Bernhard R. Kroener: Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300-1800 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 92), München: Oldenbourg 2013, XIV + 170 S., ISBN 978-3-486-56592-8, EUR 19,95
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Die seit den 1990er Jahren für die Forschungsentwicklung charakteristische Abkehr vom Absolutismus-Paradigma macht auch vor der Geschichte des Militärwesens nicht Halt. Wer bislang im Militär als wesentlichem Herrschaftsinstrument frühneuzeitlicher Monarchen und wirkmächtigem Praxisfeld des Prinzips von Befehl und Gehorsam den entscheidenden Beleg für eine auch das deutsche Ancien Régime bestimmende Prävalenz fürstlicher Erzwingungs- und Durchsetzungsmacht zu erkennen glaubte, sieht sich zusehends relativierenden Deutungsangeboten gegenüber. In den Vordergrund rücken dabei die sowohl in fehlender administrativer Präsenz und Durchdringung als auch in der Notwendigkeit von Akzeptanz und Kooperation erkennbaren Grenzen monarchischer Herrschaft. Nicht ohne Folgen bleiben diese Neubewertungen für das traditionelle Periodisierungsschema, das einen Zusammenhang zwischen dem Beginn eines Militärwesens im "modernen" Sinn und der Ausbildung eines staatlichen Gewaltmonopols Mitte des 17. Jahrhunderts postuliert. An die Stelle der herkömmlichen, nicht zuletzt auf die Stehenden Heere als vermeintlichen Vorläufern der Massenheere des 19. und 20. Jahrhunderts gerichteten Sicht ist inzwischen das Bemühen getreten, das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit nicht nur mit Blick auf die politische und gesellschaftliche Kultur, sondern auch in militärhistorischer Hinsicht verstärkt unter Kontinuitätsaspekten zu betrachten.
Unverkennbare Spuren dieser Umdeutungen finden sich in dem vorliegenden Band des emeritierten Potsdamer Militärhistorikers Bernhard R. Kroener. Bereits die im Titel verwendete Begrifflichkeit ist - in Verbindung mit dem ein halbes Jahrtausend (1300-1800) abdeckenden Betrachtungszeitraum - insoweit Programm, als mit "Kriegswesen" und "Herrschaft" zwei Termini Berücksichtigung gefunden haben, deren Epochenkompatibilität weit überzeugender erscheint als etwa "Militär" und "Staat". Als Teil einer bewährten enzyklopädischen Reihe, deren Einzelpublikationen einem einheitlichen Gliederungsschema folgen und zuverlässige Information auf knappstem Raum bieten wollen, gibt der Band zunächst einen konzisen entwicklungsgeschichtlichen Überblick (1-54), an dessen Beginn die insbesondere vom Aufstieg des Fußvolkes geprägten strukturellen Veränderungen des spätmittelalterlichen Kriegswesens stehen. Der Bogen der Darstellung, die mehrfach die lange vom Gesichtspunkt temporärer Nezessität bestimmte - und nur sehr mühsam überwundene - Räson vor- und frühmoderner Heeresaufbringung in den Fokus nimmt, reicht sodann von der Ausformung der Söldnerverbände, der Entstehung eines privatwirtschaftlich organisierten Kriegsunternehmertums sowie einer milizgestützten Landesverteidigung bis hin zur mächtepolitisch induzierten Genese des Stehenden Heeres und einer "ökonomisch definierte[n] Interessengemeinschaft zwischen Bevölkerung und Militär" (47) in Gestalt der "Garnisonsgesellschaft des 18. Jahrhunderts" (43).
