Nicolas Zenzen / Tonio Hölscher / Kai Trampedach (Hgg.): Aneignung und Abgrenzung. Wechselnde Perspektiven auf die Antithese von 'Ost' und 'West' in der griechischen Antike (= Oikumene. Studien zur antiken Weltgeschichte; Bd. 10), Heidelberg: Verlag Antike 2013, 521 S., ISBN 978-3-9380-3252-7, EUR 89,90
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Tonio Hölscher: Krieg und Kunst im antiken Griechenland und Rom. Vier Triebkräfte kriegerischer Gewalt: Heldentum, Identität, Herrschaft, Ideologie, Berlin: De Gruyter 2019
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Andreas Pečar / Kai Trampedach (Hgg.): Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne, München: Oldenbourg 2007
Der vorliegende Sammelband Aneignung und Abgrenzung. Wechselnde Perspektiven auf die Antithese von 'Ost' und 'West' in der griechischen Antike von Nicolas Zenzen, Tonio Hölscher und Kai Trampedach präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, die im Februar 2011 im Rahmen des Forschungsprojekts Die Ursprünge der Antithese von Ost und West vor und nach Alexander dem Großen des Exzellenzclusters Asia and Europe in a Global Context: Shifting Asymmetries in Clutural Flows stattfand. Die einzelnen Tagungsbeiträge wurden dabei zu thematischen Kapiteln - jeweils von mehreren Forschern verantwortet - zusammengefügt, um, so die Herausgeber, den "monographischen Charakter" (9) des Bandes zu stärken.
Der Band gliedert in Einleitung, zehn thematische Kapitel, die Berührungspunkte zwischen Ost und West von der Wirtschaft bis zur Religion, aber auch theoretische Erwägungen oder Rezeptionsaspekte aufzeigen, sowie ein programmatisches Nachwort; ein knappes Namensregister (509-518) sowie ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren (519-521) runden den Band ab. Eine ausführliche Besprechung aller Aufsätze ist in gebotener Kürze kaum möglich, sodass im Folgenden eine Auswahl getroffen wird.
Mit seiner einführenden Frage Wie weit reicht die Feindschaft? leitet Tonio Hölscher in Gegenstand und Problem ein (11-32). Neben einer Zusammenfassung der einzelnen Beiträge liefert der Artikel einige wichtige theoretische Leitgedanken zur Grundfrage des Kongresses und Sammelbandes. Er referiert unter Verweis auf Literatur, die Antithese zwischen Ost und West stelle ein "generalisierende[s] ideologisches[s] Konstrukt" (11) dar, das der spezifischen Situation Griechenlands des 5. und 4. Jahrhunderts entstamme. Dabei hätten die strukturellen Unterschiede in Gesellschaft und Politik trotz vielfacher Ähnlichkeiten in verschiedenen kulturellen Bereichen den Griechen als Vorlage zur Entwicklung eines polaren Modells 'Orient versus Griechenland' gedient (28-29). Die Entwicklung der besagten Antithese sei folglich auf politischen Willen in Griechenland und nicht auf eine real fassbare Gegensätzlichkeit zurückzuführen.
Darüber hinaus hinterfragt Hölscher die parallele Verwendung der Begriffe Kultur und Identität (17-20) und unterstreicht die Tatsache, dass kulturelle Errungenschaften und Erzeugnisse auch ohne die Übernahme von Identitäten selbst zu Zeiten forcierter politischer Polarisierung ausgetauscht werden können.
Im zweiten Abschnitt des Bandes Aspects of Hellenisation: The Case of Babylon wendet sich Amélie Kuhrt methodischen Problemen des Begriffs 'Hellenisierung' zu (33-59). Die Autorin betont, nicht nur ältere, sondern auch jüngere Modelle zur Erklärung der Vorgänge nach der Eroberung des Vorderen Orients durch Alexander seien aus griechischer Perspektive gedacht (33-35). Zudem vermischten diese Modelle verschiedene östliche Kulturräume unzulässig (54). In Babylon seien Griechen zuvorderst in der höchsten Verwaltungs- und Regierungsebene anzutreffen, während die Mehrheit der Bevölkerung lediglich einige Elemente der griechischen Kultur in die angestammte integriert habe. Die Übernahme beispielsweise kultureller Techniken sei in diesem Zusammenhang von pragmatischen Erwägungen und nicht etwa einer Identifizierung mit dem Griechentum geleitet gewesen. Zeitgleich ließe sich eine 'Babylonisierung' der politischen Oberschichten erkennen (52-53).
Im Folgenden wenden sich Bruno Jacobs und Kai Trampedach dem Konzept der achämenidischen Monarchie nach den Primärquellen und nach den Historien Herodots zu. Während Jacobs anhand vorwiegend persischer Quellen noch einmal die enge Verbindung zwischen Großkönig und Ahuramazda nachzeichnet (60-71), deutet Trampedach die herodoteische Darstellung der persischen Könige im Kontext innergriechischer Diskurse (71-87). Das "Gegenbild einer universalen Monarchie" (87) diene am Vorabend des Peloponnesischen Krieges der Stärkung der panhellenischen Identität.
Im vierten Kapitel World View and Perception of Space fokussieren Robert Rollinger und Kai Ruffing auf die geografische Wahrnehmung des 'Anderen' in West und Ost. Dabei verknüpft Rollinger (93-134) die exemplarisch an der Formulierung 'inmitten des Meeres' demonstrierte Entwicklung der Raumkonzeption im neuassyrischen Reich mit dem Anspruch der Herrscher zur "world expansion" (134). Ruffing (135-150) hingegen betrachtet die herodoteische Einteilung der Welt in Europa und Asien als ein Konstrukt zur Deutung aktueller griechischer Probleme: nicht nur die Perser hätten aus Hybris die Grenzen ihres Einflussbereichs überschritten, auch die Athener trügen ob ihrer Unterstützung des Ionischen Aufstandes Schuld an der Eskalation der Ereignisse in den Perserkriegen, den Konflikten der Pentakontaetie sowie dem Peloponnesischen Krieg (147-150).
