Anke Kappler: Johann Joseph Couven (1701-1763). Architekturentwürfe für Stadt, Adel und Kirche (= Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege; 73), Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft 2009, 287 S., 1 DVD, zahlr. Abb., ISBN 978-3-88462-278-0, EUR 39,00
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Astrid Lang: Die frühneuzeitliche Architekturzeichnung als Medium intra- und interkultureller Kommunikation. Entwurfs- und Repräsentationskonventionen nördlich der Alpen und ihre Bedeutung für den Kulturtransfer um 1500 am Beispiel der Architekturzeichnungen von Hermann Vischer d. J., Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012
Anke Kapplers Buch über den Architekten Johann Joseph Couven, 1701 in Aachen geboren, wo er 1739 zum Stadtarchitekten und 1742 zum Stadtsekretär avancierte und 1763 verstarb, ist sicherlich eine wertvolle Ergänzung für die lokale Forschung zur niederrheinischen Barockarchitektur. [1] Weil sich die Autorin aber beinahe ausschließlich mit dem einmalig dichten grafischen Nachlass des Architekten auseinandersetzt - das bauliche Œuvre ist aufgrund von Kriegs- und Nachkriegsverlusten stark reduziert - und intensives Quellenstudium zu den einzelnen Bauprojekten betreibt, thematisiert sie quasi im Nebenher anhand eines regional begrenzten Beispiels viele aufschlussreiche Phänomene des Architekturbetriebs in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die von allgemeinem, überregionalem Interesse sind. Kappler legt eine solide, gut recherchierte und informationsreiche Arbeit vor, die vor allem den hohen Stellenwert des Mediums Architekturzeichnung für die kunsthistorische Forschung klar hervortreten lässt. Sie präsentiert an einzelnen Beispielen die vielseitigen Beweggründe, die zur Entstehung dieser besonderen Quellenart beitrugen, und zeigt so, wie produktiv das Medium Architekturzeichnung auch für stadt-, gesellschafts-, rechts- und wirtschaftshistorische etc. Forschungen genutzt werden kann. Couvens Œuvre wird detailliert in Form quellengestützter Entwurfs- und Baugeschichten unter Berücksichtigung der Auftraggeber, der topografischen Situation und der historischen Umstände - wie etwa des Aachener Kongresses von 1748 - präsentiert und räumlich und stilistisch analysiert. Wohl dem Format der klassischen Architektenmonografie geschuldet ist das Fehlen räumlich weiter gespannter Überlegungen, die über den unmittelbaren Schaffensbereich Couvens im Grenzgebiet Belgiens, der Niederlande und Deutschlands und über seine Kontakte zu Architektengrößen wie Johann Conrad Schlaun hinausgehen, um sein Werk in einen größeren, europäischen Kontext zu stellen - was etwa in Bezug auf Formenmotive wie mehrfach gebrochene, geschwungene Giebel am Haus Wespien Zum goldenen Merkur (68, Anm. 121) gerade für die süddeutsche und österreichische Barockarchitektur von Interesse wäre.
In gut und flüssig lesbarer Sprache geschrieben, kennzeichnet das Buch ein quantitativ und qualitativ durchwegs gutes Text-Bild-Verhältnis - ergänzt um eine beigelegte DVD mit dem gesamten bekannten Zeichnungsbestand Couvens aus diversen Sammlungen und Archiven in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, der belgischen Provinz Limburg und Schottland, die zum parallelen Lesen in zwei Medien auffordert (bezeichnenderweise werden in den Fußnoten des gedruckten Textes keine Inventarnummern der jeweiligen Blätter gegeben, sondern nur Hinweise auf die Katalognummern der DVD). Die Präsentation auf dieser DVD ist statisch, sehr einfach und dementsprechend übersichtlich, erlaubt ein schnelles Finden der einzelnen Blätter, die allerdings in beschränkter Größe geboten werden. Beschriftungen, Unterzeichnungen etc. sind daher im digitalen Medium nicht oder nur schwer lesbar. Spezielle, gängige Methoden der Visualisierung beispielsweise als Negativansichten, um Strichführungen deutlicher erkennen zu können, werden nicht geboten - aber immerhin sind seit dem Erscheinen des Buches 2009 wesentliche Entwicklungen in den digital humanities vor sich gegangen, die heute wohl ein andere digitale Aufbereitung der Couven-Zeichnungen gebracht hätten.
