Febe Armanios: Coptic Christianity in Ottoman Egypt, Oxford: Oxford University Press 2011, IX + 254 S., ISBN 978-0-19-974484-8, GBP 55,00
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Es herrscht in der Forschung weitgehend Übereinstimmung darin, dass zu Beginn der Herrschaft der Osmanen in Ägypten der Anteil der Kopten an der Gesamtbevölkerung etwa 10% betrug. Obgleich es im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder zu Verfolgungen und Repressionen gekommen ist, blieb diese Zahl bis heute konstant. Die weitgehende Islamisierung Ägyptens scheint bereits bis zum 9. Jahrhundert vollzogen worden zu sein, doch kann die frühe Mamlukenzeit als der Schlusspunkt eines langen Prozesses angesehen werden. Zumindest kam es in dieser Phase aufgrund einer Reihe von internen Anordnungen (u.a. der gleichzeitige Glaubenswechsel der Ehefrau im Falle der Konversion eines Mannes, das Verbot traditioneller Feste und der Einzug koptischer Stiftungsgüter) und externen Ereignissen (etwa die Eroberung des monophysitischen christlichen Nubiens durch arabische Stämme) zu einer spürbaren Konversionswelle.[1]
Die Historie der Kopten wird gerne entlang der beiden Metaerzählungen "Verfolgung" und "Toleranz" geschildert. Die Darstellung einer kollektiven Leiderfahrung verdient natürlich unsere volle Aufmerksamkeit, aber was bisher in der Tat fehlte, war eine Studie, die die komplexe Natur und vor allem textuelle Repräsentation nicht-muslimischer Praktiken von Minderheiten im Nahen Osten über einen längeren Zeitraum ins Auge nimmt. In jüngster Zeit haben Forscher zwar damit begonnen, die politischen Umstände zu untersuchen, die das Schicksal der koptischen Kirche unter osmanischer Herrschaft bestimmten, aber diese Arbeiten geben uns nur wenige Informationen darüber, wie die Kopten ihre Religion selbst wahrnahmen und lebten. Allerdings verfügen wir auch nur über ein ausgesprochen heterogenes Quellenmaterial, so dass es (noch) nicht möglich ist, eine wirkliche Synthese zu diesem Thema vorzulegen. Aus diesem Grund präsentiert uns Febe Armanios, Associate Professor am Department of History am Middlebury College, in einer grob chronologischen Anordnung auch "nur" ausgewählte Schnappschüsse religiöser Ausdrucksformen, die uns allerdings insgesamt durchaus ein Gefühl für die Selbstwahrnehmung und die Anliegen der koptischen Gemeinde im osmanischen Ägypten geben.
Die Verf. geht in der vorliegenden Abhandlung in erster Linie der Frage nach, welche Tropen, Narrative und Rituale von den Kopten in der Zeit von 1517 bis 1798 verwendet wurden, um ihrer Frömmigkeit und Spiritualität Nachhaltigkeit zu verleihen. Es sind vor allem drei koptisch-arabische Textsorten, die sich Febe Armanios näher angesehen hat: (1) Chroniken, die kommunale Ereignisse aufzeichnen; (2) Hagiographien, und (3) Predigten, die mit der klaren Intention geschrieben wurden, einen Wandel in dem Verhalten der Gemeinde zu bewirken. Letztere dienen als gutes Beispiel für die jeweiligen moralischen Vorstellungen und liefern zugleich Hinweise auf religiöse Praxen. Neben diesen drei Gattungen erwiesen sich noch die Geschichte der Patriachen der ägyptischen Kirche und muslimische Geschichtswerke als nützlich. Aus ihrem Material leitet F.A. nicht nur die institutionelle Perspektive ab, die von den laikalen wie klerikalen Mitgliedern geteilt wurde, sondern sie kann aus ihm hochinteressante Einsichten in die Weltsicht und die gelebte Realität der Gläubigen bekommen. Dabei spielen Themen wie die Akkulturation und Assimilation natürlich eine große Rolle. Einerseits teilten die Kopten in der Osmanenzeit mit den Muslimen weiterhin eine Reihe von Praktiken und säkularen wie religiösen Festen. Andererseits waren sie aber auch stets darauf bedacht, einen eigenen sozialen Raum zu definieren und besetzen. Die Studie fragt auch danach, welche Glaubensvorstellungen und Praktiken das koptische Christentum unter ihren Anhängern gezielt förderte. Sie konzentriert sich auf die textuelle Präsentation verschiedener Ausprägungen der koptischen Spiritualität und der religiösen Praxis und setzt diese Phänomene überzeugend in Verhältnis zu Prozessen der Identitätsbildung.
