Katherine Harvey: Episcopal Appointments in England, c. 1214-1344. From Episcopal Election to Papal Provision (= Church, Faith and Culture in the Medieval West), Aldershot: Ashgate 2014, XVIII + 334 S., ISBN 978-1-4094-5615-5, GBP 75,00
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Die Einsetzung von englischen Bischöfen und Erzbischöfen und besonders der Wandel von der Wahl durch die Domkapitel zur päpstlichen Entscheidung, der sich im 14. Jahrhundert vollzog, stehen im Zentrum dieses Buches, das auf Katherine Harveys 2012 abgeschlossener Dissertation (Birkbeck, University of London) beruht. Es ist klar gegliedert in drei größere Abschnitte, in denen die Zeiträume von 1214-1307 ("The Age of Election") und von 1307-1344 ("The Age of Provision") behandelt werden, bevor im letzten Abschnitt die Einbettung in den europäischen Kontext erfolgt. In den beiden ersten Teilen geht Harvey zunächst jeweils auf die rechtlichen Bestimmungen und Gewohnheiten ein, bevor sie auf der Basis von insgesamt 169 Fallbeispielen die Praxis der Einsetzung von Bischöfen untersucht. Als Quellen werden neben normativen und administrativen Texten vor allem historiographische Schriften, aber auch Hagiographie und Briefsammlungen herangezogen. Die Ergebnisse, die Harvey für das englische Königreich herausarbeitet, vergleicht sie abschließend mit den Situationen in Frankreich, Schottland und Italien. In einem Anhang werden alle englischen Bischofseinsetzungen zwischen 1215 und 1344 nach Diözesen geordnet tabellarisch aufgelistet; neben dem Namen und den Pontifikatsjahren des Bischofs sind hier auch die Dauer der Vakanz, die Stellung des Kandidaten, seine mögliche Mitgliedschaft im Domkapitel, der Modus der Einsetzung sowie eine knappe Einschätzung der Umstände zu finden. Leider weist dieser Anhang keine Seitenzahlen auf, was seine Benutzung unnötig erschwert.[1] Ein Index mit Namen, Orten und Sachen erleichtert den Zugang zu Einzelaspekten der Studie.
Im ersten Teil der Arbeit, der gleichzeitig der umfangreichste ist, entwickelt Harvey die Norm der Bischofseinsetzungen im 13. Jahrhundert, als die freie Wahl durch das Domkapitel bestimmend war. Sie sieht diese Entwicklung vor dem Hintergrund der Bemühungen des Papsttums, königliche und generell weltliche Einflüsse bei kirchlichen Amtseinsetzungen zurückzudrängen. Die Bestimmungen des 4. Laterankonzils von 1215 stimmen dabei weitgehend mit einer Urkunde überein, in der König Johann Ohneland der Kirche bereits 1214 freie Wahlen zugestand. Diese Urkunde erklärt sich aus der Auseinandersetzung des Königs mit Papst Innozenz III. um die Einsetzung von Stephen Langton als Erzbischof von Canterbury. Unter Berücksichtigung weiterer kirchenrechtlicher Texte und dreier englischer Traktate zu Bischofswahlen stellt Harvey im Folgenden den Ablauf einer üblichen Wahl vor und geht dann auf Gewohnheiten ein, die zwar nicht rechtlich fixiert waren, die Einsetzung von Bischöfen aber ebenfalls beeinflussten. Dabei untersucht sie zwei Themenfelder: Rituale (von der Beerdigung des verstorbenen Bischofs über die Einholung der Erlaubnis zur Wahl durch den König, die Verkündung des Wahlergebnisses und die Weihe bis hin zum Einzug in die Bischofsstadt und die Thronsetzung) und Finanzen (generelle Kosten für Reisen und Zeremonien, aber auch Geschenke, wobei der Übergang zur Simonie fließend sei). Ihre Analyse der konkreten Bischofseinsetzungen geht allein schon deshalb über die bisherige Forschung hinaus, weil Harvey nicht nur umstrittene Fälle in den Blick nimmt, sondern alle - und damit wesentlich fundierter darüber Auskunft geben kann, inwieweit Norm und Praxis übereinkamen. Sie strukturiert diesen Abschnitt anhand der beteiligten Personen(gruppen), wobei sie neben den Domkapiteln, den Königen, den Erzbischöfen und den Päpsten auch die Kandidaten selbst als Faktoren wirksam sieht, weil sie sich häufig nicht passiv verhalten hätten. Den König schätzt Harvey weit weniger als "Elefant im Porzellanladen" ein, als den ihn Matthew Paris (und mit ihm der Großteil der modernen Forschung) gezeichnet hat: "The default royal approach was compromise-based, and for the most part this approach worked, resulting in appointments acceptable to all concerned." (123)
