Eckhard Leuschner / Thomas Wünsch (Hgg.): Das Bild des Feindes . Konstruktion von Antagonismen und Kulturtransfer im Zeitalter der Türkenkriege. Ostmitteleuropa, Italien und Osmanisches Reich, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2013, 512 S., 169 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2684-3, EUR 79,00
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Die Konstruktion von Feindbildern wird seit einigen Jahren in der kunsthistorischen Forschung rege und insbesondere mit Bezug auf das osmanische Reich diskutiert. Gegenwärtig erfährt der kulturelle Austausch mit dem wachsam beobachteten Opponenten verstärkte Aufmerksamkeit. Zahlreiche Ausstellungen wie beispielsweise über Venedig und die islamische Welt (2005/2006 Paris, New York, Venedig) oder über Gentile Bellinis Aufenthalt in Istanbul (2006/2007 Boston, London) belegen darüber hinaus ein beträchtliches öffentliches Interesse. Weitere Aspekte des Themas wird eine Konferenz in Istanbul im Herbst 2014 erhellen, die sich mit den Metropolen Istanbul, Wien und Venedig als Brennpunkten des Zusammentreffens zwischen Nahost und West beschäftigen wird. Dieses ungebrochene Interesse mag vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass aktuelle Feindbilder strukturelle Ähnlichkeiten zu jenen der Vergangenheit aufweisen und überholte Klischees nach wie vor den Umgang mit fremden Religionen und Kulturen beeinflussen. Wie eine im April 2014 an der Harvard University veranstaltete Konferenz herausstellte, scheinen sogar die Erforschung und museale Präsentation der osmanischen Welt vor der prägenden Wirkung dieser bereits als überkommen identifizierten Sichtweisen nicht gefeit.
Der frühneuzeitliche Konflikt zwischen dem "christlichen" Europa und dem osmanischen Reich ist auch Gegenstand des 2013 von Eckhard Leuschner und Thomas Wünsch herausgegebenen Sammelbandes "Das Bild des Feindes. Konstruktion von Antagonismen und Kulturtransfer im Zeitalter der Türkenkriege". Der 512 Seiten schwere, vierteilige Tagungsband umfasst die Beiträge zweier Konferenzen, die 2009 an der Universität Passau und der Bibliotheca Hertziana in Rom von Kunsthistorikern und Historikern veranstaltet wurden. Anliegen des Bandes war es gemäß den Herausgebern, Mechanismen, Traditionen und Funktionen von Feindbildern in Verbindung mit dem osmanischen Reich zu diskutieren. Zentrale Themen waren dabei der identitätsstiftende Nutzen von Feindbildern als auch die Relation von Konflikt und Kulturtransfer.
Der erste Teil widmet sich den Osmanen in der Wahrnehmung Mittel- und Osteuropas und damit der "klassischen Sichtweise". Interessant ist hier die Bündelung von Aufsätzen, die sich mit der Türkenabwehr als Katalysator nationaler Identität unter diversen länder- und kulturspezifischen Voraussetzungen beschäftigen. So legt zum Beispiel Martin Wrede in seinem Aufsatz (19-31) dar, wie Kaiser Leopold I. nach der Niederlage der Türken 1683 zur "nationale[n] Identifikationsfigur gegenüber türkischer Gewalt, französischer Hinterlist und polnischem Wankelmut" stilisiert werden konnte, sodass Konfessionsgrenzen vorübergehend verwischten. Nenad Moačanin analysiert in seinem Beitrag (51-54) das stark differenzierte türkische Feindbild im kroatischen Raum im 17. und 18. Jahrhundert: Während in Gebieten unter Habsburgerherrschaft der Türke als Barbar und Christenfeind wahrgenommen wurde, ordnete man sich in Handelszentren wie Dubrovnik pragmatisch der Macht des Sultans unter. In Dalmatien und Herzegowina richtete sich das Feindbild religionsunabhängig gegen jeden, der den Kodex der dort ansässigen Hirtengesellschaften missachtete. Trotz aller Differenziertheit führte die Konfrontation mit den Türken zur Bildung der Grundlagen und Identität des heutigen Kroatien.
