Birgit Emich / Christian Wieland (Hgg.): Kulturgeschichte des Papsttums in der Frühen Neuzeit (= Zeitschrift für Historische Forschung; Beiheft 48), Berlin: Duncker & Humblot 2013, 290 S., ISBN 978-3-428-14047-3, EUR 49,90
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Die hier vorzustellenden Einzelstudien bilden ein Sonderheft der angesehenen 'Zeitschrift für Historische Forschung', die nicht nur bereits in der Vergangenheit Beiträge zu Aspekten der Papstgeschichte veröffentlicht, sondern auch Stellung zu methodischen und konzeptionellen Ansätzen innerhalb der historischen Forschung bezogen hat. Die vorgelegte Aufsatzsammlung möchte diesen ambitionierten Vorgaben folgen, denn, wie die Herausgeber betonen, wurde mit dieser Publikation beabsichtigt, anhand des framework der neuen Kulturgeschichte (unter Bezugnahme insbesondere auf Peter Burke und Roger Chartier) die besonderen Erscheinungsformen des Papsttums zu analysieren, einer Wahlmonarchie, an deren Spitze in der Person des Papstes die beiden Gewalten (geistliche und weltliche) untrennbar miteinander verbunden waren.
Die Erforschung der Geschichte des Papsttums sollte immer eng verknüpft mit der Kirchengeschichte und der Geschichte der Theologie sein, worauf die Einleitung abhebt. Auch bei den hier publizierten Studien kommen Vertreter mehrerer Disziplinen zu Wort (Historiker, Kunsthistoriker, Kirchenhistoriker, vgl. den Beitrag von Günther Wassilowsky, 219-247). Die methodische Vorgehensweise in den meisten Beiträgen ist aber vor allem durch das Konzept der Mikrohistorie geprägt, das Wolfgang Reinhard, der akademische Lehrer der Mehrzahl der Verfasserinnen und Verfasser, entwickelt hat.
Um die Einzelbeiträge in der jüngeren Forschung zu verorten, werden in der Einleitung wichtige Aspekte der Papstgeschichtsschreibung in großen Linien behandelt: die Kurie und ihre Ämter, prosopografische Werke, Kardinalsbiografien, Studien zu Familien, deren Stellung an der Kurie und am römischen Hof sich der päpstlichen Patronage verdankte, Formen des Mäzenatentums, die die Herrschaft legitimieren und propagandistisch zur Schau stellen sollten - auch als Reaktion auf die Infragestellung des Papsttums durch den Protestantismus ab der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass nicht alle neueren relevanten Studien berücksichtigt werden konnten, so überrascht dennoch das Fehlen von Themen und Fragestellungen, mit denen sich vor allem die italienische und französische Forschung zuletzt auseinandergesetzt hat. Nur ganz am Rande aufgegriffen werden Forschungsergebnisse vor allem italienischer Historiker zu den Orden und deren nicht immer konfliktfreiem Verhältnis zum Papsttum. Nicht einmal die Forschungen zur römischen Inquisition, die seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts auf der Grundlage des damals zugänglich gemachten Archivs der Glaubenskongregation verstärkt betrieben werden und dazu beitragen, das komplexe Verhältnis zwischen Papsttum und Gesellschaft (nicht nur in der Frühen Neuzeit) neu zu beleuchten und das Konzept der Sozialdisziplinierung, das lange Zeit die Studien zur nachtridentinischen Gesellschaft nachhaltig beeinflusst hat, zu modifizieren, haben in dieser Publikation eine ihrer Bedeutung angemessene Berücksichtigung gefunden.
Was vermag nun die "neue Kulturgeschichte" zur Geschichte des Papsttums in der Frühen Neuzeit beizutragen? Unter dieser Überschrift werden in diesem Band nicht immer gerade neue Fragestellungen behandelt; das Vorhaben ist nicht in allen Teilen geglückt. Der Beitrag von Birgit Emich (29-63) widmet sich der Fragestellung, wie durch die Bilder und Symbole der zeitgenössischen Propaganda des Volks und der literarischen und politischen Eliten ein negatives und feindliches Bild Adrians von Utrecht als eines "Barbaren" auf dem Papstthron entstehen konnte, und legt die Strukturen offen, die diese Propaganda prägten und sie nutzten. In der Tat spielten politische und wirtschaftliche Interessen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der negativen Bewertung Hadrians VI., wie die Verfasserin zeigt, so als ob man den Stuhl Petri exklusiv für einen Italiener reklamieren wollte oder sich wenigstens die schnelle Rückkehr eines Medici-Papstes erhoffte.
