Parivash Jamzadeh: Alexander Histories and Iranian Reflections. Remnants of Propaganda and Resistance (= Studies in Persian Cultural History; Vol. 3), Leiden / Boston: Brill 2012, X + 193 S., ISBN 978-90-04-21746-1, EUR 99,00
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Es ist schon lange bekannt, dass sich in Iran - aufs ganze gesehen - zwei sich widersprechende Alexanderbilder finden lassen, von denen das eine ihn mit dem Königshaus von Iran zu verbinden sucht, von denen das andere, zoroastrisch gefärbte, ihm alle nur erdenklichen Untaten zuschreibt. [1] In ihrem Buch, das leider die nichtenglischsprachige und aktuelle Literatur sowie die Sekundärliteratur zu den Alexanderbildern der griechischen und römischen Historiographie kaum zur Kenntnis nimmt, versucht die Autorin aufzuzeigen, auf welche Weise und auf welcher legitimatorischen Basis der historische Alexander bemüht war, als Herrscher in Iran Anerkennung zu finden, wie er dabei von Einheimischen beraten wurde, aber auch, wie und warum er dabei auf Widerstand stieß.
Pierre Briant, der Rezensent und andere haben schon länger die Notwendigkeit für Alexander betont, außer den Griechen auch die nichtgriechischen Bewohner des Achaimenidenreiches für sich einzunehmen; sie haben auch versucht, in der ausschließlich westlich bestimmten Alexanderhistoriographie solche Bemühungen aufzudecken. Sie haben allerdings auch keinen Zweifel daran gelassen, dass Alexander damit bezweckte, gestützt auf eine neue, aus Makedonen und Einheimischen oder deren Abkömmlingen zusammengesetzte Reichselite, seine persönliche Form der Königsherrschaft durchzusetzen und zu bewahren.
Obgleich die Orientbilder der Alexanderhistoriker bis heute nur in Ansätzen untersucht worden sind - eine Tagung dazu in Breslau im Rahmen der "Classica et Orientalia"-Serie ist in Vorbereitung -, ist es doch nicht zuletzt das mit einer langen literarischen, inschriftlichen und ikonographischen Tradition verbundene und reichlich vorhandene mesopotamische Quellenmaterial (aus vorachaimenidischer, teispidisch-achaimenidischer und frühhellenistischer Zeit) gewesen, das deutliche Erkenntnisfortschritte bei der Bewertung des 'orientalischen' Alexanders erlaubt hat. Man denke stellvertretend hier nur an die Neubewertung des Einzugs Alexanders in Babylon und seiner Maßnahmen ebendort oder an das sog. Ersatzkönigritual, das in den Berichten kurz vor Alexanders Tod durchzuscheinen scheint. [2]
Deutlich schwieriger sind Versuche, wie der der Autorin, auch Teile der Maßnahmen Alexanders in Iran auf entsprechende iranische Vorbilder und Modelle zurückzuführen, gar Traditionen oder Berater auszumachen, die dabei Pate gestanden haben bzw. Alexander unterrichtet haben könnten. Dies hat in erster Linie damit zu tun, dass in Iran bis in spätsasanidische Zeit dem gesprochenen Wort der deutliche Vorrang gegenüber dem geschriebenen gebührte, dass von iranischer Literatur eigentlich erst seit dieser Zeit die Rede sein kann, dass - aufgrund der 'Regeln' oraler Transmission - nicht nur die verschiedenen Zeitstufen einer Tradition nur schwer auszumachen sind, sondern zudem mit deutlichen Veränderungen der Traditionsstoffe selbst zu rechnen ist, wobei davon nicht zuletzt die historischen Charaktere und ihre Namen betroffen sind. So verwundert nicht, dass etwa die Sasaniden des 3. Jahrhunderts n.Chr. keine gesicherten historischen Kenntnisse mehr über ihre gleichfalls südwestiranischen teispidisch-achaimenidischen Vorläufer in der Herrschaft besaßen. Die Bedeutung des mündlichen Vortrags an Königs- und Adelshöfen ist bei der Formung von Tradition sicher nicht zu unterschätzen, aber eben auch nicht die Tendenz der Sänger und Vortragenden, innerhalb von Rahmenhandlungen Geschichten dem jeweiligen Geschmack und den jeweiligen Bedürfnissen der Zuhörerschaft anzupassen.
Und gerade deshalb ist auch jeder Versuch, aus später Überlieferung (etwa Ferdowsis Schahnameh) iranische Ideen und Vorstellungen herauszukristallisieren, an denen sich Alexander orientiert oder die er zu seinem Vorteil genutzt haben könnte, mehr als gewagt. Zur Verfügung stehen dem Historiker dafür eigentlich nur - neben administrativem Schriftgut - die Inschriften und Reliefs der Perserkönige, die mit den Hinweisen der Alexanderhistoriker auf (angebliche) iranische Sitten, Gebräuche und Einrichtungen zu vergleichen wären. Und eben diese erhaltenen Alexanderhistoriker (aus römischer Zeit!) selbst (und die anderen, z.T. noch späteren Autoren, die die Autorin zitiert) sind, anders als dies die Autorin zu vermuten scheint, nur nach intensiver Beschäftigung mit ihren jeweiligen Quellen und möglichen Gewährsleuten, ihrer Wirkabsicht und literarischen Gestaltungsfreude, der Genrezugehörigkeit ihrer Werke und dem 'Geschmack' der Zeit und des Raumes, in denen sie lebten, als historische Zeugnisse für Iranisches nutzbar - wenn überhaupt. Parallelüberlieferung ist zudem noch kein Beweis für gegenseitige Abhängigkeit. Und Diskrepanzen und historische Ungenauigkeiten auf Missverständnisse der westlichen Autoren gegenüber angeblich klar zu benennenden zeitgenössischen iranischen Bräuchen und Einrichtungen zurückzuführen, ist ebenfalls mehr als gewagt.
Das Thema, dem sich die Autorin widmet, ist höchst aktuell; die Methode, mit der sie Erkenntnisfortschritte zu erzielen versucht, ist es leider nicht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt Rez.: The 'Accursed' and the 'Adventurer': Alexander the Great in Iranian Tradition, in: A Companion to Alexander Literature in the Middle Ages, ed. Z.D. Zuwiyya, Leiden 2011, 113-132; D.L. Selden: Iskander and the Idea of Iran, in: The Romance between Greece and the East, eds. T. Whitmarsh / S. Thomson, Cambridge 2013, 142-161.
[2] A. Kuhrt: "Ex Oriente Lux": How We May Widen Our Perspectives on Ancient History, in: Getrennte Wege? Kommunikation, Raum und Wahrnehmung in der Alten Welt (Oikumene; 2), Frankfurt 2007, 617-632.
Josef Wiesehöfer