James Graham Wilson: The Triumph of Improvisation. Gorbachev's Adaptability, Reagan's Engagement, and the End of the Cold War, Ithaca / London: Cornell University Press 2014, XV + 264 S., ISBN 978-0-8014-5229-1, USD 29,95
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Das lange letzte Jahrzehnt des Kalten Krieges zwischen 1979 und 1991 übt schon seit längerer Zeit einen besonderen Reiz auf die Forschung aus, denn in diesen Jahren veränderte sich die internationale Konstellation grundlegend. Standen 1979 die beiden Blöcke einander in heftiger Konfrontation gegenüber, war 1991 der Kalte Krieg auf friedliche Weise überwunden. Für diesen Vorgang sind unterschiedlichste Erklärungen angeboten worden. Insbesondere die amerikanische Forschung hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wer an diesem Vorgang den größeren Anteil hatte: War es Reagans "Politik der Stärke", kombiniert mit dessen Verhandlungsbereitschaft, oder war es vor allem Gorbatschow, der mit seinem auf internationale Abrüstung und den Verzicht auf Gewaltanwendung fixierten außen- und blockpolitischen Programm die entscheidende Rolle spielte? Die Bedeutung wirtschaftlicher Disparitäten wird meist einbezogen; die Bedeutung der Vorgänge in West- und Osteuropa jedoch oft nur insoweit, als die beiden Supermächte dabei ihren Einfluss geltend machten.
James Graham Wilson, Historiker im amerikanischen State Department, gehört letztlich auch zu diesem Mainstream der amerikanischen Forschung. Freilich geht er kaum auf die Vorarbeiten und die in der Historiographie geführten Debatten ein, sondern erzählt die Geschichte vor allem aus amerikanischer Perspektive unter Zuhilfenahme zahlreicher publizierter und unveröffentlichter Quellen. Für die sowjetische Seite stützt er sich auf veröffentlichtes und in englischer Übersetzung vorliegendes Material.
Wilson gehört zu den Forschern, die die Politik der amerikanischen Präsidenten Reagan und Bush vor allem unter Verweis auf deren Berater zu erklären versuchen. Dabei hat es Wilson offensichtlich nicht nötig, auf die einzugehen, die schon ähnlich argumentiert haben. Reagan selbst wird keine durchdachte Strategie gegenüber der Sowjetunion unterstellt: Er war vielmehr "torn between a 'crusade for freedom' and 'peace through strength'" (15). Dabei stand er Wilson zufolge zunächst primär unter dem Einfluss der "Falken" wie Verteidigungsminister Caspar Weinberger, der ihn zu immer höheren Rüstungsausgaben bewegte. Die Wende kam insbesondere mit George Shultz, der 1982 Außenminister wurde. Die Auseinandersetzung zwischen "Falken" und "Tauben" unter Reagans Beratern ist zwar schon des Öfteren dargestellt, aber die Rolle des Pragmatikers Shultz wohl noch nie so deutlich herausgearbeitet worden. Freilich ist es eine Verkürzung, wenn die "Wende" der amerikanischen Außenpolitik von Anfang 1984, als Reagan moderatere Töne gegenüber der Sowjetunion anschlug, allein auf den Einfluss der Pragmatiker unter seinen Beratern - neben Shultz werden vor allem James Matlock und Robert MacFarlane vom National Security Council (NSC) genannt - zurückgeführt wird. Auf Forschungsdiskussionen, ob es sich um ein "Reagan reversal" oder nur die konsequente Fortsetzung seiner Politik gehandelt habe, oder ob dies nicht auch innenpolitisch motiviert war, geht Wilson nicht ein.
Als entscheidend sollte sich erweisen, dass Reagan in Gorbatschow einen kongenialen Gegenspieler fand, der ein ebenso starkes Interesse an nuklearer Abrüstung hatte wie er selbst. Auch das ist nicht unbekannt, wird aber von Wilson zu Recht ebenso herausgestellt wie der Umstand, dass Reagan mit seinem Festhalten am Strategic Defense Initiative (SDI)-Programm keine aggressiven, sondern nur defensive Absichten verband. Dennoch stellte SDI für Gorbatschow lange Zeit das entscheidende Hindernis dar, das eine Verständigung über atomare Abrüstung verhinderte. Im Februar 1987 war es dann dessen Berater Alexander Jakowlew, der den KPdSU-Generalsekretär dazu bewegte, über SDI und nukleare Abrüstung separat zu verhandeln, was letztlich das INF-Abkommen vom Dezember 1987 ermöglichte.
