Stiftung Berliner Schloss: Rekonstruktion am Beispiel Berliner Schloss aus kunsthistorischer Sicht. Ergebnisse der Fachtagung im April 2010. Essays und Thesen (= Impulse - Villa Vigoni im Gespräch; Bd. 2), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, 172 S., ISBN 978-3-515-09826-7, EUR 22,00
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Die Frage nach der Rekonstruktion des Berliner Schlosses wurde seit der Wiedervereinigung ebenso kontrovers wie emotional debattiert. Insbesondere in Fachkreisen der Denkmalpflege und der Architektur waren dabei die Fronten radikal gespalten. [1] Die Parole des berühmten deutschen Kunsthistorikers Georg Dehios aus dem Jahr 1905 - "konservieren, nicht restaurieren" [2] - führten Schlossgegner ins Feld, um, ein Credo der denkmalpflegerischen Praxis wachrufend, den Wiederaufbau als "Neubau" zu denunzieren. In der stark ideologisch polarisierten, nicht selten auf "Dogmen" (29) gestützten Diskussion sahen manche das Zeichen "einer Machtergreifung der Gefühle über den Verstand". [3] Zweifelsohne verweist sie auf die gesellschaftlich-politische Bedeutung eines der symbolträchtigsten Bauprojekte des wiedervereinigten Deutschlands, das die Frage nach dem neuen Selbstbild Berlins als staatsrepräsentative Hauptstadt und Metropole thematisiert. Spätestens die am 4. Juli 2002 mit großer Mehrheit verabschiedete Bundestagsentscheidung, die Neubebauung des Schlossplatzes an die Kubatur des ehemaligen Schlosses anzupassen und dabei drei der Fassaden wieder zu errichten, lässt die nationalpolitische Dimension des Projektes hervortreten.
Der vorliegende Band 2 aus der Reihe "Villa Vigoni im Gespräch", der die Beiträge namhafter, zum Teil eng mit dem Wiederaufbauprojekt verbundener Wissenschaftler aus Architektur, Denkmalpflege, Kunstgeschichte und Schlösserverwaltung zusammenführt, will dezidiert zur Entschärfung des emotionalen Gehalts der Debatte beitragen, indem die Frage der Schlossrekonstruktion unter deren technischen Aspekten angegangen wird, bzw. das "konkrete 'Wie' der Rekonstruktion der barocken Fassaden des Berliner Schlosses auf eine wissenschaftlich solide Grundlage gestellt werden" soll (9). Dieser methodisch orientierte Ansatz, der die politische Dimension der Rekonstruktion in den Hintergrund rückt, mündet in der Aufstellung von 10 Thesen als praktischer Leitfaden zur Wiederaufbauarbeit. Für diesen wissenschaftlichen und methodischen Horizont werden andere Schlosswiederaufbauprojekte (Münchner Residenz, Palast der Großfürsten von Litauen in Vilnius, Königsschloss in Warschau) in vergleichender Perspektive betrachtet, sowie Standpunkte von Fachleuten anderer europäischer Länder herangezogen. Hiermit steht die Berliner Schlossrekonstruktion paradigmatisch (wie im Titel des Bandes klar postuliert) für das allgemeine Problem der Wiedererrichtung von Denkmälern, insbesondere von Schlössern, wie es sich nach dem zweiten Weltkrieg europaweit gestellt hat.
Die Vereinigung von Standpunkten aus unterschiedlichen Fachrichtungen sowie anderen nationalen Erfahrungshorizonten sorgt für eine vielseitige Beleuchtung der Berliner Schlossrekonstruktion. Die Darstellung der Wiederaufbauerfordernisse, mit denen sich Staaten und Gesellschaften nach 1945 europaweit konfrontiert sahen - Verarbeitung von Geschichte, bzw. Neugestaltung identitätsstiftender Orte -, hilft, Verschiebungen und Wandlungen in der Wahrnehmung von "Authentizität" und "Alterswert" sowie ideologische Hintergründe denkmalpflegerischer Ansätze zu erkennen (116). Hiermit wird ein kritischer, relativierender Blick auf die Geschichte der Disziplin eröffnet (49-54; 63-71), der insbesondere klar hervortreten lässt, inwiefern die Verwissenschaftlichung von Denkmalpflege seit dem 19. Jahrhundert die Stärkung von Expertenautorität herbeigeführt hat. Vor diesem Hintergrund stellt dieser Band die Frage nach der Vereinbarkeit von fachmotivierten gestalterischen Eingriffen in das historische Stadtbild und dem Empfinden einer Gesellschaft, die den identitätsstiftenden Charakter eines Ortes emotional erlebt (49-50; 64). Die Auffassung, dass die Schlossrekonstruktion "an Traditionen knüpft und [...] neue begründen" wird (11), kann in diesem Sinne als Versuch gesehen werden, die Kluft zwischen Experten und Gesellschaft zu überbrücken und die kulturelle Bedeutung der Wiedererrichtung als Grundlage eines zivilgesellschaftlichen Konsens zu betonen.
