Rudolf Boch / Rainer Karlsch (Hgg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex. Band 1: Studien, Berlin: Ch. Links Verlag 2011, 699 S., ISBN 978-3-86153-653-6, EUR 39,90
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Rudolf Boch / Rainer Karlsch (Hgg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex. Band 2: Dokumente, Berlin: Ch. Links Verlag 2011, 388 S., ISBN 978-3-86153-654-3, EUR 34,90
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Juliane Schütterle: Kumpel, Kader und Genossen: Arbeiten und Leben im Uranbergbau der DDR. Die Wismut AG (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010, 297 S., ISBN 978-3-506-76922-0, EUR 34,90
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Rainer Karlsch: Uran für Moskau. Die Wismut - Eine populäre Geschichte, Berlin: Ch. Links Verlag 2007
Zu den Reparationslasten, die die SBZ/DDR nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu tragen hatte, gehörten auch die Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG), die primär für die Sowjetunion produzierten und der sowjetischen Kontrolle und Leitung unterstanden. Diese Betriebe, vornehmlich aus dem Stein- und Braunkohlebergbau, der Stahl- und Hüttenindustrie und dem Maschinenbau gab die östliche Besatzungsmacht erst 1953/54 an den ostdeutschen Satellitenstaat zurück. Einzige Ausnahme blieb die Wismut AG bzw. ab 1954 die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut. Der Uranbergbau in Sachsen und Teilen Thüringens, der in den ersten Nachkriegsjahren unter katastrophalen Bedingungen intensiviert wurde, hatte für die Moskauer Führung oberste Priorität. Denn das in den ostdeutschen Lagerstätten gewonnene Uranerz diente dem sowjetischen Atombombenprogramm. Hier befand sich die UdSSR gegenüber den USA im Hintertreffen: Der amerikanische Vorsprung im atomaren Wettstreit konnte erst 1949 mit der Zündung einer eigenen Atombombe egalisiert werden. Mit der Erschließung neuer, rentabler Uranerzvorkommen sowie im Zuge der Mechanisierung der Gruben verringerte sich die Bedeutung der im Erzgebirge lagernden Schachtanlagen ab Mitte der 1950er Jahre. Unrentable Schachtanlagen wurden daraufhin geschlossen; der extrem hohe Arbeitskräftebedarf sank.
Die ökonomischen Folgelasten waren zu DDR-Zeiten beträchtlich: So wurden Arbeitskräfte aus vielen Betrieben für die Wismut abgeworben oder sogar abkommandiert. Knappe Ressourcen flossen zunächst in den Uranbergbau und erst danach in die übrigen Wirtschaftszweige. Darüber hinaus musste die wachsende Zahl an Strahlenopfern medizinisch versorgt werden; viele Arbeiter konnten ihren Beruf nicht mehr ausüben. Zu den langfristigen Folgen zählt aber auch die erhebliche Umweltbelastung. Schachtanlagen, Abraumhalden und Verarbeitungsrückstände legen teilweise immer noch Zeugnis von diesem gigantischen Uranprojekt ab. Schließlich belastete die Existenz der Wismut auch noch das Verhältnis zwischen ostdeutscher Bevölkerung einerseits sowie Besatzungsmacht und SED andererseits. Die Praxis des Uranbergbaus delegitimierte nicht unwesentlich die vom Kreml gestützte SED-Herrschaft.
Zur Geschichte der Wismut AG/SDAG Wismut liegt jetzt ein umfangreicher Sammelband vor, der den Anspruch erhebt, die historische Entwicklung des Uranbergbaus in der DDR in vergleichender Perspektive zu analysieren. In Kooperation mit russischen Historikern konnten dabei bislang unzugängliche Quellenbestände in Moskauer Archiven für das Projektvorhaben ausgewertet werden. Ein weiteres Standbein der Quellenrecherche bildeten insbesondere die Bestände des Unternehmensarchiv der Wismut GmbH. Einer der Herausgeber, Rainer Karlsch, hat bereits in den vergangenen Jahren einige Bücher zu diesem Thema verfasst und gilt als ausgewiesener Experte. Die im Band versammelten zwölf Autoren beschäftigen sich mit Themenfeldern, die bisher noch nicht oder erst ansatzweise untersucht worden sind. Dabei soll die Geschichte der Wismut aus drei Blickwinkeln analysiert werden: "aus Sicht des sowjetischen Aktionärs, der ostdeutschen Politiker und Wirtschaftsfunktionäre und der Mitarbeiter des Betriebes" (15).
