Alexandra Bleyer: Auf gegen Napoleon! Mythos Volkskriege, Darmstadt: Primus Verlag 2013, 264 S., 1 Karte, ISBN 978-3-86312-022-1, EUR 24,90
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Arnulf Krause: Der Kampf um Freiheit. Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland, Stuttgart: Theiss 2013
"Wie viel Volk steckte in den Volkskriegen?" (9) fragt die österreichische Historikerin Alexandra Bleyer in ihrer ersten Monographie. Sie prüft vor allem warum und in welchem Ausmaß die Bevölkerung in Spanien, Mitteleuropa und Russland zwischen 1808 und 1813 gegen Napoleon kämpfte. Bleyer gibt zunächst einen knappen Überblick über die Entstehung des übermächtig wirkenden "Grand Empire" bis 1808. Dabei kommt sie zu dem Urteil, dass Widerstand gegen Napoleon nur durch Anpassung an die "neuen Entwicklungen" in Staats- und Kriegsführung möglich schien (33), etwa durch Vergrößerung der Armeen und Mobilisierung der Bevölkerung.
Zuerst seien diese neuen Rezepte in Spanien erprobt worden, wo im Winter 1808/09 zur Bildung von irregulären Volkseinheiten aufgerufen wurde, die "la guerilla", einen "kleinen Krieg" gegen die Eindringlinge führen sollten. Die Guerilla-Kämpfer hätten sich aus "Zivilisten, versprengten Soldaten wie auch Deserteuren" bis hin zu "Schmugglern und Banditen" rekrutiert. Diese Zusammensetzung macht verständlich, dass "für die meisten Guerillatruppen der Übergang zwischen patriotischem Kampf gegen Napoleon und simplem Banditentum fließend" war (63). Letztlich hätten die Guerilleros den Krieg zwar nicht entschieden, es den Franzosen aber immerhin unmöglich gemacht, ihre "Macht zu konsolidieren" (64).
1809 habe sich dann der Wiener Hof die Spanier zum Vorbild genommen, wenngleich mit Einschränkungen. "Mit Reserve und Landwehr" habe man Teile des Volks "in die Kriegsplanung einbezogen" (72). Darüber hinaus führte die Regierung in Wien eine für sie völlig neuartige Propagandakampagne. In den mit Napoleon verbündeten deutschen Ländern hätten sich die Österreicher als "Erlöser" vom französischen Joch geriert (83) und gehofft, im Rücken der Franzosen Volksaufstände auslösen zu können. Zu diesem Zweck verhandelten sie auch mit kriegsbereiten Kreisen in Preußen. Die preußischen Patrioten seien wiederum vom Krieg in Spanien beeinflusst worden und hätten im gleichen Jahr einen "Guerillakrieg nach spanischem Vorbild" geplant (79). Alle tatsächlichen Aufstandsversuche in Norddeutschland seien jedoch schnell gescheitert. Auch in Süddeutschland seien weder Bevölkerung noch Fürsten von Napoleon abgefallen. Selbst im österreichischen Kernland habe man kaum Kriegsfreiwillige gefunden.
1812 versuchte dann die russische Obrigkeit, dem "Trend der Zeit" zu folgen und einen "Nationalkrieg" gegen Napoleon zu führen. Das konkrete Verhalten der plündernden Invasionsarmee habe dabei geholfen, den "Widerstandsgeist" der Bevölkerung anzufachen. Bauernmilizen hätten nützliche Hilfsdienste für die Armee geleistet, "Verbände der regulären Armee, Bauern und Kosaken" einen erfolgreichen Kleinkrieg gegen die Invasoren geführt (118).
In Preußen habe man 1813 das Volk als Landwehr in die reguläre Armee inkorporiert und "die Erfahrungen der letzten Volkskriege" in die "Verordnung über den Landsturm" einfließen lassen (127). Allerdings hätten viele Entscheidungsträger Bedenken gegen die damit verbundene Idee eines radikalen Volkskriegs gehegt und das Landsturmedikt daher entschärft. In den Rheinbundstaaten hätten 1813 "Landespatriotismus und die Loyalität zum Fürsten" die Haltung des Volks bestimmt (134), keine "(deutsch-)nationalen Gefühle" (138).
Dem für die betroffenen Regierungen weitgehend neuen "Kampf um die öffentliche Meinung" widmet die Autorin ein eigenes Kapitel. Die Propaganda habe für verschiedene Zielgruppen unterschiedliche Formen annehmen müssen. Gebildete Schichten hätten "stichhaltige Argumente" verlangt (154), das einfache Volk hingegen habe man eher emotional angesprochen, etwa durch "Gedichte, Lieder und Bühnenstücke" (157).