Die Heranziehung anderer Schlosswiederaufbauprojekte bildet eine Grundlage für methodische und technische Herangehensweisen an die Rekonstruktion der Berliner Schlossfassaden, sie birgt aber auch das Risiko, die Schlossrekonstruktion zu einem generischen Aufgabengebiet der Denkmalpflege zu erheben und somit die Spezifizität des Berliner Falles zu verwässern. Die nationalpolitische Bedeutung und insbesondere deren Rückwirkung auf die denkmalpflegerische Aufgabe werden hierbei ausgeklammert. In dieser Hinsicht stellt sich die Frage nach der Tragfähigkeit eines Vergleiches, z.B. mit der Münchner Residenz, deren staatsrepräsentativer Charakter lediglich von regionaler Bedeutung ist.
Das Stadtschloss als Beitrag zur Erhebung Berlins zur kosmopolitischen Kulturmetropole wird dezidiert unterstrichen, ohne die nationalen Hintergründe dieser Vorstellung näher zu hinterfragen. Bezieht man sich nochmals auf ein Leitwort Georg Dehios - "wir konservieren ein Denkmal nicht, weil wir es für schön halten, sondern weil es ein Stück unseres nationalen Daseins ist" [4] -, so stellt die Betonung der nationalpolitischen Bestimmung von Denkmalpflege doch die Frage, inwiefern gerade die ästhetischen und technischen Maßnahmen zur Errichtung der Schlossfassaden einen Schlossplatz als "neuen nationalen Identifikationsort" erschaffen. [5]
Der große Verdienst dieses Bandes liegt vielmehr in der Auslotung und Abgrenzung des Aufgabengebietes der Denkmalpflege. Insbesondere die kunsthistorisch-technischen Schwierigkeiten, die eine Wiedererstehung des Berliner Schlosses "in seinen drei Fassaden und mit dem Schlüterhof" stellt, werden differenziert unter die Lupe genommen. Im Hinblick auf die Frage, welcher historische Planungszustand als Grundlage der Hof- und Außenfassadenwiederherstellung herangezogen werden soll, wird untersucht, "was genau zu den rekonstruierenden Elementen gehört und was nicht" (141). In diesem Zusammenhang wird auch die präzise Erwägung der Wiederaufbautechniken und deren Auswirkung auf das Fassadenbild erörtert. Hiermit erschließt sich dem Leser eine kritische und dynamische Haltung gegenüber der denkmalpflegerischen Praxis, die deutlich macht, dass die Fassadenwiederherstellung nicht mit Gestaltung einer Stadtkulisse - einer bildlichen Fiktion - gleichgesetzt werden kann.
Anmerkungen:
[1] U.a. Gerhard Henke-Bockschatz: Der Nachbau des Berliner Schlosses. Ein Lehrstück über den öffentlichen Umgang mit Geschichte, in: Kultur, Politik und Öffentlichkeit: Festschrift für Jens Flemming, hg. v. Dagmar Bussiek, Kassel 2009, 527-541; Hannes Swoboda: Der Schlossplatz in Berlin. Bilanz einer Debatte, Berlin 2002.
[2] Georg Dehio: Denkmalschutz und Denkmalpflege im 19. Jahrhundert. Rede zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers, Straßburg 1905, Andruck in: Kunsthistorische Aufsätze, Berlin / München 1914, 264ff.
[3] Bruno Flierl: "Über den Beschluss, große Teile der Schlossfassaden zu rekonstruieren", in: http://www.akh.de/baukultur/architektur-macht-schule/gebaute-geschichte/besondere-bauten-besondere-orte/stadtschloss-berlin/b-flierl-ueber-den-beschluss-grosse-teile-der-schlossfassade-zu-rekonstruieren/ (zuletzt gesehen am 20.7.2014).
[4] Georg Dehio: a.a.O., 268.
[5] Beate Binder: Vom Preußischen Stadtschloss zum Humboldt-Forum: Der Berliner Schlossplatz als neuer nationaler Identifikationsort, in: Rekonstruktionen des Nationalmythos? Frankreich, Deutschland und die Ukraine im Vergleich, hg. v. Yves Bizeul, Göttingen 2013, 99-210.
Elsa Vonau