Das fünfte Kapitel ist mit 'Wissenschaft' in Ost und West befasst. Stefan M. Maul trägt die Aspekte der Wissenskultur und des Weltbildes im Vorderen Orient zusammen (162-175), während Markus Asper (176-196) die Geschichte der Wissenschaft in Griechenland beleuchtet.
Das sechste und siebte Kapitel des Sammelbandes wenden sich religiösen Zusammenhängen in Griechenland, Phönikien und Ägypten zu. Vinciane Pirenne-Delforges und Corinne Bonnet erläutern im sechsten Abschnitt mit dem Titel Les dieux et la cité: Représentations des divinités tutélaires entre Grèce et Phénicie (201-228), die verschiedenartigen Panthea der Griechen und Phönizier resultierten aus den verschiedenen gesellschaftlichen Ordnungen der Völker (224). Die strukturellen religiösen Unterschiede allerdings hätten nie zu einem antithetischen Modell geführt, vielmehr wäre sogar die gegenseitige Verehrung einzelner Gottheiten möglich (225).
In Hinsicht auf die Ausgangsfrage des Kolloquiums und des Bandes vergleichbare Ergebnisse erzielen auch Joachim Friedrich Quack und Bjørn Paarmann in ihrer Auswertung des Sarapiskultes (229-291). Dabei beschreibt Quack die Vorläufer und Entstehung des Kultes aus ägyptologischer Sicht, während Paarmann auf die Gründungslegende des ptolemäischen Kultes und seinen 'Sitz im Leben' abzielt. Dabei betont Paarmann, in Ägypten lebende Griechen und ihre Nachkommen seien die Adressaten der Einführung des neuen Kultes gewesen (278) und dekonstruiert die alte Forschungsmeinung, dies sei zur Vereinigung von Ägyptern und Griechen geschehen (258-260). Vielmehr hebt er darauf ab, Ptolemaios wie auch die römischen Kaiser, die den Kult nach einer Periode des Niedergangs wiederbelebt haben, hätten Sarapis ob seiner starken Verbindung zur Monarchie gefördert (277-278).
Im achten Kapitel setzen sich Nicolas Zenzen, Andreas Mehl und Margarate von Ess mit der Wirtschaft und dem grenzüberschreitenden Handel im östlichen Mittelmeerraum auseinander (292-366).
Margaret Miller und Tonio Hölscher erläutern im neunten Kapitel Wealth and Social Identity, East and West: Between Cultural Anthropology and political Ideology (367-420) die Funktionalität von Reichtum und Luxus in Iran und Griechenland. Im Iran hätten Reichtum und Luxus, als Gebrauch und Zurschaustellung von Reichtum, zur Definition des sozialen Gefüges innerhalb der auf den Großkönig ausgerichteten konzentrischen Gesellschaftsordnung beigetragen (374-377, 387-388); während in Griechenland Reichtum und seine Zurschaustellung bereits in früher klassischer Zeit als der Gleichheit der Bürger entgegenstehend wahrgenommen und nach den Perserkriegen mit dem Feind assoziiert wurden. Allerdings hätte die Ablehnung von tryphe trotz einer bedeutenden Rolle auf dem politischen Parkett und im Rahmen des öffentlichen Selbstbildes nicht auf alle Lebensbereiche übergegriffen (394-401), sodass etwa zwei Generationen später bereits 'orientalischer Luxus' wieder in das griechische Selbstbild integriert werden konnte (403-412).
Florian Knauß und Thorsten Mattern analysieren im zehnten Kapitel orientalische und griechische Paläste (421-464). Anschließend wendet sich Wilfried Nippel dem neuzeitlichen Diskurs über orientalische Despotie zu (465-484).
Zuletzt werden im Nachwort des Bandes von Josef Wiesehöfer methodische Erwägungen für einen fundierten Umgang mit dem Orient, hier in besonderer Weise dem Iran, vorgebracht (485-507).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der vorliegende Sammelband auf eine lobenswerte Art und Weise spezialisierte Fachexpertisen mit einer monografisch anmutenden Struktur verbindet. Ähnlich positiv ist der interdisziplinäre Zugriff auf das Thema zu beurteilen.
Die Fragestellung des Bandes nach dem Ursprung der Antithese von Ost und West leitet dabei durch das Werk. Dabei liefern - und gerade das ist besonders ergiebig - nicht alle Beiträge positive Befunde, also Ausgangspunkte der Entstehung der im Zentrum stehenden Antithese; vielmehr werden in verschiedenen Kapiteln zwar strukturelle Unterschiede, jedoch keine antithetischen Modelle festgestellt.
Der vorliegende Kolloquiumsband spiegelt den Stand der Erforschung zur Ost-West-Antithese sehr gut wider, Forschungslücken werden - gemäß den Erwartungen an eine Abschlusspublikation im Rahmen eines Teilprojekts des Heidelberger Clusters - geschlossen und aufgezeigt. Zudem ist festzuhalten, dass das Buch auch ob des hohen Redaktionsniveaus einen sehr einheitlichen Leseeindruck hinterlässt. In wenigen Worten: Für weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit den Kontakten zwischen Orient und Okzident bildet der Band eine ausgezeichnete Grundlage.
Katharina Knäpper