Im Zentrum des Beitrags von Arne Karsten (66-98) stehen päpstliche Propaganda und Selbstinszenierung, wobei er einräumt, dass Themen der Papstgeschichte bereits früher mit Methoden und Ansätzen der "neuen Kulturgeschichte" analysiert wurden. In diesem Punkt ist dem Autor zuzustimmen, da schon Paolo Prodi unter diesem Blickwinkel die frühzeitige Ausformung der päpstlichen Monarchie dargestellt hat. Nach Karsten, der schon in anderen Aufsätzen die Ergebnisse des Requiem-Projekts (http://requiem-projekt.de) vorgestellt hat, ist der in den Kardinalsgrabmonumenten zum Ausdruck gebrachte Memorialkult ein Zeichen für die irdische Präsentation des Verstorbenen, wobei nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine politische Botschaft übermittelt werde, welche vor allem die Strategien der Selbststilisierung der jeweiligen Familie beleuchte.
Nicole Reinhardt beschäftigt sich mit einer offensichtlich "kleineren" Figur, dem Bologneser Arzt und Philosoph Camillo Baldi, und dessen Schriften, dessen theoretische Originalität sich aus gebotenem Nikodemismus unter einem religiösen Deckmantel verbarg. Konsequent weiterentwickelt könnte dieser Aufsatz Ansätze liefern für eine intensivere Beschäftigung mit dem politischen Denken im Kirchenstaat (99-125).
Hillard von Thiessen (127-146) kann in seinem Beitrag zum Reisen - ein Thema zahlreicher Studien - nachweisen, inwieweit die Asymmetrie im Verhältnis von Patron und Klient nicht nur die Realität der Reise, sondern auch die damit verbundenen symbolischen Praktiken beeinflusst hat. Die behandelten Beispiele stammen allerdings nur aus dem frühen 17. Jahrhundert. Man erführe deshalb gern, ob sich diese Praktiken mit der Zeit unter veränderten politischen und kulturellen Rahmenbedingungen gewandelt haben.
Keineswegs neu ist das von Christian Wieland (147-188) behandelte Thema der sich verändernden Bedeutung von Loyalität und Treue innerhalb der florentinischen Landsmannschaft in Rom gegenüber ihren "natürlichen Fürsten", den Medici: Die Mehrheit dieser Eliten wandte sich hin zum römischen Hof und versuchte dort Karriere zu machen. Dieses Thema beschäftigt seit geraumer Zeit italienische Spezialisten, deren Schriften der Autor weitgehend kennt.
Auch die Beschäftigung mit dem päpstlichen Zeremoniell hat seit längerem einen festen Platz in der italienischen Frühneuzeitforschung, wobei vor allem die intensive Rezeption der Werke von Ernst Kantorowicz und Norbert Elias eine entscheidende Rolle spielte, und nicht etwa die modernen Medien und die von Johannes Paul II. im Jahr 2000 formulierte Bitte um Vergebung (vgl. 204, Anm. 37), wie Julia Zunckel annimmt (189-218), die in ihrem Beitrag die originelle Frage der Ausformung einer neuen symbolischen Dimension durch Praktiken marianischer Frömmigkeit am römischen Hof und ihre Berücksichtigung im Papstzeremoniell aufgreift.
Insgesamt lässt der Band eine Öffnung hin zu anderen kulturgeschichtlichen Themen, die seit längerem in der Forschung behandelt werden, vermissen. Hier wären zu nennen die Bereiche päpstliche Diplomatie (mit ihren Protagonisten), Wissenschaft, Kommunikation, Kultur- und Wissenstransfer, Musik, Rechtsprechung ... - weitere Beispiele ließen sich ebenso finden wie weitere einschlägige Titel zur Ergänzung der Bibliografie. Teilweise drängt sich bei dieser Publikation der Eindruck einer verpassten Chance auf, insbesondere was die Vermittlung italienischer und französischer Forschungsergebnisse in die deutschsprachige Geschichtswissenschaft betrifft. Dennoch könnte sie den Ausgangspunkt für neue Forschungen und Überlegungen bilden.
Irene Fosi