Geradezu "revolutionär" seien Aufrufe an gegnerische Soldaten gewesen, ihr Treuegelübde gegenüber ihren Fürsten zu brechen. Allerdings hätten die Verbündeten schnell versucht, diese antiautoritäre Tendenz abzuschwächen und vorgegeben, der Abfall von Napoleons Sache liege im eigentlichen Interesse auch der nominell mit Frankreich verbündeten Monarchen (182).
Im letzten Kapitel nimmt Bleyer die Perspektive des "Volks" ein. Dieses habe sich in der "Umbruchszeit" um 1800 einem immer stärkeren Zugriff des "Steuer- und Musterungsstaats" ausgesetzt gesehen, wogegen es sich teilweise heftig wehrte (188). Derartige "traditionelle soziale Proteste" seien im Nachhinein als "national motivierter Kampf" etikettiert worden (236f.). Das Verhalten gegenüber feindlichen Invasoren hing laut Bleyer von deren konkretem Verhalten ab. In Spanien und Russland hätte die Bevölkerung "mit allen Mitteln" versucht, "ihre Ressourcen zu verteidigen" (214). Dabei ging es ihr um den Schutz der "eigenen, unmittelbaren Heimat" und nicht um "ein vages Vaterland" (209). Der militärische Wert von Freiwilligen und Milizen sei von den Zeitgenossen höchst unterschiedlich bewertet worden, viele "beim ersten Gefecht" auseinandergelaufen (201).
Der Vergleich der "Volkskriege" zeigt für Bleyer vor allem einen Unterschied zwischen Spanien und Mitteleuropa. Während die iberische Halbinsel von 1808 bis 1813 in französischer Hand war, dauerten die Feldzüge 1809 und 1813 in Mitteleuropa nur wenige Monate (217). "Wirksamer Widerstand" seitens der Bevölkerung sei in dieser kurzen Zeit gar nicht zu organisieren gewesen. Nur bei längerer Besatzung hätte zudem der Konflikt zwischen Napoleons Truppen und den Einheimischen um die vorhandenen Ressourcen wie in Spanien eskalieren können (218). Außerdem hätten sich die verbündeten Regierungen explizit bemüht, "den propagierten Volkskrieg unter strikter Kontrolle von oben" zu führen. Zwar sei der "Befreiungskrieg [...] unter Mobilisierung der nationalen Ressourcen" verlaufen, aber er sei eben "ge-'führt" worden und "führbar" gewesen (219).
Bleyer bringt damit deutlich die Problematik des staatlich kontrollierten "Befreiungskrieges" auf den Punkt, der aus heutiger Sicht wie ein Widerspruch in sich wirkt. Die Abhandlung arbeitet überzeugend die Skrupel heraus, welche Napoleons Gegner beim Versuch, sich "revolutionärer Methoden" zu bedienen, befielen. Auch die Heterogenität des Verhaltens der Bevölkerung wird deutlich: Teilweise blieb sie neutral und desinteressiert, teilweise wurde sie erfolgreich vom Staat einbezogen oder wirkte freiwillig am Kampf gegen Napoleon mit, wenngleich nicht aus nationalen Motiven.
Angesichts der durchaus uneinheitlichen Befunde fällt Bleyers Fazit überraschend eindeutig aus: "Dem Volkskrieg fehlte vor allem eines: das Volk" (238). In diesem Zusammenhang zitiert die Autorin unreflektiert Hans-Ulrich Wehlers Fundamentalkritik am "Mythos vom Aufbruch des Volkes" (237) aus dem Jahr 1987. Dies verwundert, weil sie an anderer Stelle eine Einschätzung Ralf Pröves von 2006 übernimmt, nach der "die forscherliche Anerkennung eines wie auch immer gearteten Engagements der Menschen" (193) insgesamt überwiegt. Diese Sicht entspricht dem heutigen Forschungsstand eher. Fehlende nationalistische Motivation nimmt den antinapoleonischen Kriegen ab 1808 keineswegs ihren besonderen Charakter. Der "Mythos Volkskriege" hat durchaus einen wahren Kern. Dies hätte die Autorin stärker herausarbeiten sollen, was den Wert ihrer Darstellung als Einstiegs- oder Überblickslektüre aber nicht schmälert.
Sebastian Dörfler