In der Einleitung bringt Kappler eine schöne, systematische Präsentation des Mediums Architekturzeichnung und der Bedingungen seiner Entstehung. Sie erwähnt die Zwecke, für die Architekturzeichnungen angefertigt werden, ohne die technisch-konstruktiven Seiten u.a. zur Landvermessung zu vergessen, präsentiert den Prozess der Entwurfsarbeit eines Architekten, der sich aus der Abfolge von Zeichnungen erschließen lässt, stellt Vermessungsinstrumente, Zeichenmittel, Plansymbole und die verschiedenen Typen der Architekturzeichnung vor und thematisiert dabei die jeweils bevorzugte grafische Technik. Indem Kappler Architekturzeichnungen auch als Beweismittel im Rahmen von Gerichtsprozessen bei Immobilienstreitigkeiten präsentiert, thematisiert sie - ohne es allerdings explizit anzusprechen - den in Bezug auf die semantischen Qualitäten hoch spannenden Bereich, wie mit den grafischen Mitteln des Mediums Architekturzeichnung Argumentationen gestützt werden können (106-111). Wichtige Hinweise liefert Kappler zur Klärung der Zuschreibungsfrage (35), die entweder über eine Stilanalyse der abgebildeten Architektur passieren kann oder über Schriftduktus oder Beschriftungstypen und Maßstableisten etc. - wobei hier der Bezug zu den Zentralisierungstendenzen z.B. höfischer Bauämter, die etwa im Wiener Hofbauamt unter Joseph II. zur Normierung der Darstellung führten [2], möglicherweise relativierend wirken würde. Immerhin gewährt die tabellarische Präsentation von Unterscheidungskriterien einen schnellen, systematischen Vergleich (Abb. 25-26).
Keppler spannt nicht nur den Bogen hin zur Architekturtheorie, an der sich Couven mit einer Schrift zur Säulenordnung selbst beteiligte, sondern auch zu zeitaktuellen französischen Bautypologien, die gerade in Gestalt der Maison de plaisance auf die Bedürfnisse und Vorstellungen von Couvens potentiellen Auftraggebern optimal ausgerichtet waren. Vor allem bildeten sie eine wesentliche Grundlage für seine konsequent systematisierende, räumliche Entwurfsarbeit und seine klar strukturierten, axialsymmetrischen Hierarchisierungssysteme. Diese Kenntnisse konnte Couven sowohl durch die unmittelbare Anschauung erhalten - etwa François de Cuvilliés' Bauten für die Kölner Erzbischöfe -, auf jeden Fall aber über seine Kopien nach aktuellen, überwiegend französischen architekturtheoretischen Werken vertieft haben. Die wohl regional bedingte Orientierung an Frankreich in dieser Gegend Europas findet seine Entsprechung in den fast durchwegs französischsprachigen Planbeschriftungen Couvens, die einer eigenen Thematisierung durchaus wert gewesen wären. Indem Kappler Andeutungen über das Buchwissen Couvens gibt (60), schließt sie an sehr gewinnbringende, rezente Forschungsfragen an, nämlich Forschungen zu Architektenbibliotheken - wie etwa der virtuellen Pöppelmann-Bibliothek des ENBaCH-Projekts - als einer speziellen Art von Kulturtransferprozessen, deren Potential bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist.
Die Stärke von Kapplers Buch liegt in der Auswertung schriftlicher Quellen in Beziehung zum zeichnerischen Schaffen Couvens. So wird seine beruflich-gesellschaftliche Position als Stadtarchitekt greifbar (78), die ihn in eine besondere Stellung gegenüber der zünftischen Organisation des Aachener Bauwesens brachte, ihm aufgrund seines gelehrten Wissens Kontakt zu gesellschaftlich und politisch hochstehenden Personen verschaffte und eine enorme künstlerische Vielseitigkeit erlaubte, welche sich wiederum in der hohen grafischen Qualität seiner Blätter äußert - die sicherlich zur Hebung seines Marktwertes beitrug.
Anmerkungen:
[1] Zur Verortung im Aachener Forschungskontext sei hier auf Dietmar Kottmanns Rezension in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 111/112 (2009/2010), 370-372, verwiesen.
[2] Christian Benedik: Die Normierung der Idee. Der Verlust der graphischen Individualität im habsburgisch-staatlichen Bauwesen des 18. Jahrhunderts, in: Josephinismus. Eine Bilanz / Échecs et réussites du Joséphinisme (= Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich; Bd. 22), hgg. v. Wolfgang Schmale / Renate Zedinger / Jean Mondot, Bochum 2008, 175-186.
Richard Kurdiovsky