Der Sammelband zerfällt in zwei ungleiche Teile. Während im ersten, umfangreicheren Teil politik- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte im Vordergrund stehen, geht der zweite Teil primär sozial- und alltagsgeschichtlichen Fragen nach. Zunächst untersucht Wladimir Sacharow die Entstehung des sowjetischen Atomprogrammes und die Bedeutung der Wismut für die Moskauer Führung im Atomwettlauf mit den USA. In seinem Beitrag, der sich in großem Umfang auf bisher unbekannte Dokumente aus dem ehemaligen sowjetischen Atomministerium stützt, stellt Sacharow die beteiligten Akteure und Institutionen vor. 1949 arbeiteten mindestens 680.000 Menschen "direkt oder indirekt, freiwillig oder gezwungenermaßen" (59) am Bau der ersten sowjetischen Atombombe mit. Darunter befanden sich Tausende GULag-Häftlinge. Die herausragende Bedeutung der Wismut für die Sowjetunion lässt sich an den Uranlieferungen ablesen: Während die ostdeutschen Betriebe zwischen 1946 und 1950 knapp 2.500 Tonnen Uran in die UdSSR lieferten, konnten innerhalb der Sowjetunion nur 1.072 Tonnen Uran gefördert werden. Allein 59 Prozent der gesamten Uranförderung im Ostblock entfiel 1950 auf die Wismut. Nur mit Hilfe dieser Liefermengen gelang es Moskau, das angestrebte Kernwaffenprogramm zu realisieren. In den nachfolgenden Jahrzehnten sank die Bedeutung der Wismut, deren Anteil an der Uranförderung im Ostblock 1980 nur noch bei 21 Prozent lag. Trotz "harter Verwaltung" durch die sowjetischen Stellen stellte die Wismut "keine Wiederholung der Geschichte des sowjetischen GULag-Systems dar" (98). Dieses Urteil bestätigt auch Juliane Schütterle in ihrem Aufsatz über die betriebliche Sozialpolitik im sächsischen Uranbergbau. Nachdem in der Anfangszeit Zwangsmittel zur Gewinnung von Arbeitskräften eingesetzt worden waren, musste die sowjetische Betriebsleitung schon bald erkennen, dass sich ein Unternehmen wie die Wismut als Arbeitslager nicht erfolgreich führen ließ. Um die gesteckten Produktionsziele zu erreichen, ging man noch Ende der 1940er Jahre dazu über, Arbeitskräfte mit materiellen Anreizen zu gewinnen und an die Wismut zu binden. Damit gehörten die Wismut-Arbeiter schon bald zu einer privilegierten Beschäftigtengruppe in der DDR.
Rainer Karlsch und Manuel Schramm verfolgen eine dezidiert vergleichende Perspektive. Karlsch untersucht den Uranbergbau in Afrika (Belgisch-Kongo, Südafrika), Nordamerika (USA, Kanada) und Osteuropa. Auf diese Weise will er die Geschichte der Wismut in die Geschichte der Uranerzgewinnung während des Kalten Krieges einbetten. In diesem Zeitraum war die DDR weltweit der viertgrößte Uranproduzent. Er verweist unter anderem darauf, dass die USA schon während des Zweiten Weltkriegs über einen Standortvorteil gegenüber der Sowjetunion verfügten, denn sie hatten Verträge mit den damals wichtigsten Uranerzbergbaugesellschaften der Welt abgeschlossen. Die UdSSR konnte die sogenannte Uranlücke erst nach Kriegsende durch den Zugriff auf die Uranressourcen im Erzgebirge schließen. Die amerikanischen Uranverträge wirkten sich nach Ansicht von Karlsch auch stabilisierend auf die innenpolitischen Verhältnisse in den Produktionsländern aus: Kolonialismus und Apartheid seien dadurch zementiert worden. Stärker noch als Belgisch-Kongo habe das Regime in Südafrika von Krediten und technischer Hilfe der USA und Großbritanniens profitiert. Dagegen beschleunigte die sowjetische Urannachfrage in der ČSR "die Transformation des Landes in ein kommunistisches Regime" (155). Karlsch betont aber auch Gemeinsamkeiten. So sei der fahrlässige Umgang mit den Hinterlassenschaften des Uranbergbaus für die Branche weltweit typisch gewesen. Sowohl in den USA als auch in der DDR sei Haldenmaterial in erheblichen Maße als Baustoff verwendet worden. Die Beseitigung der Wismut-Altlasten musste das vereinte Deutschland ab Anfang der 1990er Jahre übernehmen; die Kosten beliefen sich bis Ende 2010 auf insgesamt 5,4 Milliarden Euro.
