichtlichen Hintergründe und kulturpolitischen Großwetterlagen außerhalb des Blickfeldes liegen. Wenn etwa Fiedler zur Galerie Ursual Baring in Dresden als in bildungsbürgerlicher Tradition stehender Institution richtig schreibt, dass deren elitärer Saloncharakter (74, 82) dem MfS Anfang der 1960er-Jahre besonders auffiel und dieser Umstand eine "ideologische Nachbereitung" (76ff.) nach sich zog, so fehlt an dieser Stelle ein Verweis auf die Verschärfung des "Kampfes gegen bürgerlich-dekadente Kunstvorstellungen" im Zuge der 1959 eingeleiteten Kulturrevolution des "Bitterfelder Weges". Interessant wäre es auch gewesen zu erfahren, wie die Betreiber der Galerien und die von ihnen gezeigten Künstler zum ästhetischen Leitbild des "Sozialistischen Realismus" - der von Fiedler lapidar als "Stil" bezeichnet wird (36) - standen. Auch kann man daher nur spekulieren, ob, ausgelöst durch Erich Honeckers Kulturpolitik der vermeintlichen "Weite und Vielfalt" ab 1971, die Privatgaleristen der 1970/80er-Jahre ermutigt wurden, ihre Ausstellungen zum einen als apolitische Veranstaltungen zu betrachten und "in Beziehung zum öffentlichen (Kunst-)System" zu setzen (161) und wieso dann auf der anderen Seite das MfS in "keinem anderen Zeitabschnitt [...] ähnlich umfangreich und aggressiv gegen die Akteure" vorging (165). Und was den "Gründungsboom privater Galerien" ab Mitte der 1980er-Jahre neben den von Fiedler ausgemachten sozialpsychologischen Faktoren noch begünstigte (167ff.), etwa die mögliche Strahlkraft der Gorbatschow'schen Politik von Glasnost und Perestroika in der UdSSR ab März 1985, das bleibt unerwähnt.
Eine interessante Ergänzung und Erweiterung der bisherigen Forschung ist zweifelsohne Fiedlers Ausblick auf die Geschichte einiger Privatgalerien der ehemaligen DDR nach der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 (290ff.). Auch hier sind ihre statistischen Daten besonders erhellend: Von den acht Privatgalerien, die 1991 existierten, blieben sechs bis heute erhalten (291). Die erfolgreichste davon ist die Galerie Eigen+Art in Leipzig und Berlin, dessen Betreiber Judy Lybke in einem Interview mit Fiedler den Bezug zur Verkaufsmarke "Ostkunst" negiert, und zwar hauptsächlich weil dieser Begriff "im Ausland keinerlei Relevanz besessen habe" (294). Hier hätte sich der Rezensent einen Hinweis der Autorin auf den Umstand gewünscht, dass nicht nur der Galerist Lybke diese DDR-Relevanz bestreitet, sondern auch sein Starkünstler, Heisig-Schüler und Mitbegründer der "Neuen Leipziger Schule", der Maler Neo Rauch, der das vor 1990 entstandene Werk aus seinem Œuvre ausklammert. [4]
An der bildenden Kunst der DDR interessierte Soziologen oder Kulturwissenschaftler werden daher mit Gewinn nach Fiedlers wichtigem Buch greifen, welches durch seine genaue Aktenlektüre und die lebendige Erzählung besticht. Der Kunstgeschichte als Wissenschaft vom Bild obliegt es jedoch weiterhin, den Fokus auf die Werke zu legen und deren - auch widerständigen - Funktionen in totalitären Gesellschaften nachzuspüren.
Anmerkungen:
[1] Paul Kaiser / Claudia Petzold: Boheme und Diktatur in der DDR. Gruppen, Konflikte, Quartiere 1970-1989, Berlin 1997.
[2] Vgl. Jörg Sperling: Drei Atelierbilder, gruppendynamisch. Das Atelier als Formationsort künstlerischer Gruppenprozesse bei Micha Brendel, Clemens Gröszer und Hans Scheuerecker, in: Schaffens(t)räume. Atelierbilder und Künstlermythen in der ostdeutschen Kunst, hg. v. d. Kunstammlung Gera, Ausst.-Kat., Gera 2012, 68-87.
[3] Klaus Dietmar Henke / Roger Engelmann: Einleitung, in: dies. (Hgg.): Aktenlage. Zur Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die Zeitgeschichtsforschung, (= Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten; Bd. 1), Berlin 1995, 9-22, 18.
[4] Vgl. Frank Zöllner: Neo Rauch verstehen - Mit strammer Wade, in: Die Zeit, Nr. 22 v. 28.05.2011.
Oliver Sukrow