Rezension über:

Guy Laron: Origins of the Suez Crisis. Postwar Development Diplomacy and the Struggle over Third World Industrialization, 1945-1956, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2013, XV + 260 S., ISBN 978-1-4214-1011-1, GBP 28,50
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Rezension von:
Corinna R. Unger
Jacobs-University, Bremen
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Corinna R. Unger: Rezension von: Guy Laron: Origins of the Suez Crisis. Postwar Development Diplomacy and the Struggle over Third World Industrialization, 1945-1956, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/04/24077.html


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Guy Laron: Origins of the Suez Crisis

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Die Geschichte der Suez-Krise ist gut bekannt. Der Konflikt begann, so das dominante Narrativ, mit der Verstaatlichung der britischen Suez Canal Company durch den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser im Herbst 1956 (zeitgleich mit dem Aufstand in Ungarn, was das Maß der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Ereignisse in Budapest verringerte). Die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich sahen ihre territorialen und wirtschaftlichen Ansprüche gefährdet, bildeten eine Allianz mit Israel und griffen Ägypten an. Die Sowjetunion und die USA waren jedoch nicht bereit, diese Form der Kolonialpolitik zu tolerieren und übten erheblichen Druck auf Paris und London aus, woraufhin die französischen und britischen Truppen abgezogen wurden. Ergebnis der Krise waren die öffentliche Diskreditierung der europäischen Kolonialmächte und die Beschleunigung des Dekolonisationsprozesses. Darüber hinaus gilt der Suez-Konflikt als Ausdruck der Erweiterung bzw. Verlagerung des Kalten Krieges auf die sogenannte Dritte Welt.

Guy Larons Buch über die Ursprünge der Suez-Krise versucht sich nun an einer Neuinterpretation des Konflikts. Der Autor trägt damit zur "new Cold War history" bei, deren Vertreter die Engführung der Forschung über den Kalten Krieg auf Moskau und Washington kritisieren und dafür plädieren, bislang vernachlässigten Akteuren, insbesondere in der sogenannten Dritten Welt, mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Anstatt die ehemaligen Kolonien als passive Opfer der Supermachtpolitik zu begreifen, müssten sie als historische Akteure mit eigener agency ernstgenommen werden, vor allem in ihrem Bemühen um Unabhängigkeit und Blockfreiheit.[1] Möglich scheint eine solche Neubewertung aufgrund bislang unzugänglicher oder nicht berücksichtigter Quellen, unter anderem in russischen Archiven, aber auch in den damals neuen Nationen. Guy Laron etwa verwendet neben amerikanischen und britischen Quellen Material aus Archiven in Prag, Tel Aviv, New Delhi und Moskau.

Neben der geopolitischen Neuinterpretation will der Autor auch die ökonomische Seite der Suez-Krise beleuchten, die in der bisherigen Forschung meist vernachlässigt worden ist. Zugrunde liegt ein Verständnis des Kalten Krieges als Konflikt um eine globale ökonomische Ordnung ("the economic cold war"; 9) sowie der Suez-Krise als Reflektion der damit verbundenen Globalisierungstendenzen. Laron zufolge bestimmten wirtschaftliche Interessen das außenpolitische Verhalten der internationalen Akteure im Kontext der Dekolonisation und der Neuordnung der internationalen Sphäre nach 1945 in erheblichem Maße. Insbesondere die Frage, ob Freihandel sinnvoll oder schädlich für die nationale Wirtschaft sei und ob sich die sogenannten Entwicklungsländer industrialisieren sollten oder nicht, trieb Politiker in den USA, der UdSSR, Großbritannien und Frankreich um. Laron benennt die an diesen Diskussionen beteiligten Personen als "Isolationisten" bzw. "Internationalisten" und betont die Interessenskoalitionen, die häufig transnational verliefen und in einigen Fällen die politischen Grenzen des Kalten Krieges überwanden.