Zunächst gibt uns die Verf. einen Überblick über den historischen Hintergrund. Insbesondere skizziert sie, welche Auswirkungen die osmanische Eroberung auf die Gemeinde hatte. Sie diskutiert, wie koptische Archonten von ihren Kontakten mit den ägyptischen Mamlukenhaushalten, die de facto weiterhin die politischen Autoritäten im Lande waren, profitierten. Als Resultat ihres wachsenden Reichtums wurden die Archonten zu Finanziers eines lebendigen religiösen Lebens. Als sich ihr Einfluss und Ansehen gefestigt hatten, kam es interessanterweise zu internen Auseinandersetzungen um die Frage, wer die geeignete Person sei, die koptische Gemeinschaft zu führen. Das religiöse Leben wird dem Leser dann in den nächsten Kapiteln anhand von vier Fallstudien aus der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert exemplarisch vor Augen geführt. Als Erstes untersucht die Verf. die Popularität des Märtyrers Salib (gest. 1512). Dieser hatte öffentlich den Propheten Muhammad verunglimpft und sich geweigert, zum Islam überzutreten. Sein Märtyrertum beschreibt sehr schön die komplexen sozialen Verhältnisse in Ägypten kurz vor und kurz nach der osmanischen Eroberung und enthüllt, wie dieser Transformationsprozess erzählt und damit kollektiv verinnerlicht wurde. Im Folgenden geht es um die Beliebtheit der um 300 verstorbenen Klostergründerin und Märtyrerin Demiana. Den Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert zufolge spielte sich ihr Kult vor allem während der Frühjahrsfeste im Nildelta ab. In einer auf uns gekommenen Martyrologie klingen frühere Diskussionen der Interaktionen zwischen koptischen laikalen und klerikalen Gruppen an. Eine genaue Analyse ihres Kultes zeigt uns die komplizierte Konzeption weiblicher Heiligkeit und deutet auf verschiedene Genderaspekte innerhalb der koptischen Praktiken während der Osmanenzeit hin. Ebenso liefert es wertvolle Einsichten in die Verknüpfung von religiöser Patronage und lokalen Glaubensvorstellungen.
Das vierte Kapitel ist der Beschreibung der Mühen gewidmet, die Pilger auf sich nahmen, um die jährliche Wallfahrt von Kairo nach Jerusalem zu unternehmen. Dies geschah gewöhnlich, obgleich nicht immer, mit der Zustimmung der muslimischen Behörden. In seiner konkreten Ausgestaltung im frühen 18. Jahrhundert - einer Zeit der kulturellen Erneuerung für die Kopten - verweisen die Pilgerreisen auf eine jahrhundertealte ungebrochene christliche Tradition, doch werden auch Gemeinsamkeiten mit dem jährlichen Haddsch der Muslime nach Mekka deutlich. Febe Armanios analysiert die Wallfahrt anhand eines hochinteressanten historiographischen Textes, der von ägyptischen Kopten zur Zeit der Osmanen angefertigt wurde. Sie kann überzeugend herausarbeiten, wie zu jener Zeit laikale und klerikale Elemente zusammenwirken mussten, um zum einen spezifische Praktiken und Riten aufrecht zu erhalten und um zum anderen die koptische Präsenz in Jerusalem zu stärken. Bemerkenswerterweise nahm man an religiösen Veranstaltungen anderer östlich-orthodoxer Gemeinschaften teil.
Ein Beispiel für den offenen und öffentlich vorgetragenen Ausdruck einer unverwechselbaren koptischen religiösen Identität stellt eine aggressive missionarische Bewegung im 18. Jahrhundert dar. Katholische Missionare hatten die Kanzel dazu benutzt, ihre Botschaft unter Arabisch sprechenden Christen zu verbreiten. Koptische Führer antworteten, indem sie den Kontakt mit Katholiken diskreditierten und deren heterodoxe Praktiken, die sich als Konsequenz von Mischehen, einer falschen Sozialisierung oder zahlreichen Konversion verbreitet hätten, verhöhnten.
Am Ende der Lektüre des ausgezeichneten Buches erkennt der Leser, dass - trotz einer gewissen gesellschaftlichen Ächtung und juristischer Verbote nicht-muslimischer religiöser Praxen - im osmanischen Ägypten die Volksreligion als Kitt fungierte, der die koptische Gemeinde zusammenhielt. Übertritte hielten sich offensichtlich in überschaubaren Grenzen und das Verhältnis von Kopten zu Muslimen blieb konstant. Vor allem im spätem 17. und frühen 18. Jahrhundert kam es sogar zu Ansätzen einer Erneuerungsbewegung innerhalb der koptischen Kirche. Die Versuche, kommunale Traditionen zu bewahren und religiöse Praxen zu fördern, hatten langfristig Erfolg. In den verbreiteten Texten der Gemeindeführer spiegelt sich eine kollektive religiöse Leistung. Darüber hinaus flochten Kleriker in ihre Predigten Geschichten ein, die sowohl traditionell wie innovativ waren und von allen Laikalen verstanden und richtig interpretiert wurden. Schließlich organisierte und unterstütze man Pilgerfahrten und Festivitäten, wobei in der Regel die Zusammenarbeit mit den muslimischen Behörden und lokalen Autoritäten gesucht werden musste. Alles in allem erhellt das Beispiel der osmanischen Kopten, wie marginalisierte Gruppen ihre Ansprüche auf Selbstdarstellung aufrecht erhalten und eine bestimmte Identität innerhalb einer dominanten religiösen Kultur entwickeln können. Febe Armanios hat ein sehr interessantes Werk vorgelegt, das eine große Lücke in der Forschung zu den Kopten während der Frühen Neuzeit schließt.
Anmerkung:
[1] Shaun O'Sullivan: "Coptic Conversion and the Islamization of Egypt", in: Mamluk Studies Review 10,2 (2006), 65-79.Tamer el-Leithy hat bereits 2004 eine umfangreiche Promotion zu den Kopten während der Mamlukenzeit vorgelegt ("Coptic Culture and Conversion in Medieval Cairo, 1293-1524 A.D." (Ph.D. diss., Princeton University). Leider ist die seit langem angekündigte Publikation noch nicht erschienen. El-Leithy weist die These einer Massenislamisierung im 9. Jahrhundert zurück und geht davon aus, dass es erst im 14. Jahrhundert zu einem Übertritt großer koptischer Gruppen zum Islam gekommen ist.
Stephan Conermann