Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen, München: Kunstmann Verlag 2013, 720 S., 20 Farbabb., ISBN 978-3-88897-868-5, EUR 29,95
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"Don't overdo it! Avoid the trap of overselling" heißt es auf einer Webseite für Business-Strategien. Dieser Ratschlag hätte vielleicht auch dem hier zu besprechenden Buch gutgetan, dies zumindest vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen. Letztlich ist die Publikation trotz eines ausführlichen Anmerkungsapparates keine wissenschaftliche. Das Werk beschreibt die Kommandoaktionen der US-Regierung der letzten zehn bis fünfzehn Jahre, hier fast ausschließlich im Rahmen des globalen Krieges gegen die Islamisten. Scahill bietet eine Fülle von Informationen, dabei auch zahlreiche Hintergrunddetails, und präsentiert diese als teils erschreckendes Feuerwerk fortgesetzter Gewaltaktionen.
Ein Einleitungskapitel zeigt wichtige Verbindungslinien zum Kalten Krieg, etwa die Rolle so wichtiger Protagonisten wie Paul Wolfowitz und Donald Rumsfeld. Dies ist insofern unerlässlich, als keineswegs sicher sein kann, dass die Geschichte seit 1990 in radikal anderen Bahnen verlief. Man kann sie in keinem Falle einfach von den vorigen Epochen abgrenzen, sondern muss diese im Gegenteil mit einbeziehen. Besonders interessant sind die Ausführungen zur Entstehung der entsprechenden Kampfinstrumente, vor allem dem Joint Special Operations Command (JSOC), eines von mehreren Einsatzelementen, unter deren Leitung die vielfältigen Kommandoaktionen abliefen, und das Scahill als Gewaltkomponente darstellt, die immer stärker von der Kette gelassen wurde und damit immer weniger zu kontrollieren war. Dass dabei auch die Konkurrenzkämpfe im Regierungs- und Geheimdienstapparat zur Sprache kommen - insbesondere zwischen der CIA, deren Macht angeblich schwand, und dem Verteidigungsministerium -, ist sicher eine Stärke des Buches. Kein Staat, auch nicht die USA, handelt als monolithische Einheit. Im Gegenteil, viele Konflikte und auch Fehlentscheidungen entstehen erst durch den wechselseitigen institutionellen Druck.
In gleichem Maße erfahren, soweit für das Thema relevant, die Zusammenhänge in den Einsatzländern ausführliche Darstellung, so die Situation in Somalia, im Jemen sowie in Pakistan und Afghanistan. Der Leser erhält eine Vielfalt an Informationen, zu prominenten Figuren der Islamisten, auch zu Schlüsselfiguren in der zweiten Reihe, zu Machtkämpfen und -spielen der örtlichen Warlords, ferner zu den Führungen der meist maroden Staaten sowie Personen und Gruppen, die sich zwischen den Fronten bewegten (bzw. bewegen mussten). Die teilweise auch schon im Kalten Krieg bekannten Intrigen, doppelten Spiele und Brutalitäten sowie die Leiden von Unbeteiligten bzw. nur mittelbar Beteiligten erhalten breiten Raum. Die Fülle der Details und das teils auf Hintergrundgesprächen und vertraulichen Informationen basierende Narrativ gehört zweifellos zum Genre "investigativer Journalismus" und hat auch bereits eine TV-Dokumentation gezeitigt, die am 29. November 2013 in Deutschland in der ARD ausgestrahlt wurde.
Das von Scahill gezeichnete Gemälde ist erschreckend und lässt weit mehr als die Untiefen erahnen, die mit einer derartigen Kriegführung verbunden sind. Insbesondere die Menschenjagd und die Tötung des von den USA als Top-Terroristen gekennzeichneten Anwar al-Awlaki, eines US-Bürgers, und dessen sechzehnjährigen Sohnes lassen, gelinde gesagt, erhebliche Zweifel aufkommen, ob der Anspruch der amerikanischen Verfassung und die brutale Realität des "globalen Krieges" noch in irgendeiner Weise deckungsgleich sind. Ferner verweist Scahill auf zahlreiche Fehlschläge, in denen kulturelle Unkenntnis, unnötig hartes Vorgehen, teils dreistes und kontraproduktives Vorgehen der Amerikaner die Feinde erst geschaffen haben, die nachfolgend zu bekämpfen waren. Es entsteht in seiner Publikation der Eindruck, dass eine Art terroristischer Apparat in den USA selbst entstanden ist, der vornehmlich von der Polarisierung lebt und sich dadurch perpetuiert.
