Pierre-Vincent Claverie: Honorius III et l'Orient (1216-1227). Étude et publication de sources inédites des Archives vaticanes (ASV) (= The Medieval Mediterranean; Vol. 97), Leiden / Boston: Brill 2013, XIII + 502 S., ISBN 978-90-04-24559-4, EUR 164,00
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In der Forschung ist Papst Honorius III. gemeinhin an seinem Vorgänger Innocenz III. und seinem Nachfolger Gregor IX. gemessen worden, wobei das Urteil über seine Leistung stets zurückhaltend ausfiel. Sein Pontifikat wurde als "Durchgangsstation" (Hermann Dilcher) zwischen den Amtszeiten dieser beiden bedeutenden Päpste betrachtet, originäre Leistungen sprach man ihm allein im Bereich der Förderung der Mendikantenorden, namentlich der Franziskanergemeinschaft, zu. Der einmal gewonnene Eindruck trug seinen Anteil dazu bei, dass sich vergleichsweise wenige Forscher intensiv mit der Person und dem Handeln des Papstes auseinandersetzten. Umso begrüßenswerter ist es, dass sich Pierre-Vincent Claverie mit seiner Publikation einem wichtigen Ausschnitt aus dem Wirken Honorius' III. zuwendet: er nimmt in seiner Darstellung die Politik des Papstes hinsichtlich des östlichen Mittelmeerraums in den Blick. Dabei geht es dem Verfasser zunächst und vor allem um das Heilige Land und die von Honorius betriebene Rückeroberung desselben durch ein Kreuzzugsheer. Diesem Raum und Vorhaben ist auch ein Anhang gewidmet, der insgesamt 150 Dokumente aus dem Register des Papstes enthält und seiner inhaltlichen Ausrichtung entsprechend von Claverie als Bullarium Terrae Sanctae bezeichnet wird. Allerdings spannt der Autor den geographischen Horizont weiter über die Levante hinaus, wenn er auch im Quellenteil, insbesondere aber in der Darstellung selbst andere Regionen einbezieht und den "Osten" aus päpstlicher Perspektive insgesamt als Gebiet versteht, das von der Adria bis in die Wüste Negev reicht (79).
In seiner Einleitung (1-21) zeichnet der Autor zunächst die Ausgangslage unter Innocenz III. nach: die vom Papst initiierten Bemühungen zur Verteidigung der Kreuzfahrerstaaten im Osten, aber auch des lateinischen Kaiserreichs, das im Zuge des nach Konstantinopel umgelenkten vierten Kreuzzugs entstanden war; die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen dem Papsttum und den östlichen Kirchen, der griechischen wie der armenischen; die politischen und diplomatischen Beziehungen zu den muslimischen Herrschaftsbereichen im Osten, aber auch die konkreten Kreuzzugspläne, die einen neuerlichen Aufbruch christlicher Heere ins Heilige Land für den Sommer 1217 anvisierten - all dies bildete das Erbe, das der Segni-Papst seinem Nachfolger Cencius, dem vormaligen Kämmerer hinterließ, der als Honorius III. im Juli 1216 die cathedra Petri bestieg. Seine Aufgabe war es, den im Kinderkreuzzug von 1212 und dem im gleichen Jahr erfolgten Sieg bei Las Navas de Tolosa ventilierten religiösen Eifer und Kampfgeist auf das ursprüngliche Ziel der Befreiung der Heiligen Stätten zu richten.
