Andreas Kötzing: Kultur- und Filmpolitik im Kalten Krieg. Die Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen in gesamtdeutscher Perspektive 1954-1972, Göttingen: Wallstein 2013, 427 S., ISBN 978-3-8353-1264-7, EUR 44,90
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Die Studie geht von der These aus, dass Filmfestivals zur Zeit des Kalten Krieges "fast immer ein Politikum" waren (11). Auf dieser Betrachtungsweise des Films, der hier primär auf die Sphäre des Politischen bezogen wird, baut Andreas Kötzing seinen vielschichtigen Vergleich zweier deutscher Filmfestivals auf: der Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen und des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Beide Festivals dienen als Fallbeispiel, um das deutsch-deutsche Wechselverhältnis unter dem Einfluss politischer, gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen zu untersuchen. Das Erkenntnisinteresse ist dabei weniger ein filmhistorisches. Als "empirische Mikrostudie" (390) zur Beziehungsgeschichte der beiden deutschen Staaten zwischen 1954 und 1972 soll die Arbeit vielmehr zeigen, "welche Bedeutung die Filmfestivals für die Geschichtswissenschaft haben können" (12). Kötzing will damit einen Beitrag zu einer gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte leisten, bei der sowohl Phänomene der Abgrenzung wie auch der Verflechtung zur Sprache kommen sollen.
Der Autor kann an drei Untersuchungsfeldern überzeugend nachweisen, wie unter dem Einfluss des Ost-West-Konfliktes und der deutschen Teilung Abgrenzung und Verflechtung gleichzeitig wirksam waren: erstens anhand der Umstände der deutsch-deutschen Beteiligungen am jeweils anderen Festival, zweitens anhand von Konflikten um einzelne Filme und drittens anhand der offiziellen Festivalbeziehungen und der persönlichen Kontakte. Das hierfür herangezogene Material ist reichhaltig; Lücken oder charakteristische Verzerrungen wie bei der Überlieferung aus dem Ministerium für Staatssicherheit werden diskutiert und jeweils mit Hinweisen auf Forschungsdesiderate versehen.
Die parallele Darstellung der beiden Festivalgeschichten beginnt mit einem Blick auf den gemeinsamen Vorläufer: Der Erfolg der 1952 gegründeten Kultur- und Dokumentarfilmwoche in Mannheim führte 1954 zunächst zur Gründung des Oberhausener Festivals. Unter dem Festivalmotto "Weg zum Nachbarn" entwickelte sich dieses schnell zu einer wichtigen Bühne besonders für gesellschaftskritische, künstlerische Filme aus Osteuropa, auf denen das internationale Renommee Oberhausens beruhte. Die Gründung der Leipziger Kultur- und Dokumentarfilmwoche 1955 stand in direktem Bezug zu Mannheim und Oberhausen. Kötzing konstatiert für die Gründungsphase bis 1961 ein großes, beiderseitiges Interesse der Festivals aneinander, was zu deutsch-deutschen Kontakten von beachtlichem Ausmaß führte. Das Leipziger Motto "Filme der Welt - für den Frieden der Welt" besaß zwar von Beginn an propagandistische Funktionen für die Selbstdarstellung und Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik, wurde zunächst aber noch von einer ausdrücklich gesamtdeutschen Konzeption geprägt. In der Hoffnung, politischen Einfluss in der Bundesrepublik ausüben zu können, wurden die Kontakte von der SED gefördert.
Das Verhältnis verschlechterte sich mit dem Mauerbau 1961 und dem 11. Plenum des ZK der SED 1965. Die gegenseitige Abgrenzung verschärfte sich bis 1967. Die Vereinnahmung der Festivals für die SED-Kulturpolitik, die im Kern auf ein Auftreten der DDR als eigenständiger Staat zielte, führte zu einer Reihe von grundsätzlichen Konflikten. Dennoch kann in dieser Phase noch von einer starken gegenseitigen Verflechtung gesprochen werden: Einerseits hatte 1962 ein Boykott der DDR und die erfolgreiche Aufforderung an alle Ostblockstaaten, sich dem anzuschließen, den Oberhausenern ihre Abhängigkeit von der DDR bei der Festivalgestaltung vor Augen geführt. In der Folgezeit kamen Kompromisse zustande, die dem energisch verfolgten Wunsch der DDR nach staatlicher Anerkennung im Rahmen des Festivals weitgehend entsprachen. Andererseits bestand auf Seiten des Leipziger Festivals ein starker kontrastiver Bezug zu Oberhausen, da sich Leipzig als einziges "antiimperialistisches Filmforum" zu profilieren suchte.
Anschließend beleuchtet Kötzing die Jahre 1968 bis 1972 zwischen Prager Frühling und Entspannungspolitik. Mit der Anerkennung der DDR - in Oberhausen schon 1968 durch Wegfall der Anführungszeichen vorweggenommen - hatte das Festival für die SED seinen Zweck erfüllt. Kötzing beschreibt für diese Phase, wie sich das Gefüge aus Abhängigkeit und kontrastivem Bezug langsam auflöste und in Leipzig zunächst einer Verunsicherung und Konzeptlosigkeit wich. In Oberhausen verlagerte sich das Interesse endgültig auf andere Ostblockstaaten, vor allem auf das Krakauer Filmfestival. Ohne Konzept reagierte die DDR-Delegation auch auf Proteste der "1968er" in Oberhausen, welche im Laufe des Jahres auf andere internationale Festivals übergriffen. Deutlich besser vorbereitet war man dann in Leipzig, wo nicht nur "linksradikale" Diskussionen und Filme, sondern auch Proteste gegen den Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag rigoros unterdrückt wurden. Ein Ausblick auf die 1970er und 1980er Jahre, der einen Schwerpunkt auf die Leipziger Entwicklungen legt, beendet die strikt chronologische Darstellung.
Das Fazit Kötzings: Beide Festivals waren keine Inseln und in ihrem Verhältnis zueinander von den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges stark beeinflusst. Seine Ausgangsfrage nach der gesamtdeutschen Geschichte Leipzigs und Oberhausens und nach ihren Beziehungen zueinander wird im Sinne des Untersuchungsansatzes mit einem Sowohl-als-auch beantwortet: Das ost- und das westdeutsche Festival waren Partner wie auch Konkurrenten. Bei offiziellen Kontakten dominierte der Aspekt der Abgrenzung, bei persönlichen Kontakten eine Mischung aus Pragmatismus und Verbundenheit.
Insgesamt ermöglicht die Ausführlichkeit der Darstellung eine Transparenz, die einsichtig macht, wie Kötzing zu seinen Urteilen kommt. Diese sind ausgewogen und für den Leser stets nachvollziehbar. Methodisch verständlich bei einer empirisch-historiographischen Arbeit dieses Umfangs ist der weitgehende Verzicht auf Interpretation und werkimmanente Diskussion der Filme selbst. Dennoch fragt man sich bei der Lektüre hin und wieder, welche anderen Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand möglich gewesen wären, wenn in die Auswertung von Archivalien, Zeitzeugengesprächen und Sekundärliteratur auch Beobachtungen zu den Filmen selbst eingeflossen wären. An den Stärken des Buches - Genauigkeit, breite Quellenbasis und Nachvollziehbarkeit - werden weitere Forschungen allerdings kaum vorbeikommen, wenn sie ihre Urteile mit der gleichen Überzeugungskraft belegen wollen.
Anne Barnert