Keine Frage: Gegenüber derartigen Tendenzen in der Politik und im Militär ist politische Wachsamkeit geboten. Indes ist auch erhebliche Vorsicht gegenüber derlei Werken wie von Scahill am Platze. Die Medien- und Presselandschaft in den USA ist derart polarisiert, teils auch im politischen Kampf radikalisiert, gleichzeitig auf Verkaufszahlen ausgerichtet, dass spezifische Publikationen, vielleicht sogar eine Art neuer Kunstform, entstanden sind, in denen Fiktionen und Realität nur mehr schwer auseinanderzuhalten sind. Die ARD bezeichnete nicht umsonst die auf Scahills Buch basierende Dokumentation als "teils Politthriller, teils Detektivfilm".
Dementsprechend trägt die Darstellung auch höchst problematische Züge. Die Vorwürfe gegen die US-Regierung werden derart litaneihaft vorgetragen, dass schon eine Art Indoktrination vorliegt, die den wissenschaftlichen Leser höchst misstrauisch werden lässt und schließlich auch ermüdet. Zu den bereits erwähnten Einzelpunkten tritt noch die immer wieder teils unterschwellig vorgetragene Kennzeichnung der islamistischen Terroristen als Opfer oder gar Märtyrer. Scahill versteigt sich schließlich sogar zu dem Fazit, zumindest die direkten Opfer bzw. deren Angehörige hätten "einen legitimen Grund, Vergeltung zu üben" (596).
Selbst für ausgesprochene Komparatisten wie dem Rezensenten liegt derlei jenseits der Wissenschaft und hat mehr mit politischem und publizistischem Kampf zu tun als mit seriöser Forschung. Das Werk lässt sich in Aufbau und Struktur eher mit Kinofilmen, vielleicht mit Fahrenheit 9/11 von Michael Moore, vergleichen, da es dramaturgisch konzipiert und entsprechend aufgebaut ist. Die Geschichte von Awlaki wird in einer Art Fortsetzungsroman in die anderen Geschehnisse eingebettet und bietet zusammen mit der Darstellung der Tötung von Awlakis Sohn Abdulrahman den kompositorischen Höhepunkt.
Es drängt sich am Ende eines langen Lesetages der Eindruck auf, dass hier weniger investigativer, sondern eher suggestiver Journalismus betrieben wird. Dazu tragen auch stilistische Mittel, Andeutungen, Vermutungen und Verweise bei. Schließlich findet auch eine ausführliche Selbststilisierung des Autors und insbesondere seines journalistischen Teams statt. In der sieben Seiten starken, etwas martialisch anmutenden Danksagung werden die Mitarbeiter regelrecht als Helden, vielleicht sogar als die eigentlichen Streiter im globalen Krieg gefeiert. Diese, allesamt wenig positiven Merkmale sollen indes nicht zum Schluss verleiten, dass ein großangelegtes Verschwörungs- und Lügenbuch entstanden ist. Historiker, die sich mit deutscher Militärgeschichte nach 1945 befassen, wissen, dass sich zeitgenössische Berichte insbesondere des "Spiegel" nach entsprechendem Quellen- und Aktenstudium als vielfach richtig erwiesen, weil die dafür verwendeten Informationen aus dem Regierungsapparat selbst stammten.
Dennoch ist für den Wissenschaftler äußerste Vorsicht geboten. Scahill verwendet neben Zeitzeugeninterviews fast ausschließlich öffentlich zugängliches Material, keine Archivquellen. Zudem gefährdet das Streben nach breiter publizistischer Wahrnehmung und möglichst guter TV-Quote die nötige wissenschaftliche Distanz. Es ist sicher richtig, dass gerade die deutsche Geschichtswissenschaft noch erheblich flexibler und transnationaler vorgehen muss, will sie den globalen Realitäten gerecht werden. Ein Aufgeben der methodischen Prinzipien, zu denen gerade die kritische Forschung und Bewertung mit der nötigen, auch zeitlichen Ruhe gehört, ist nicht ratsam.
Auf der anderen Seite weiß jeder ernsthafte Historiker, der sich mit Geheimdiensten und Intelligence befasst, dass sich der Aktenzugang mehr als schwierig gestaltet, teilweise auch dauerhaft unmöglich ist. Es ist nicht zu erwarten, dass die US-Behörden oder etwa der britische MI6 jemals alle oder auch nur einen Teil der relevanten Akten für die wissenschaftliche Forschung freigeben werden. Insofern sind solche Werke wie das von Scahill vielleicht die einzige umfassende Möglichkeit zur Information. Die dabei aus wissenschaftlicher Sicht zu Tage tretenden erheblichen Mängel können wohl kaum ausgeräumt werden. Auch eher stereotype Verweise darauf, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, helfen kaum weiter.
Immerhin stärkt das Buch das Bewusstsein für globales Handeln, dessen Probleme und Zusammenhänge, ein Impetus, der vielleicht gerade für die Deutschen doch noch sehr nötig ist.
Bernd Lemke