Schramm analysiert quellenfundiert den Strahlenschutz in beiden deutschen Staaten. Der Uranbergbau besaß in der Bundesrepublik zwar eine geringere Rolle als in der DDR, was vor allem damit zusammenhing, dass es kaum wirtschaftlich bedeutende Rohstoffvorkommen gab. Dennoch bietet sich in diesem Fall eine vergleichende Betrachtung an, da die Einführung von Strahlenschutznormen in beiden Ländern fast parallel erfolgte. Außerdem orientierten sich Bonn und Ost-Berlin an den Empfehlungen internationaler Organisationen. Problematisch war nicht die Normfestsetzung, sondern die Umsetzung und Kontrolle der wissenschaftlich begründeten Normen. In Westdeutschland gab es aufgrund der mangelhaften Überwachung der Bergbaubetriebe bis in die 1970er Jahre "gravierende Defizite in der Strahlenschutz-Praxis" (327). Da in der Bonner Republik lange Zeit nur auf die ökonomische Rentabilität der Betriebe geachtet wurde, geriet der Sicherheitsaspekt zunächst in den Hintergrund. Die im Zuge des Uranbergbaus auftretende Umweltverschmutzung und Strahlenbelastung wurde in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren kontrovers diskutiert, in der DDR (unter den Rahmenbedingungen einer Diktatur) erst zaghaft in den 1980er Jahren.
Zwei Beiträge des Sammelbandes widmen sich einerseits dem Alltagsleben der sogenannten sowjetischen Spezialisten und andererseits den Alltagserfahrungen weiblicher Beschäftigter in der Wismut. Tatiana Timofeewa betont die "strenge Isolierung" (497) der sowjetischen Mitarbeiter von der DDR-Bevölkerung. Nach Auswertung von Zeitzeugeninterviews gelangt sie zu dem Schluss, dass ein großer Teil dieser Mitarbeiter die Arbeitsbedingungen gar nicht einmal als Belastung empfunden habe, da die Lebensverhältnisse und Konsummöglichkeiten im Erzgebirge ungleich besser gewesen seien als in ihrer Heimat. Rund zehn Prozent der Wismut-Belegschaft waren Frauen. Elke Scherstjanoi untersucht die Erwerbsarbeit von Frauen und deren Emanzipation im Uranbergbau. Sie unterstreicht anhand von insgesamt 25 durchgeführten und ausgewerteten Interviews den "hohen Stellenwert von Berufstätigkeit schlechthin und von weiblicher Berufstätigkeit im Besonderen" (578). Die befragten Frauen, deren Auswahl "nach einem groben regionalen Raster" (541) erfolgte, bewerteten ihre Zeit bei der Wismut rückblickend als sozialen Aufstieg.
Insgesamt handelt es sich um einen Band, der erklärtermaßen keine Gesamtschau bieten will, sondern vielmehr Ergebnisse zu bislang unbekannten Aspekten der Geschichte des Uranbergbaus liefert. Damit bereichert er unser Wissen über die Wismut AG. Die angekündigte vergleichende Perspektive wird jedoch nur in einzelnen Beiträgen ansatzweise aufgegriffen. Der Sammelband wird durch einen Dokumentenband ergänzt, der dem Leser zahlreiche russische Quellen erstmals in deutscher Übersetzung und mit einem textkritischen Apparat zugänglich macht. Dadurch erhöht sich noch einmal der wissenschaftliche Wert des Gesamtwerkes. Die Nutzung des Dokumentenbandes wird allerdings dadurch beeinträchtigt, dass der Band weder ein Personen- noch ein Sachregister enthält, was bei der Thematik durchaus angebracht gewesen wäre.