Der Umsetzung dieses Vorhabens wenden sich die folgenden insgesamt fünf Abschnitte zu. Den Anfang macht die Darstellung der Organisation und Durchführung des fünften Kreuzzugs einschließlich des Scheiterns des Unternehmens (23-77), für das hier im Unterschied zur zumeist in der Forschung vertretenen Position weder Honorius III. noch sein Kardinallegat Pelagius von Albano, sondern insbesondere Friedrich II. mit der bewusst verzögerten Einlösung seines Kreuzzugsversprechens verantwortlich gemacht wird. Ein zweiter Abschnitt thematisiert die päpstlichen Anstrengungen zur Sicherung des Fortbestandes des lateinischen Kaiserreichs und des Königreichs Thessaloniki, der von den Byzantinern einerseits und der Rivalität der Fürsten untereinander andererseits bedroht war, und schließt auch die Darstellung der Organisation des sechsten Kreuzzugs ein (79-133). Der insbesondere mit den Mitteln der Pfründenvergabe, der Bistumsbesetzung und der päpstlichen Rechtsprechung teils durch Legaten vor Ort betriebenen Politik gegenüber der lateinischen Kirche des Ostens wendet sich der dritte Abschnitt zu (135-192), an den sich die Behandlung der Versuche Honorius' III. zur Einbindung der östlichen Kirchen anschließt (193-233). Im fünften und letzten Abschnitt rückt das Verhältnis des Papstes zu den Ritterorden ins Zentrum der Betrachtung (235-270). Dabei werden nicht nur die Beziehungen zu den Templern, Johannitern und Deutschordensrittern im Heiligen Land behandelt, sondern auch die Herrschaftsbildung der Letztgenannten im Burzenland und in Preußen gestreift. Hier wie auch in den anderen Abschnitten spiegeln die Quellen deutlich wider, dass die Gegner der lateinischen Christen oft sie selbst und nicht die Muslime waren, denen man das Heilige Land eigentlich abringen wollte. Eine knappe Zusammenfassung (271-278), das Bullarium Terrae Sanctae (279-478) und eine Bibliographie (479-492) beschließen den Band, der leider nur durch ein Personen- und nicht zusätzlich auch durch ein Ortsregister erschlossen wird (493-502).
Der Autor erliegt zwar nicht der Versuchung, das Bild des Protagonisten seiner Darstellung einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Grundsätzlich schätzt er das Vorgehen und die Leistung Honorius' III. aber positiver ein, als es die Forschung bislang tat. Bisweilen wirkt das bemüht, etwa dann, wenn er Honorius auf der Basis eines an Friedrich II. gerichteten päpstlichen Mahnschreibens eine Deutlichkeit attestiert, die ihm von der die Nachsicht gegenüber dem Stauferkaiser betonenden Forschung abgesprochen worden sei (72f.), mit der er aber seine Forderungen gegenüber Friedrich letztlich auch nicht durchsetzen konnte. Insgesamt erscheint der Papst auch in dieser Darstellung vor allem als Vollender von Plänen und Konzepten, die auf Innocenz III. oder gar dessen Vorgänger zurückzuführen sind. Zweifel erheben sich außerdem, ob das Bild einer "Banalisierung des Kreuzzugs" (17) unter Innocenz III., der Begriff und Idee auf die Kriege gegen Markward von Annweiler und die Katharer in Südfrankreich ausdehnte, dazu geeignet ist, dem historischen Phänomen gerecht zu werden - die Anwendung ursprünglich enger gefasster Konzepte auf Feinde des Papsttums und der Kirche im Allgemeinen lässt sich auch in anderen Zusammenhängen, etwa beim Häresievorwurf, nachweisen und sollte weniger wertend berücksichtigt werden.
Ein großer Vorzug der Darstellung ist zweifellos ihre Quellennähe. Allerdings gewinnt der Text oft eher summarischen als analytischen Charakter: Einträge aus dem Register, auf die sich der Autor vor allem stützt, werden in der Abhandlung nacheinander referiert. An mehreren Stellen des Buches hätte man sich eine intensivere Auseinandersetzung mit Positionen insbesondere der deutschsprachigen Forschung gewünscht, die im Literaturverzeichnis im Verhältnis zur französischen und englischen deutlich unterrepräsentiert ist. Auch in der Edition der 150 Dokumente aus den Registern Honorius' III. hätte der Autor noch auf den ein oder anderen Drucknachweis verweisen sollen. Mehrere Schreibfehler in der Transkription lassen eine mangelnde redaktionelle Sorgfalt erkennen; das Gleiche gilt für die Kopfregesten, die den Inhalt des betreffenden Stücks nicht immer genau wiedergeben. So bleibt am Ende der Lektüre ein gemischter Eindruck: Der Text und die Edition greifen an vielen Stellen zu kurz, bieten aber einen durchaus nützlichen Überblick über die auf den "Osten" gerichtete Politik eines Papstes, der nach wie vor im Schatten insbesondere seines Vorgängers steht.
Andreas Fischer