Der zweite Teil des Buches beginnt ebenfalls mit der Darstellung der Norm, wie sie in rechtlichen Bestimmungen und Gewohnheiten fassbar ist. Hier geht es der Autorin allerdings vor allem um die Unterschiede zum 13. Jahrhundert, und damit vornehmlich um die Entwicklung hin zur päpstlichen Entscheidung, die ab der Mitte des 14. Jahrhunderts in England durchweg üblich war. Diese Entwicklung wurde ironischerweise begünstigt durch die Stärkung der freien Wahlen im 13. Jahrhundert, denn dadurch kam es häufiger zu Konflikten zwischen Domkapitel und König und in der Folge zu vermehrten Appellationen an den Papst. Die Ursachen sieht Harvey daneben auch in den zentralisierenden Tendenzen des spätmittelalterlichen Papsttums, die dazu beigetragen haben dürften, dass die Päpste nicht mehr nur auf Anfragen reagierten, sondern bereits im Vorfeld selbst die Initiative ergriffen. Die Reaktionen auf die veränderte normative Lage, die erneut anhand der Personengruppen untersucht werden, fallen nicht sehr negativ aus, weil die Änderungen in der Praxis weniger dramatisch gewesen seien als in der Theorie. Die Päpste griffen nun zwar öfter direkt ein, aber die Entscheidung war weiterhin meist ein Kompromiss zwischen den einzelnen Beteiligten. Harvey schließt einige statistische Beobachtungen zu Herkunft (sozial und geographisch) und Alter der Bischöfe an, um herauszufinden, ob sich die Zusammensetzung des Episkopats durch die geänderten Rahmenbedingungen wandelte. Der einzige signifikante Unterschied, der direkt auf den Wandel im Verfahren der Bischofseinsetzung zurückzuführen ist, zeigt sich in der Häufung von Translationen ab den 1330er Jahren. Problematisch an diesem Abschnitt ist allerdings, dass die statistischen Daten nicht ausreichen, um belastbare Informationen daraus ableiten zu können. [2]
Da es sich bei dem dargestellten Wandel nicht um ein rein englisches Phänomen handelt, sondern allein schon durch die Rolle des Papsttums übergreifende Ursachen und Wirkungen anzunehmen sind, werden die Ergebnisse zum Abschluss in den europäischen Kontext eingebettet, indem aufbauend auf anderen Forschungen die Entwicklungen in Frankreich, Schottland und Italien vergleichend herangezogen werden. Dabei zeigt sich, dass die Geschichte des Aufstiegs der Wahlfreiheit und der Übergang zur päpstlichen Entscheidung in vielen Aspekten eine gesamteuropäische Erzählung ist (225). Der deutlichste Unterschied lässt sich noch in Italien ausmachen, wo eine frühere und direktere Einflussnahme des Papstes auszumachen ist. Das liege nicht allein an der räumlichen Nähe, sondern auch an den Herrschaftsstrukturen, durch die der Papst mehr Einflussmöglichkeiten hatte und als Kirchenoberhaupt auf kanonischer Basis agieren und seine Maßnahmen direkt umsetzen konnte, während die englischen, französischen und schottischen Könige nur versuchen konnten, Einfluss auf die Entscheidung auszuüben, ohne in jedem Fall das letzte Wort zu haben.
Die Schlussfolgerungen und Wertungen der Autorin sind im Wesentlichen sorgfältig und folgerichtig. Man gewinnt allerdings den Eindruck, als sei Harvey ein wenig enttäuscht, dass die Reaktionen der Zeitgenossen so dürftig ausgefallen sind. Sie erklärt das zu Recht damit, dass die Zeitgenossen nur Einzelfälle kommentierten, aber nicht das abstrakte Konzept eines Wandels, den man nur aus der Rückschau konstatieren kann (184). Die gesamte Anlage der Untersuchung basiert allerdings auf dem Wissen um diesen Wandel, der erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts abgeschlossen war, weil danach jeder Bischof in England aufgrund einer päpstlichen Entscheidung in sein Amt gelangte. Diese Entwicklung war aber in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts noch nicht abzusehen, und so ist es wenig verwunderlich, wenn es in dieser Zeit noch keinen Diskurs gab - zumal der Wandel in der praktischen Umsetzung ja weit weniger dramatisch ausfiel als in der kirchenrechtlich fixierten Norm. Letztlich überwiegt die Kontinuität im Modus der Bischofseinsetzungen, wie auch Harvey unterstreicht; die deutlichsten Änderungen sieht sie in der Marginalisierung der Erzbischöfe, deren Rolle im Verfahren vom Papst eingenommen wurde (232). Daneben ist hervorzuheben, dass die Kandidaten selbst als (bisher eher vernachlässigte) Akteure in den Blickpunkt gerückt werden. Die Ergebnisse ihrer fundierten Studie präsentiert Harvey in einem prägnanten Fazit, das sprachlich ebenso klar und anschaulich formuliert ist wie der Rest des lesenswerten Buches.
Anmerkungen:
[1] Bei einem Umfang von rund 50 Seiten ist es beispielsweise mühsam, einem Verweis aus dem Index nachzugehen. Außerdem werden die Diözesen leider nur einmal angeführt, so dass auf Folgeseiten nicht direkt ersichtlich ist, welcher Diözese die aufgelisteten Bischöfe zuzurechnen sind.
[2] Im gesamten Untersuchungszeitraum gab es lediglich elf Translationen (in den Jahren 1215, 1227, 1228, 1243, 1266, 1299, 1313, 1327, zweimal 1333 und 1337) - aber auch die übrigen statistischen Auswertungen basieren auf einer geringen Datenbasis. Ungünstig ist auch die Darstellung der Balkendiagramme, für die nur schlecht unterscheidbare Grautöne gewählt wurden - verschiedene Schraffuren hätten hier für mehr Klarheit sorgen können.
Dominik Waßenhoven