Kurz vor der Fertigstellung des zweibändigen Werkes erschien die Dissertation von Juliane Schütterle, auf deren Ergebnissen ihr bereits vorgestellter Beitrag weitgehend beruht. In der Studie untersucht sie den Arbeitsalltag der ostdeutschen Kumpel im Uranbergbau und die sozialpolitischen Maßnahmen der DDR zugunsten dieser Berufsgruppe. Die Autorin geht von der bekannten Annahme aus, dass es in der DDR Dichotomien "von Parteidiktatur und Arbeiterexistenz, von Konfliktlagen und Arrangements" gegeben habe und stützt sich dabei auf die Studien von Alf Lüdtke und Thomas Lindenberger. Als Untersuchungsgegenstand wählt sie die Sozialpolitik aus, um den Vermittlungsprozess in der staatssozialistischen Gesellschaft zwischen "oben" und "unten" erläutern zu können. Schütterle hat die Wismut als "Mikrokosmos" unter die Lupe genommen und fragt danach, ob sich "aus dem explosiven Gemisch der massenhaft zugewanderten Uranbergleute eine [...] loyale Belegschaft" (16) konstituierte. Dazu analysiert sie im Einzelnen die lohn-, konsum-, kultur-, gesundheits- und frauenpolitischen Maßnahmen und deren Folgen. Als Quellengrundlage dient ihr nicht nur das relevante Archivgut - vor allem im Bundesarchiv, im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz und im Unternehmensarchiv der Wismut GmbH. Darüber hinaus hat sie 14 lebensgeschichtliche Interviews mit ehemaligen Wismut-Arbeitern ausgewertet.
In der Wismut war die Gewerkschaft verantwortlich für die Durchführung sozialpolitischer Maßnahmen. Der Organisationsaufbau verlief zwar parallel zu dem der SED-Parteiorganisation vor Ort, war aber von Anfang an mit gravierenden Problemen behaftet. So gab es Kompetenzkonflikte mit der Generaldirektion des Unternehmens und der SED-Gebietsleitung. Schütterle konstatiert einerseits, dass sich die Industriegewerkschaft (IG) Wismut schon Anfang der 1950er Jahre bereitwillig mit der Rolle als Transmissionsriemen abgefunden habe. Andererseits verweist sie auf die Erfolge der Gewerkschaftsarbeit. Dazu zählt insbesondere der Feriendienst der IG Wismut, der über Erholungsheime und Ferienplätze "von Usedom bis Oberwiesenthal" (255) verfügte. Das Ostseebad Zinnowitz stand fast nur Beschäftigten der Wismut zur Verfügung, die generell auch noch durch kürze Wartezeiten privilegiert waren. Darüber hinaus war das betriebliche Gesundheitswesen der Wismut "modern und mustergültig" (255). Gleichzeitig hebt die Autorin die große Anzahl bergbauspezifischer Krankheiten (Silikose, Bronchialkrebs etc.) hervor und betont, dass Arbeitsschutz- und Sicherheitsbestimmungen oft nicht eingehalten worden seien. Bei der Verschleierung von Arbeitsunfällen hätten Arbeiter, Brigadiere und Sicherheitspersonal oftmals an einem Strang gezogen. Schütterle kommt abschließend zum Ergebnis, dass sich im Uranbergbau ein "spezifisches Milieu mit eigenen sozialen Regeln und Mechanismen der Interessendurchsetzung" (258) herausgebildet habe. Den Wismut-Arbeitern mag sie aber keine missmutige Loyalität (Alf Lüdtke) attestieren; diese seien mit ihrer Situation - trotz zahlreicher Konflikte - doch zufrieden gewesen.
Schütterle hat insgesamt eine überzeugende Studie vorgelegt. Kritisch kann angemerkt werden, dass Ausführungen zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der Altersversorgung in der Wismut fehlen. In der DDR-Einheitssozialversicherung gab es bekanntlich deutlich höhere Rentenleistungen für Bergarbeiter. Des Weiteren vermisst man Angaben zur sozialen Zusammensetzung der Wismut-Arbeiter, die in der Untersuchung beinahe nur als amorphe Masse erscheinen. Bei der Quellenrecherche ist im Übrigen der Bestand des Ministeriums für Arbeit und Berufsausbildung leider unberücksichtigt geblieben. Diese Monita schmälern allerdings nicht den positiven Gesamteindruck der Studie.
Dierk Hoffmann