Ende 1988 und 1989, so Wilson, hätten sich dann die Visionen Gorbatschows und des neuen US-Präsidenten George Bush für eine neue Weltordnung gegenübergestanden. Gorbatschow habe in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung im Dezember 1988 auf "the emergence of a mutually connected and integral world" gesetzt (143). In dem Zusammenhang kündigte er massive Abrüstungsschritte an und versprach, sich an den Grundsatz der "Freiheit der Wahl" zu halten. Er hoffte, in Bush einen Partner zu finden, der, genau wie Reagan, auch auf eine Welt ohne Nuklearwaffen hinarbeitete. Bush hingegen legte ab Anfang 1989 eine "Pause" in der Entspannung mit der Sowjetunion ein - auch dies ist wiederholt in der Forschung thematisiert worden. Denn im Unterschied zu Reagan war er sich nicht sicher, ob der Kalte Krieg schon vorbei war und ordnete eine Bestandsaufnahme der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen an. Im Frühjahr 1989 waren es Wilson zufolge wieder die Berater des Präsidenten, diesmal Robert Blackwill vom NSC und Robert Zoellick vom State Department, die bei Bush eine Wende in der Europapolitik herbeiführten. Jetzt proklamierte der Präsident, es sei Zeit, "to move beyond containment", und verkündete am 31. Mai in Mainz: "Let Europe be whole and free." (156) Dabei setzte er vor allem auf die Bundesrepublik als Partner und war bereit, die deutsche Frage vorsichtig anzusprechen. Bushs neue Weltordnung wird von Wilson aber weniger außen- und sicherheitspolitisch, sondern innenpolitisch und ökonomisch definiert: "Democracy, capitalism and an open world economy were integral components." (170) Wenn im Anschluss daran die neue Weltordnung Gorbatschows als "slogan", die von Bush hingegen als "reality" bezeichnet wird (171), schimmert doch noch etwas von dem amerikanischen Triumphalismus durch, von dem sich Wilson eigentlich distanzieren möchte. Denn entscheidend für die Beendigung des Kalten Krieges sei schließlich gewesen, dass die handelnden Politiker - und dies waren für ihn vor allem Reagan, Shultz, Bush und Gorbatschow - keine Strategien verfolgten, sondern sich anpassten, improvisierten und aufeinander zugingen. Das ist sicher richtig, aber ist das wirklich so neu? Politik war und ist immer die Kunst des Möglichen.
Während das Buch vor allem Einblicke in die Hintergründe der amerikanischen und - etwas weniger - der sowjetischen Politik ermöglicht, bleibt die Rolle West-, Mittel- und Osteuropas völlig unterbelichtet. So wird die KSZE so gut wie gar nicht thematisiert, obwohl sie ein wichtiges Gesprächsforum war, das auch nach Ausbruch des Zweiten Kalten Krieges der Aufrechterhaltung der Entspannung diente. Die KSZE-Folgetreffen von Madrid und Wien nimmt Wilson überhaupt nicht zur Kenntnis. Daher kann er auch die Charta von Paris vom 21. November 1990 nicht richtig einordnen. Diese war nämlich nicht eine "realization of the Atlantic Charter" (193), sondern die Vollendung der Schlussakte von Helsinki, da hier die Staats- und Regierungschefs der KSZE-Unterzeichnerstaaten die Blockkonfrontation für beendet erklärten und vereinbarten, dass die Grundlage ihrer Zusammenarbeit die Prinzipien sein sollten, auf die man sich 1975 in der finnischen Hauptstadt geeinigt hatte. Es ist daher auch kein Zufall, dass sich die Nachlässigkeiten und Fehler häufen, wenn es um Europa geht: So wurde Mitterrand 1981 nicht französischer "prime minister", sondern Präsident (40), und nicht Hans Modrow trat an Erich Honeckers Stelle, sondern Egon Krenz (178). Außerdem wird die Wiedervereinigung Deutschlands sehr oberflächlich und ohne Bezug auf die friedliche Revolution in der DDR geschildert, als wäre sie nur Teil eines weltpolitischen Machtspiels gewesen.
Wie Washington-zentriert Wilson Geschichte erzählt, geht letztlich auch aus seinem letzten Kapitel hervor, in dem er die Zugeständnisse Gorbatschows von 1990 wohl zutreffend auf dessen Hoffnungen auf amerikanische Kredite und Investitionen zurückführt. Das Ende des Kalten Krieges datiert er auf den 17. Januar 1991, als nach vorherigen amerikanisch-sowjetischen Absprachen die ersten Bomben auf Bagdad fielen und Washington und Moskau gegenüber dem irakischen Diktator an einem Strang zogen. Dass die Führung der USA Gorbatschow 1990/91 regelrecht im Stich ließ, schreibt er allerdings nicht; auch dass die Sowjetunion am 31. Dezember 1991 zu existieren aufhörte, ist ihm keine Zeile wert.
Hermann Wentker