Werner Heil: Welt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (= Geschichte im Unterricht), Stuttgart: W. Kohlhammer 2012, 164 S., ISBN 978-3-17-021634-1, EUR 19,90
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Die Veröffentlichung der ersten PISA-Studien vor über 10 Jahren hat in den verschiedenen Kultusministerien wie auch in der Didaktik eine heftige Debatte um eine Neuorientierung schulischer Zielsetzungen ausgelöst. Das Fach Geschichte war allerdings nicht Gegenstand der PISA-Evaluation. Dennoch zeigen nicht wenige andere empirische Erhebungen, dass die Ergebnisse des Geschichtsunterrichts an deutschen Schulen nicht anders als kläglich zu bezeichnen sind.
Als Gegenstrategie steht seitdem der Erwerb von Kompetenzen im Mittelpunkt fast aller bundesdeutschen Lehrpläne. Kompetenzen sind definiert als Fähigkeiten und Fertigkeiten, neue variable Anforderungssituationen erfolgreich zu bewältigen. Kompetenzorientiertes Lernen zielt also auf eine kreative Problemlösungsfähigkeit bei Schülerinnen und Schülern auch im Fach Geschichte ab. Doch die Umsetzung dieses Kompetenz-Begriffs in der schulischen Praxis stieß auf Schwierigkeiten. Zum einen konnte sich die Hochschuldidaktik bisher nicht auf ein einheitliches Kompetenz-Modell einigen, zum anderen folgten Teile der deutschen Geschichts-Lehrkräfte dieser Neuorientierung nicht: Der Vorwurf, die Kompetenzorientierung sei "alter Wein in neuen Schläuchen", war aus zahlreichen Lehrerzimmern zu hören. In der Tat fehlten dem elaborierten Diskurs der Hochschuldidaktik nötige Konkretionen wie praxisnahe Anwendungsbeispiele, so dass Lehrkräfte sich zu Recht schnell im Stich gelassen fühlten.
Werner Heil, Fachleiter für Geschichte am Staatlichen Seminar für Didaktik und Universitäts-Lehrbeauftragter aus Stuttgart, hat sich nun der Aufgabe gestellt, praxistaugliche kompetenzorientierte Unterrichtseinheiten zu entwickeln. In seinem Werk zu Mittelalter und Früher Neuzeit strebt er eine Erarbeitung der Inhalte durch "kategoriale Begriffe" (7) und Strukturierung in "Domänen" (8) an. Solche "Domänen" orientieren sich an den Gegenstandsbereichen "Herrschaft", "Gesellschaft", "Recht", "Wirtschaft", "Wirklichkeit", "Selbstverständnis", "Religion", "Wissenschaft", "Krieg" (8). Die inhaltlichen Ergebnisse sollen im Fortlauf des Unterrichts untereinander zeitlich wie kausal vernetzt werden. Auf diese Weise soll die Fähigkeit entstehen, "Entwicklungen innerhalb einer Domäne darstellen zu können, z.B. die Entwicklung von Herrschaftsformen von der Stammesherrschaft bis zur heutigen Demokratie" (8). Schülerinnen und Schüler verfügten dann über eine "kompetenzorientierte Urteilsbildung" (11) beziehungsweise "Orientierungs- und Handlungskompetenz" (156). In der Tat stellt Heil in chronologischer Abfolge Unterrichtsentwürfe vor, in denen er zum Beispiel Herrschaftsformen und deren Legitimationen (18, 26, 148), Wissenschaftsverständnis (53), Religionen (62), Kriege, Kriegsauffassungen wie -begründungen (65), Rechtsgrundsätze (92), gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen (50, 94, 154) in Neuzeit, Mittelalter und Antike vergleicht. Beachtenswert ist dabei, dass Heil den Vergleich zu heutigen Strukturen und Denkmustern oft thematisiert und damit Gegenwartsbezüge herstellt (besonders 37, 50, 86).
Auf der einen Seite ist Heils Bemühen außerordentlich zu würdigen, die unterrichtliche Behandlung historischer Inhalte auf den Aufbau von Kompetenzen umfassend und systematisch auszurichten. So gelingt es dem Autor, die Nachteile eines stofforientierten und wenig nachhaltigen Geschichtsunterrichts durch eine Neuausrichtung zu ersetzen. Heils Werk führt vor, dass historische Kenntnisse nicht für sich allein, ja fast zweckfrei erlernt werden müssen, sondern sich deren Aneignung aus Orientierungsnotwendigkeiten wie -bedürfnissen der Gegenwart begründet. Wissen stellt für ihn (158) eine notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für historisches Denken dar. So - und nur so - kann das Fach Geschichte auch Interesse von Lernenden erfahren und seine Legitimation in einem schulischen Fächerkanon begründen. Heil entwickelt daher konkrete, wenn auch diskutierbare, Optionen, wie die Vermittlung historischer Inhalte mit dem Prinzip der Kompetenzorientierung zu verbinden ist. Die nur hämisch zu nennende Kritik aus Teilen der Hochschuldidaktik an diesem Band zeigt, welche Kluft zwischen Hochschule und Schule existiert, und wird Heils Anliegen nicht gerecht.
Kritisch muss das enge Begriffssystem gesehen werden, mit dem Heil arbeitet. Zwar räumt er ein (19), dass der Katalog der "Domänen" verändert werden könne, doch faktisch stellt er deren Verbindlichkeit nicht in Frage: Allein Kategorien wählen die Inhalte aus. Dieses durchgängig deduktive Vorgehen in einem kompetenzorientierten Geschichtsunterricht führt allerdings zu einem Verlust an Geschichte. Zahlreiche historische Inhalte, die ein hohes didaktisches Potenzial haben, fallen aus diesem starren Raster heraus: Wo bleibt zum Beispiel die ausführliche Thematisierung von Geschlechterbeziehungen (zum Beispiel "Stellung der Frau in der mittelalterlichen Stadt") oder von Migration (zum Beispiel "Hugenotten-Einwanderung") mit ihren Existenzbezügen zu heute? Heils Domänenmodell führt auch deswegen zu einer Verengung des Geschichtsunterrichts, weil er die Inhalte an ein westliches Modell des Fortschritts bindet: Hexenverfolgung ist daher für ihn (111-113) ein Regressionsphänomen, das eigentlich nicht vorkommen dürfte. Mit einer solchen Deutung - die übrigens die heutige Forschung nicht deckt - geht eine wichtige Erkenntnis auch für Schülerinnen und Schülern verloren, nämlich, dass in der Hexenverfolgung andere menschliche Grundreaktionen wirksam waren, die heute noch aktuell sind. Wie lässt sich nach diesem europäisch orientierten Geschichtsbild ein Land wie Indien einordnen, in dem sich heute gerade nicht nach westlichen Entwicklungsmodell Polytheismus und (zumindest eine formale) Demokratie verbinden? Und zuletzt bleibt noch die Frage: Welche Rolle nehmen Schülerinnen und Schüler im Konzept von Heil ein? Zwar nimmt Heil in Anspruch, dass sein "Modell im konsequenten schülerorientierten Unterricht" (7) anwendbar sei, doch Bedürfnisse von Lernenden scheinen in diesem rigiden didaktischen Konzept kaum eine Rolle zu spielen.
Auch wenn der Band von Werner Heil Schwächen aufweist, ist er als Diskussionsgrundlage vorzüglich geeignet. Kompetenzorientierung ist und bleibt eine Notwendigkeit für Geschichtsunterricht.
Rolf Schulte