Das Buch besteht aus neun Kapiteln: der Einleitung; sechs empirischen, chronologisch geordneten Kapiteln; dem Schluss und einem Ausblick. Besonders lesenswert sind die ersten beiden Kapitel über die Situation Ägyptens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Hier beschreibt Laron sehr anschaulich die vielfältigen Herausforderungen, mit denen sich das Land konfrontiert sah - von der sozialen Ungleichheit und Gespaltenheit der ägyptischen Gesellschaft über die britische Interpretation der Funktion Ägyptens für den Erhalt des Empire bis zur antikolonialen Bewegung und dem Bemühen Nassers, Ägypten durch amerikanische Hilfe möglichst rasch zu modernisieren. Was kurzfristig wie ein vorgezeichneter Pfad der Industrialisierung nach westlichem Vorbild und in enger Kooperation mit Washington erscheinen mochte, wurde durch Chruschtschows Entscheidung für eine offensive Annäherung an die Länder der "Dritten Welt" durchkreuzt. Laron argumentiert, dass es nicht geopolitische, sondern ökonomische Interessen gewesen seien, die Moskau dazu bewegt hätten, großzügige Hilfsangebote an Länder wie Ägypten zu machen. Ebenso sei Washingtons Politik gegenüber dem Mittleren Osten von dem Ziel bestimmt gewesen, Absatzmärkte für US-Produkte zu sichern. Angesichts dieser übereinstimmenden Prioritätensetzung sei eine unausgesprochene Allianz zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten entstanden, die sich im Verhalten der beiden Supermächte während der Suez-Krise bestätigt habe. Unterdessen habe Nasser die Konkurrenzsituation und die Streitigkeiten zwischen den europäischen Mächten, den USA und der UdSSR geschickt ausgenutzt, um Ägypten militärische, wirtschaftliche und finanzielle Hilfe und sich selbst die politische Unterstützung der ägyptischen Bevölkerung zu sichern. Die Suez-Krise sei als Kulmination dieser vielschichtigen Interessenspolitik zu verstehen.

Das Buch löst seinen Anspruch, eine neue Perspektive auf die Suez-Krise zu bieten, insofern ein, als das ägyptische Handeln ausführlich untersucht und die aktive Rolle Ägyptens umfassend gewürdigt wird. Weniger überzeugend ist der Versuch, das traditionelle Narrativ des Kalten Krieges durch ein Narrativ eines ökonomischen Globalisierungskonflikts zu ersetzen. Was eine aktualisierte, "entideologisierte" Variante der revisionistischen Schule sein könnte, beschränkt sich letztlich auf den wiederholten Verweis darauf, wie einflussreich nationale wirtschaftliche Interessen gewesen seien. Anstatt auf Quellen der beteiligten Unternehmen und Banken zurückzugreifen, beschränkt sich der Autor darauf, die politischen Protagonisten als "Internationalisten" und "Isolationisten" zu klassifizieren. Der analytische Mehrwert dieser Einteilung scheint relativ gering. Darüber hinaus suggeriert die Unterscheidung, dass es schwieriger ist als von den Vertretern der "new Cold War history" gehofft, ohne jene Dichotomien auszukommen, die für den Kalten Krieg und seine Erforschung lange kennzeichnend waren. Sicher kann der Kalte Krieg nicht alles erklären, und es ist notwendig und weiterführend, nach anderen relevanten Faktoren und Akteuren zu fragen. Doch letztlich zeichnet Laron ein Bild von der Suez-Krise, das nahelegt, dass die machtpolitischen Strukturen, die der Kalte Krieg hervorbrachte, die ausgeprägten ökonomischen Interessen erst zu jenem Konfliktherd werden ließen, der in der Suez-Krise zum Ausdruck kam. Insofern bietet das Buch noch keinen befriedigenden Ersatz für die traditionelle Perspektive auf die Suez-Krise im Kontext des Kalten Krieges. Dennoch ist das Buch all jenen zu empfehlen, die sich für die internationale und globale Geschichte seit 1945, für die Geschichte Ägyptens, die Geschichte der Dekolonisation und die Geschichte des Kalten Kriegs interessieren.


Anmerkung:

[1] Vgl. etwa Tony Smith: "New Bottles for New Wine: A Pericentric Framework for the Study of the Cold War", in: Diplomatic History 24.4 (2000), 567-591; Matthew Connelly: "Taking Off the Cold War Lens: Visions of North-South Conflict during the Algerian War for Independence", in: American Historical Review 105.3 (2000), 739-769.

Corinna R. Unger