Thema des zweiten Teils sind anderweitige Konfliktherde in Mittel- und Osteuropa zur Zeit der Türkenkriege, wie zum Beispiel die Positionierung Russlands im 16. und 17. Jahrhundert. Endre Sashalmi geht in seinem Beitrag (163-173) den religiösen Ursprüngen der Aversion der Muskoviten gegenüber ihren polnisch-litauischen Nachbarn nach, die man als Repräsentanten der "lateinischen Häresie" gegenüber dem eigenen orthodoxen Glauben wahrnahm. Dagegen stellt Thomas Wünsch (199-212) die Bereitschaft Russlands heraus, innerhalb eines "gemeinsamen Hauses der Christenheit" vereinigt mit den Katholiken gegen die osmanische Invasion vorzugehen. Beiträge wie diese zeigen, dass sich während der Türkenkriege nicht nur zwei verfeindete Parteien gegenüberstanden, sondern dass Feinde auch zwischen und neben den Schlachtlinien zu finden waren. Abgrenzungen zum osmanischen Feind konnten sowohl eng über den christlich-orthodoxen Glauben oder auch konfessionsübergreifend über das Christentum definiert werden.
Der klassischen Sicht des ersten Teils steht im dritten Teil eine "umgekehrte Perspektive" gegenüber, die osmanische Sichtweisen auf Europa erörtert. Mehrere Aufsätze beschäftigen sich darüber hinaus mit dem Thema Kulturtransfer. Suraiya Faroqhi gibt in ihrem Aufsatz (215-232) einen Überblick über die Forschungslandschaft am Beispiel der Beziehungen zwischen Osmanen und Venezianern. Erst in den letzten zwanzig Jahren ist die umgekehrte Perspektive in den Blickpunkt der Forschung gerückt und das Interesse türkischer Kollegen an der gemeinsamen Diskussion gewachsen. Dennoch ist der historische Vergleich zwischen osmanischen und westlichen Sichtweisen nach wie vor problematisch, da beiden Parteien offenbar andere Aspekte der Interaktion wichtig schienen. Interaktion erschöpfte sich nicht in Handelsbeziehungen. So thematisiert beispielsweise Klaus Kreiser (245-251) soziale Räume der Begegnung zwischen Muslimen und Christen in osmanischen Städten, während Turgut Saner (295-302) die Übernahme westlicher Stile durch die osmanische Kunst in der Tulpenzeit (1718-1732) diskutiert.
Der vierte Teil widmet sich "Antagonismen im Fokus der Kunstbeziehungen". Während hier erwartungsgemäß kunsthistorische Themen dominieren, sind diese im zweiten und dritten Teil deutlich unterrepräsentiert. Diese "Aussonderung" scheint für eine interdisziplinäre Herangehensweise eher hinderlich. Überdies ist der Begriff "Antagonismus" so allgemein gefasst, dass die Beiträge sehr heterogen sind. Nur schwerlich lassen sich Verbindungen ziehen zwischen der von Eckhard Leuschner (305-320) untersuchten Wirkungsgeschichte von Raffaels Fresko "Leo und Attila", Marina Dmitrievas Aufsatz (321-335) über Türkenmummereien im Festwesen Osteuropas oder Ulrich Heinens Analysen (355-447) von Peter Paul Rubens' Gemälden mit orientalischem Hintergrund. Auch wird nicht klar, weshalb letztgenannter Beitrag über 90 Seiten umfasst, während andere Aufsätze durchschnittlich rund 15 Seiten zählen. Zwar wird so Rubens' Ideenreichtum und Flexibilität im Umgang mit dem Thema bewusst, doch wäre im Rahmen eines Sammelbandes sicher interessant gewesen, wie andere Künstler mit ähnlichen Fragestellungen umgingen.
Während die Heterogenität der Beiträge im vierten Teil nicht direkt nachvollziehbar ist, zieht in den ersten drei Teilen die Entscheidung, diverse geografische Regionen und Standpunkte zu thematisieren, eine Vielschichtigkeit nach sich, die das Buch für Forschungsarbeiten zum Thema Feindbild und Kulturtransfer unverzichtbar macht. Insbesondere hinsichtlich des identitätsstiftenden Nutzens von Feindbildern unter diversen kulturellen Voraussetzungen enthält der Band interessante Diskussionen, die darin zusammenführen, dass die Auseinandersetzung mit den Osmanen in Europa für ein gemeinsames Bewusstsein gesorgt hat. An vielen Stellen des Tagungsbandes wird deutlich, dass Feindbilder zwar häufig von Stereotypen geprägt, aber dennoch wandelbar sind. Diese Formbarkeit geht einher mit der wechselnden Gewichtung von Konflikt und Kulturtransfer, die nach wie vor eine bedeutsame Rolle im interkulturellen Umgang spielen und das Thema so aktuell machen.
Saskia Jogler