Daniel Schönpflug: Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa 1640-1918 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 207), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 336 S., 5 s/w-Abb., 1 Tabelle, ISBN 978-3-525-37030-8, EUR 59,99
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"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", dichtete Meister Eckhart. Bei Hochzeiten und ganz besonders bei Fürstenhochzeiten ist das Publikum heute dank Liveübertragung beim Anfangszauber dabei. Dies kann zu einem Wahrnehmungsdefizit führen. Royale Ereignisse, ob Hochzeiten, Beerdigungen oder Taufen, scheinen eine unwiderstehliche Sedierungswirkung auf den Betrachter zu haben. Über Nacht verstummt die Kritik an der Institution Monarchie und nur die tapfersten Zyniker bleiben resistent. Wie Daniel Schönpflug zeigt, hält die Sedierungsphase jedoch nicht lange an.
Schönpflug hat mit kühlem Blick die Heiraten der Hohenzollern von 1640 bis 1918 untersucht. Er beantwortet mit seiner ausgesprochen gelungenen Studie viele Fragen und stellt der Dynastieforschung neue Aufgaben. Sein Sample besteht aus 90 Heiraten, wobei er auch Heiratsprojekte untersucht, die misslangen (wie so oft kann man aus den Negativbeispielen am meisten lernen). Bei aller Differenzierung entwickelt Schönpflug mehrere Grundtypen von Heiratsprojekten: Traditionsheiraten, die bestehende familiäre Bündnisse fortführen sollten; Bekräftigungsheiraten, die politische Bündnisse und Verträge befestigen sollten; Einflussheiraten, die die Kommunikationskanäle zu anderen Höfen öffneten und Transformationsheiraten, die nach Konfliktsituationen Beziehungen zwischen Monarchen positiv beeinflussen sollten und Bündnissen vorausgingen.
Mit Nachwuchskrisen hatten alle Dynastien immer wieder zu kämpfen und die Hohenzollern waren, wie die Habsburger, geschickt darin, Reproduktionsrisiken zu minimieren. Auf dem umkämpften Heiratsmarkt rekrutierte man extrem junge, d.h. fruchtbare Bräute und sorgte dafür, dass wenige der nachgeborenen Söhne unverheiratet blieben. Die Strategie war ausgesprochen erfolgreich. Schönpflug zeigt, wie die Hohenzollern ab dem 16. Jahrhundert auch dank ihrer strengen Hausgesetze Besitz mit Heiraten stetig vermehrten und absicherten. Derartige Besitzheiraten endeten jedoch mit den Befreiungskriegen.
Die politische Bedeutung der Heiraten blieb allerdings länger erhalten. Schönpflug nennt Heiraten ein "unspezifisches Element" der Außenpolitik und zeigt, dass die politische Wirkung von Heiraten nur "kurz bis mittelfristig" Effekt hatte. Die Idee einer "großen europäischen Familie der Dynastien" lehnt er ab, zu scharf ist die Trennlinie zwischen den Konfessionen. Er sieht es als sinnvoller von "europäischen Vernetzungen" zu sprechen. Dass diese Vernetzungen noch lange Zeit eine politische Rolle spielen konnten, belegt er jedoch ebenfalls: "verwandtschaftliche Beziehungen und Kommunikation in dynastischen Netzwerken gingen nahtlos ins Feld der Diplomatie über" (285). Er sieht hier ein Strukturelement der Außenpolitik bis ins 19. Jahrhundert.
Die Hohenzollern heirateten im Laufe des Untersuchungszeitraums brandenburg-preußisch, britisch, russisch und reichsdeutsch. Dies bedeutete potentiell gute Kontakte nach Russland und Großbritannien. Trotz einer vielversprechenden Ausgangsposition hatten die britischen Kontakte am Ende bekanntermaßen keine Auswirkungen. Der Weg nach Westen, d.h. eine deutsch-britische Allianz, wurde nicht eingeschlagen, wie es sich Prince Albert nach der britisch-hohenzollerischen Hochzeit von 1858 erhofft hatte. Vor allem diese Heirat war, wie Schönpflug zeigt, stark umstritten: Das britische Parlament konnte wenig Begeisterung für eine preußische Eheverbindung aufbringen und auch in Berlin lehnte man die englische Braut ab. Schönpflug sieht hier eine wichtige Zäsur. Eheentscheidungen mussten ab jetzt nach außen hin für die Öffentlichkeit gut "verkauft" werden. Ein selbstbewusstes Bürgertum hinterfragte im 19. Jahrhundert verstärkt unbeliebte Fürstenhochzeiten. In Zeiten des Nationalismus verloren ausländische Heiraten zunehmend an Popularität.
Dynastien mussten sich im 19. Jahrhundert als indigen verkaufen wenn sie überleben wollten und man könnte daher argumentieren das Hochzeiten nicht mehr ein Mittel der Außenpolitik, sondern ein Mittel der Innenpolitik wurden. Schönpflug zeigt ausführlich wie wichtig Hochzeiten jetzt für Bindungsinszenierungen wurden - Sedierungswirkung inklusive. Der indirekte Einfluss des Bürgertums auf fürstliche Heiraten zeigt sich auch an neuen Inszenierungsformen. Zunehmend wurde der bürgerliche Geschmack bei Hochzeitsritualen aufgegriffen. An der großen Hohenzollernhochzeit 1913 kann man die fürstlich-bürgerliche Symbiose besonders gut erkennen. Es war die letzte große Begegnung europäischer Monarchen vor dem Ersten Weltkrieg, aber es war auch eine betont deutsche Hochzeit - Braut und Bräutigam kamen aus deutschen Häusern.
Schönpflug stellt am Ende auch die Frage, ob es eine verbindende Hofkultur auf europäischer Ebene gab (286). Eine Antwort darauf könnte die vernachlässigte Autobiographie von Königin Marie von Rumänien (1875-1938) bieten. Sie war eng verwandt mit den russischen, deutschen und englischen Herrscherhäusern und vor dem Ersten Weltkrieg ein häufiger Gast an allen europäischen Höfen. Ihrer Meinung nach gab es hier fundamentale Unterschiede: den Habsburger Hof nannte sie "stifling and rigid", St. Petersburg "was gorgeous, lavishly welcoming, generous and hugely wasteful, limitless hospitality, but with an undercurrent of mystery not unmixed with anxiety. Here was wealth unlimited, power in the most absolute form but with something of apprehension, something a little dark lying beneath the dazzling exterior." Mysterien dieser Art gab es ihrer Ansicht nach nicht, wenn sie Cousin Wilhelm II. in Berlin besuchte. Sein Hof war: "the nouveau riche, the upstart amongst the Great Powers and their courts. Great military display, magnificent order and discipline, a feeling of young strength but a little too new, too big, too loud." [1] Dass die "lauten" Hohenzollern und mit ihnen das Deutsche Reich von anderen als nouveau riche gesehen wurden, kennen wir bereits aus der Habsburger Perspektive, wie sie Robert Musil in seinem Mann ohne Eigenschaften so treffend beschrieben hat. Dies zeigt unter anderem das starke Konkurrenzdenken innerhalb der europäischen Monarchien. Wenn Historiker auf Schönpflugs wichtiger Studie aufbauend in Zukunft Monarchien vergleichend untersuchen, sollten sie daher George Orwell's Satz aus Farm der Tiere in Erinnerung behalten: "Alle Tiere sind gleich, doch einige sind gleicher als andere."
Anmerkung:
[1] Marie of Romania: The story of my Life, Bd. II, 225.
Karina Urbach