Der anschließende rund 74 Seiten umfassende Forschungsüberblick beschreibt zunächst die Impulse, die seit den 1970er Jahren vor allem von angelsächsischer und französischer Seite ausgingen und zu einem seinerzeit neuartigen Verständnis mittelalterlicher Militärgeschichte geführt haben. Verharrte die rechtshistorisch grundierte deutsche Forschung lange in der Tendenz, das gewaltsame organisierte Konflikthandeln des Hoch- und Spätmittelalters kategorial als regelgeleitete, in sozialer Hinsicht prinzipiell exklusive Fehde zu erfassen und sich solchermaßen den Blick auf Strukturveränderungen in der Kriegführung zu verstellen, so wusste die westeuropäische Militärgeschichtsschreibung mit ihrer starken Gewichtung der Entwicklungsprozesse im technisch-taktischen Bereich ein weit komplexer und wirklichkeitsnäher anmutendes Bild zu zeichnen. Dieses fand in der Vorstellung einer im 14. Jahrhundert stattfindenden "Infantry Revolution" sowie einer um 1450 einsetzenden "Artillerierevolution" seinen Ausdruck. Auch das ebenfalls vornehmlich im westeuropäischen Forschungskontext einflussreiche, eng mit dem Namen des britischen Historikers Michael Roberts verbundene und von Kroener brillant analysierte Konzept einer sich von ca. 1560 bis 1660 vollziehenden "militärischen Revolution", die in Verbindung mit administrativen und fiskalischen Erfordernissen als Motor frühmoderner Staatsbildung angesehen wurde, führte seit den 1970er Jahren zu lebhaften und ergiebigen Diskussionen, die jedoch ohne deutsche Beteiligung stattfand. Diese einer Rezeptionsverweigerung nahe kommende Abstinenz, die im eigentümlichen Kontrast zur Rezeption älterer Arbeiten Werner Hahlwegs und Gerhard Oestreichs durch u. a. Michael Roberts steht (63), gibt dem Verfasser in den folgenden Abschnitten reichlich Gelegenheit, den - nach der Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges - über Jahrzehnte im Zeichen der Distanz und fachlicher Geringschätzung stehenden Weg der Militärgeschichtsschreibung in Deutschland nachzuzeichnen. Das dabei konstatierte Phänomen einer - um es in den Worten Michael Hochedlingers zu sagen - "entmilitarisierten" deutschen Frühneuzeitforschung bis ca. 1990 ist allerdings nicht nur, wie in dem Band nahegelegt, auf eine bewusste Distanzwahrung gegenüber den älteren, politisch diskreditierten Traditionen der Kriegs- und Wehrgeschichte zurückzuführen (74). Vielmehr wurden - so weiß sich der Rezensent mit Blick auf die 1970er und 1980er Jahre zu erinnern - Ambitionen auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen Militärgeschichte vom Gros der seinerzeit das Meinungsbild prägenden Sozialhistoriker schlichtweg belächelt.
Beendet wurde dieses Nischendasein erst während der 1990er Jahre, als unter dem Einfluss der "kulturalistischen Wende" und im Zuge der Hinwendung zu (u. a.) mikro-, alltags- und geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen eine "Neue Militärgeschichte" etabliert werden konnte - eine Entwicklung, in der Kroener und seinem Schülerkreis eine Pionierrolle zukommt und deren reicher wissenschaftlicher Ertrag auch in dem vorliegenden Band ein deutliches Echo findet (95-129). Insoweit weist der Band auch eine semibiographische Komponente auf und ist Zeugnis einer erfolgreich verfochtenen wissenschaftlichen Agenda, in der dem Konzept einer "Militärgeschichte von unten" (96) bzw. einer "Militärgeschichte in der Erweiterung" (97, 127) eine Schlüsselfunktion zufällt. Das Militär ist in dieser Sicht kein neben der Gesellschaft existierender bzw. ihr antagonistisch entgegengesetzter Kosmos, sondern "ein selbstverständlicher Teil der lebensweltlichen Realität frühmoderner Gesellschaften" (74). Zugleich macht der Forschungsüberblick deutlich, in welch hohem Maß gerade die "Neue Militärgeschichte" mit ihrer zurückhaltenden, auf Differenzierung bedachten Einschätzung der staatsbildenden Rolle des Militärs zu Neubewertungen in der Deutung gängiger Konzepte wie z. B. der "Sozialdisziplinierung" beigetragen hat. Gerade in diesem Zusammenhang ist gleichwohl eine - durchaus sachadäquate - perspektivische Ambiguität unverkennbar - etwa wenn Kroener als Gegenstandsbereiche der "Neuen Militärgeschichte" neben der "traditionellen Beschäftigung mit der Errichtung eines staatlichen Gewaltmonopols" die "gleichberechtigte" Untersuchung der "retardierenden Faktoren" des Staatsbildungsprozesses nennt (96).
Der Band, der entsprechend den Reihenvorgaben eine mit dem Forschungsüberblick verzahnte Auswahlbibliographie sowie Personen-, Autoren-, Orts- und Sachregister enthält, ist nicht nur eine nützliche, gleichsam aus "erster Hand" stammende Orientierungshilfe. Vielmehr dürfte er auch die letzten Zweifler davon überzeugen, dass die Militärgeschichte der Frühen Neuzeit den Status der vernachlässigbaren Subdisziplin in Deutschland längst hinter sich gelassen hat und als - auch im internationalen Maßstab - innovative Impulsgeberin in der allgemeinen Geschichte "angekommen" ist. Von daher ist dem Band eine weite Verbreitung zu wünschen.
Helmut Gabel